Gottseibeiuns
Die NZZaS angstschweisselt.
Mit den Experten ist es so eine Sache. Der grossartige Militärexperte der ETH Zürich sagte den Sieg der Ukraine voraus. Für den November 2022. Blöd gelaufen.
Andere Experten sagten dies und das und das Gegenteil davon voraus. Meistens aber, dass die russischen Truppen demotiviert seien, kaum Nachschub hätten, nur mit Schrott kämpften, bedauernswert. Das wurde so oft wiederholt, bis es selbst den Experten auffiel, dass sie eigentlich völlig ohne Kontakt zur Realität Expertisen absonderten, die keinen Pfifferling wert sind.
Sie waren einfach die andere Seite des Spiegels; in Russland wird ständig der kurz bevorstehende Sieg in der kleinen militärischen Spezialoperation vorhergesagt.
Die einzig feststehende Tatsache ist: selten hat sich in den letzten Jahren der Führer einer Atommacht so fundamental-fatal getäuscht wie Präsident Putin. Was er für einen besseren Spaziergang mit schneller Eroberung Kiews und sofortiger Entnazifizierung hielt, ist zu einem brutalen Stellungskrieg geworden, der Tausende von Menschenleben und Milliarden an Rüstungsgütern kostet und der russischen Wirtschaft schweren Schaden zurfügt; das Land ist wieder zum Rohstofflager mit angeschlossener Militärindustrie geworden.
Von der Erschütterung im Verhältnis zwischen West und Ost ganz zu schweigen.
Aber nun unkt die NZZaS: «Putins Marsch nach Westen». Au weia, ist der Iwan denn schon unterwegs, sozusagen Putin ante portas? Stefan Scholl entwirft mit zitternden Schreibfingern ein «Schreckensszenario». Weil er für die NZZaS arbeitet, nennt er es etwas vornehmer «Evaluation eines Schreckensszenarios».
Zunächst besteht das Schreckensszenario aber im Eingeständnis, dass selbst hochrangige Militärs im Westen mal wieder völlig falsch lagen:
«Russland habe seine Armee schneller wieder aufgebaut, als unsere ersten Schätzungen nahegelegt hätten, das musste selbst der amerikanische Oberbefehlshaber in Europa, Christopher Cavoli, jüngst zugeben. Seit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine sei diese sogar noch um 15 Prozent gewachsen. Russland habe auch seine Rüstungsindustrie angekurbelt.»
Das Tolle an Experten wie an Militärs ist doch: die Kehrtwende, das Umdrehen auf dem Absatz – und dabei ein Buster-Keaton-Gesicht machen –, das beherrschen sie perfekt. Habe ich gestern noch das Gegenteil geschwatzt? Wirklich? Na und? Ach, und wieso soll man mir dann mein Geschwätz von heute glauben? Freche Frage.
Aber sehr berechtigte Frage. Nun stellt Scholl die schreckliche Frage, sollte Trump auch noch gewinnen: «Was hat Putin mit den Europäern vor?» Hm, vernichten oder nur versklaven? Oder noch schlimmer: sie müssen seinen Reden zuhören?
Aber aus den ausbleibenden ukrainischen Triumphen – erinnert sich noch jemand an die grossartige Offensive? – hat man gelernt. Der Titel soll nur ein Clickbait sein, ein Lockstoff. Denn Scholl will ja seine Leser nicht in die Luftschutzbunker treiben:
«Noch bevor der US-Kongress im April doch 61 Milliarden Dollar für die Ukrainer bewilligte, sagte der Kiewer Militärexperte Olexi Melnik, ein russisches Vordringen bis zur Grenze der Region Donezk, also ein Vorrücken um etwa 60 Kilometer, sei das Schlimmste, was im nächsten Halbjahr passieren könne. Doch weiter kämen die Russen nicht.»
Also wenn das ein ukrainischer Militärexperte sagt, dann wissen wir wenigstens, dass es sich um eine neutrale, wissenschaftliche Meinung handelt.
Andererseits, was Scholl wieder weiss:
«In den Verteidigungsministerien der EU-Staaten wird fieberhaft gerechnet, wann und wo Russland angreifen könnte. Und was man ihm dann entgegenstellen könnte.»
Wir stellen uns eine Versammlung wie bei Dr. Strangelove vor, allerdings mit Sandkasten und vielen Generälen mit Schieberchen. Und was wird hier gespielt?
«Ein schneller Überraschungsstoss gegen die exponierten baltischen Staaten gilt in Nato-Planspielen als das wahrscheinlichste Szenario eines russischen Angriffs.»
Sonst noch was? «Aus diesen Gründen wäre auch eine Grossoffensive gegen Polen ein Wagnis.» Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, nicht wahr?
Und was sagt denn Putin dazu? «Der nannte die Vorstellung, dass Russland als Nächstes Polen, die baltischen Staaten oder Tschechien angreifen werde, Unsinn und Geschwafel.» Aber der lügt bekanntlich, wenn er den Mund aufmacht.
