Wir üben Schönschreiben
Früher Schulfach, heute Journalismus.
In der Schweiz leben rund 70’000 ukrainische Flüchtlinge. Die haben ein Problem. Tausende von ihnen sind im wehrfähigen Alter, haben sich also der Vaterlandsverteidigung durch Flucht entzogen. Menschlich verständlich, aber schützenswert?
40’000 von ihnen sind im erwerbsfähigen Alter, könnten also versuchen, ihren Lebensunterhalt nicht auf Kosten der Schweizer Steuerzahler zu bestreiten. In die Tat umgesetzt haben das bislang aber lediglich 20 Prozent, ganze 8000. Dabei sollen zwei Drittel der Ukrainer in der Schweiz sogar einen Hochschulabschluss haben, hätten also beste intellektuelle Voraussetzungen, sich in einer fremden Sprache und Mentalität zurechtzufinden.
Dass die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge aber lieber etwas Land und Leute kennenlernen will, sich vielleicht auch endlich mal die Zähne richten, das sorgt verständlich für etwas Unmut in der Bevölkerung. Dem muss mit Schönschreiben Gegensteuer gegeben werden.
Ein Einsatz für Sascha Britsko von Tamedia. Unter der Spitzmarke «Integration von Flüchtlingen» berichtet sie über drei ukrainische Frauen, die eine Anstellung gefunden haben. Olga (39) ist «Klassenassistentin an einer Privatschule». Allerdings ist dieser 75-Prozent-Job bis zum Sommer befristet. Natalia (28) ist «Assistenzärztin an einer psychiatrischen Klinik». Obwohl es ihr immer noch «am schwersten fällt, Schweizerdeutsch zu verstehen», was in diesem Job vielleicht nicht ganz unwichtig ist, will sie in drei Jahren das Schweizer Staatsexamen bestehen. Irina (34) arbeitet als Fitnesstrainerin, mit 13 Lektionen pro Woche, die sie auf Englisch erteilt, können sie und ihr Tochter leben.
Offensichtlich ist die Sprache eine grosse Hürde. Allerdings sollten eigentlich zwei Jahre für akademisch ausgebildete Menschen völlig ausreichend sein, auf genügend hohem Niveau Deutsch zu sprechen. Da es in der Schweiz anscheinend einen gravierenden Fachkräftemangel gibt, sollte es auch kein Problem für die übrigen 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge sein, eine Arbeitsstelle zu finden.
Aber all diese Überlegungen und Themen und Fragen umfährt Britsko weiträumig; ihr geht es darum, aus ihren drei Erfolgsfällen so viel wie möglich rauszusaugen. Sie überlegt nicht einmal, wieso sie eigentlich nur Frauen aufführt; ist das nicht etwas diskriminierend gegenüber ukrainischen Männern? Oder will sie damit sagen, dass die arbeitsunwilliger sind?
Normalerweise gehen solche Storys nach dem klassischen journalistischen Strickmuster so: ein Beispiel, zwei Beispiele, vielleicht drei, dann der Aufschwung ins Allgemeine: nicht nur diese Personen, sondern viele andere auch …
Hier wird das aber geradezu ins Umgekehrte pervertiert. 80 Prozent aller arbeitsfähigen Ukrainer arbeiten nicht. Da wäre es doch naheliegend gewesen, drei solche Beispiele zu präsentieren. Oder allenfalls vier oder fünf Beispiele arbeitsunwilliger Flüchtlinge einem Beispiel eines Erfolgsmodells gegenüberzustellen.
Aber das wäre dann natürlich kein Schönschreiben gewesen. Dafür eine Abbildung der Realität. Aber Realität wird gewaltig überschätzt, sagen sich die Um- und Schönschreiber im Hause des Qualitätsjournalismus Tamedia.
Hier geht es mehr um Lesererziehung als um Leserinformation. Kleines Problem dabei: das mögen viele Leser gar nicht, dass sie noch dafür bezahlen sollen, eines Besseren oder zumindest anderen belehrt zu werden.
«Die Schweizer sind reich, aber auch unheilbar dumm» ‒ Eine Ukrainerin über ihren Alltag in Zürich
Notizen einer ukrainischen Flüchtlingsfrau in der Schweiz: Viel Unterstützung und ein bezahlter Urlaub in der Ukraine.
Das Leben in der Schweiz ist ein seltsames Abenteuer. Man könnte meinen, es sei wie in einem dieser Märchenbücher, wo man nur die richtigen Worte sagen muss und schon gehen die Türen zum magischen Königreich auf. In meinem Fall war das magische Codewort «Putin böse», und die Türen, die sich öffneten, waren die des Flüchtlingsbüros in Zürich………
https://de.rt.com/schweiz/204588-schweizer-sind-reich-aber-auch/
Logisch, sind die Akademiker hier übervertreten und für praktische Arbeit nicht zu gebrauchen. Für Handwerker ist die Ausreise unmöglich: kein Geld, keine Connections – also an die Front.
Sascha Britsko schreibt immer wieder mal «Erfolgsgeschichten» zu UkrainerInnen. So letztes Jahr im Tagi «Geflüchtete machen sich selbständig». Start-up einer Kiewer Floristin «Ich schaffe zwei bis drei Sträusse pro Woche». Die schönen, ideologisch gefärbten und wunderbaren Geschichten lassen sich erklären, Britsko hat verwandschaftliche Bindungen in die Ukraine!
Das ist auf Niveau Home-Story. Fakt ist, dass es auch hier nicht Schwarz-Weiss gibt. Kürzlich einen Fall gehört, wo der Mann als Handwerker im Nu zu Arbeit kam (Stichwort: Fachkräftemangel) und Sprache schnell erlernte. Die Frau, mit akademischem Abschluss aber Mühe hat, sich zu integrieren & sprachlich nicht klarkommt & unter traumatischen Erlebnissen (Bombeneinschlag) leidet. Eine weitere Geschichte ist, dass eine ältere Dame gleich schlecht verdient wie die CH-Altersgenossin. Die CH-Altersgenossin aber im Gegensatz zur Ukrainerin keine Subventionen im Bahnverkehr etc. erhält und alles selber zahlt, währenddem ihre Kollegin bereits zum dritten Mal innerhalb eines Jahres illegal in die Ukraine in die Ferien reist, währenddem die CH-Person keinen Rappen für Ferien übrig hat. Was schliesst man daraus? Je nach Blickpunkt der Beispiele ergeben sich verschiedene Perspektiven. Ausgewogen zu berichten wäre so unglaublich wichtig. Und viel glaubwürdiger für alle Beteiligten und Leser, um Probleme anzugehen und zu lösen.