Scholl hingegen hat den Durchblick, und der fängt weit zurück in der Geschichte an: «Peter der Grosse habe die Stadt (die estnische Grenzstadt Narwa, Red.) schon einmal «heimgeholt», erklärte Putin. Sind erst einmal Unruhen entfacht, liesse sich wie nach dem Drehbuch im Donbass 2014 eine «Volksrepublik Narwa» ausrufen. Dann eilten den «Landsleuten» dort Freischärler oder gar reguläre Truppen aus Russland zur Hilfe. Die Nato-Staaten blieben unschlüssig, ob sie eingreifen sollten, und Estland verlöre einen Zipfel seines Landes. Langfristig dürfte Moskau auch auf Krisenprozesse spekulieren, die ähnliche Szenarien sogar in Westeuropa ermöglichten.»
Aber jetzt, aufgepasst, Deutsche: «Vor allem dort, wo Russlanddeutsche kompakt siedeln – in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg.»
Jetzt kriegen wir aber echt Schiss. Will Putin der Kleine etwa auch eine russische Volksrepublik Bayern ausrufen? Und sich mit den Eingeborenen gegen die Saupreissen verbünden?
Aber Putin hat noch mehr Munition auf Lager: «Mit Schmiergeldern für EU-Politiker, vor allem für Rechtsextreme und nationalistische Populisten in Deutschland, Frankreich und Italien, und mit Stimmungsmache in «alternativen» Onlinemedien und sozialen Netzwerken wird der Putinismus noch aggressiver nach Westeuropa exportiert.»
Diversanten, Fünfte Kolonne, nützliche Idioten, Söldlinge im Dienste Moskaus, wussten wir nicht, dass Putin-Versteher abends ihre Rubel zählen, die überwiesen wurden?
Aber es gibt doch leichte Entwarnung. Vielleicht kümmert sich Putin zuerst um Kasachstan, Georgien oder Moldau.
Aber wie auch immer, konkludiert Scholl, «um einen seiner hybriden oder offen militärischen Feldzüge zu wagen, ist Putin gezwungen, zuvor die Ukraine als militärisches Subjekt zu beseitigen. Ob dies gelingt?»
Man muss auch Nachsicht mit dem Mann haben. der schreibt oder schrieb für die «Salzburger Nachrichten», für «Brand eins», für «Internationale Politik», für «Geo spezial», für «Vanity Fair», für «Merian», für das «SZ Magazin», für die «Frankfurter Rundschau», für die «Südwest Presse», für die «Berliner Zeitung», für die «Aachener Nachrichten» – und für die NZZaS.
Zu seinem Geplauder kann man sagen: viel Buchstabenlärm um nichts. Papier- und Platzverschwendung, nur um einen Anreisser auf dem Cover zu haben. Liebe NZZaS, und das Niveau?
Was soll Russland mit Westeuropa? Keine Rohstoffe und eine völlig degenerierte Bevölkerung.
«In Russland wird ständig der kurz bevorstehende Sieg in der kleinen militärischen Spezialoperation vorhergesagt». Da habe ich offenbar etwas Wichtiges übersehen. Darf ich um die Links bitten?
Die allererste einer unablässigen Reihe von Siegesmeldungen, die Du problemlos selber googeln kannst.
Herr Zeyer, wer «Googelt», dem ist eh nicht mehr zu helfen. LeserInnen, die sich ausgewogen informieren wollen, benützen Suchmaschinen oder gehen im Internet selber auf die Suche.
Was die Russen und Präsident Putin betrifft, stehen sie diesmal auf der richtigen Seite der Geschichte. Warten wir ab. Ich freue mich schon heute über ihre Zeilen, die sie in ein paar Jahren schreiben werden.
Na ja, der Link führt zum Spiegel, der zumindest eine etwas vorsichtige (und spekulative) Zwischenüberschrift hat: «Der Kreml war wohl von einem raschen Sieg in der Ukraine ausgegangen. Zumindest war schon ein Jubelkommentar vorbereitet. Die staatliche Nachrichtenagentur hat ihn versehentlich geteilt – und nicht schnell genug gelöscht.» – Da wurde also «EIN Jubelkommentar» vorbereitet und gelöscht. Ich empfehle Originalquellen, wie die russischsprachige Tass, mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen. Ich habe in Tass NULL Meldungen über einen kurz bevorstehenden Sieg gefunden.
Wenn man «bevorstehender Sieg in der Ukraine» auf Russisch übersetzt (грядущая победа на Украине) und danach sucht, findet man 635’000 Treffer. Davon dürften ein paar aus russischen Medien stammen …
Nun, Tass ist die offizielle Nachrichtenagentur, und wenn sie nie über den «bevorstehenden Sieg in der Ukraine» berichtet, kann man getrost davon ausgehen, dass auch im Kreml niemand daran glaubt. Es ist irrelevant, was irgendjemand glaubt, was der Kreml glaubt.
Dieser Scholl könnte doch als Conférencier auf dem Hürdenstock auftreten!
Offen bleibt, ob die von Mitte-links propagierten CHF 5 Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine auch fliessen wenn der Russe dieses Land eingesackt hat. Wahrscheinlich ja, denn zu Ende denken darf man von Polikitern nicht erwarten.
Als man noch „der Russe“ sagte, war der Ukrainer noch mitgemeint.