Sind die Russen die neuen Juden?

Achtung: ein gewagter, aber begründbarer Vergleich in Frageform.

Schlupflöcher schliessen, Sanktionen verschärfen, Vermögen beschlagnahmen. Russe, reich, zwei ausreichende Gründe, den Rechtsstaat in die Tonne zu treten. Zumindest fordern das einige.

Der «Tages-Anzeiger»-Konzern hat vor der Parlamentsabstimmung über die mögliche Waffenlieferung an die Ukraine via Drittstaaten eine Kampagne gefahren, um den Befürwortern Schub zu geben. Vergeblich, die «Lex Ukraine» scheiterte im Nationalrat endgültig und ist vom Tisch.

Der Druck aus dem Ausland auf die Schweiz steigt, dass sie sich energischer an den Sanktionen gegen Russland beteiligen solle, jegliche Vermögenswerte russischer Firmen oder Personen im Zugriffsgebiet der Schweiz sollten am besten beschlagnahmt werden. So behauptet ein kleines US-Licht im «Tages-Anzeiger»: «Neutralität hilft nur noch Moskau». Die Schweiz solle alle russischen Vermögen suchen und «aktiv prüfen». Sie stünden «seit letztem Jahr unter einem Generalverdacht».

Es ist den USA – oder der EU – unbenommen, in ihren Herrschaftsgebieten ein paar rechtsstaatliche Grundsätze über Bord zu werfen. Damit beschädigen sie zwar die Fundamente des zivilisierten Zusammenlebens, aber da wollen wir uns nicht einmischen.

Wir wollen aber nochmals darauf hinweisen, dass die deutschen Rüstungsmittelexportgesetze genau wie die schweizerischen glasklar die Ausfuhr von Waffen in Kriegs- oder Krisengebiete untersagen. Natürlich auch via Drittländer, sonst hätten diese Restriktionen ja ein Loch, grösser als ein Scheunentor. Nun hält sich Deutschland nicht an seine eigenen Gesetze.

Auch das ist deren Problem, obwohl Deutschlands historisch gesehen recht kurze Geschichte als Rechtsstaat die Regierenden davon abhalten sollte, einen solchen Murks zu veranstalten. Aber immerhin hat der Schweizer Bundespräsident Alain Berset bei einem Besuch in Berlin gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Scholz klargestellt, dass sich die Schweiz an ihre Gesetze halte. Eigentlich eine überflüssig-selbstverständliche Bemerkung. Aber nicht mehr in den heutigen Zeiten.

Auch beim Treffen von 45 Regierungs- und Staatschefs in der Moldau hat Berset dem teilnehmenden Selenskyj zu erklären versucht, was die Schweizer Neutralität ist, was in ihr erlaubt ist und was nicht. Ob das der autokratische Präsident eines zutiefst korrupten Staates verstanden hat?

Aber das ist dessen Problem. Die Schweiz hat ihre eigenen. Vor allem zwei. Nicht nur aus dem Ausland, konkret von den G-7-Staaten, wird der Druck auf die Schweiz erhöht, sich über klare Vorschriften und Gesetze hinwegzusetzen. Nach der Devise: der gute Zweck, die Bestrafung Russlands für seine Ukraine-Invasion, heilige auch schlechte Mittel. Das wird leider auch in der Schweiz von einigen Medienschaffenden befürwortet. Sowohl, was Waffenlieferungen betrifft, wie auch, was eine illegale Ausweitung der Sanktionen betrifft.

Dabei ist die unkritische und ungeprüfte Übernahme von USA- und EU-Sanktionen schon für sich rechtsstaatlich mehr als fragwürdig. Unser zweites Problem: Der Bundesrat beschliesst das in eigener Regie. Das Parlament hat kein Mitspracherecht, die Betroffenen können nicht den Rechtsweg beschreiten. Ihnen wird also ein fundamentales Recht des Rechtsstaats genommen. Jeder, der vor allem von einer staatlichen Zwangsmassnahme betroffen ist, kann sich vor Gericht dagegen wehren. Hier aber nicht.

Der Bundesrat masst sich die Kompetenzen der Legislative und der Judikative an. Wer sich mangels Alternativen als Betroffener von Sanktionen an ihn wendet, bekommt schlichtweg keine Antwort. Das ist schrecklich, eines Rechtsstaats unwürdig.

Aber das ist erst der Anfang dieses Irrwegs. Die Stimmen werden immer lauter, die fordern, dass alle jüdischen, Pardon, russischen Vermögen unter einen Generalverdacht gestellt werden. Nach der einfachen Devise: Russe, reich, Räuber.

Es gibt fundamentale Prinzipien eines funktionierenden Rechtssystems. Dazu gehört die Unschuldsvermutung. Niemand muss seine Unschuld beweisen, jedem muss seine Schuld über jeden vernünftigen Zweifel hinaus nachgewiesen werden. Im Zweifel für den Angeklagten; sollte es an seiner Schuld doch noch Zweifel geben, ist zu seinen Gunsten zu entscheiden, nicht gegen ihn. Dann braucht es einen Anfangsverdacht, und der darf nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe bestehen. Solche Zustände hatten wir zuletzt in den dunklen, braunen Zeiten, als in Deutschland und darüber hinaus jeder Jude unter dem Generalverdacht stand, seine Besitztümer unrecht erworben zu haben – weshalb man sie ihm skrupellos und ohne die Möglichkeit zur Gegenwehr wegnehmen konnte.

Jüdische Vermögen standen damals auch unter einem «Generalverdacht». Besonders kritisiert wurde, dass Juden versuchten, ihre Besitztümer in Sicherheit zu bringen. Typisch, verschlagen, hinterlistig. Schon damals mit entsprechenden Konstrukten wie Trusts, Holdings und Auslagerungen. Was völlig legal war. So wie solche Konstruktionen heute völlig legal sind, auch wenn sie von Russen verwendet werden. Ausser, man kann im Einzelfall beweisen, dass es zu illegalen Taten kam. «Reicher Russe, das reicht», das kann ja nicht im Ernst das Prinzip eines Rechtsstaats sein. Auch nicht: «der wurde mal im gleichen Raum wie Putin gesichtet, das reicht doch.»

Wer so argumentiert, beschädigt den Rechtsstaat. Er wird zum Antidemokraten, wenn er darüber hinaus die Schweizer Neutralität für obsolet erklärt, Ausnahmen machen möchte. «Neutralität hilft Moskau», dieser Satz ist so dümmlich, wie wenn zu Zeiten des Dritten Reichs gesagt worden wäre: «Neutralität hilft Berlin, hilft Hitler». Natürlich hat die Schweizer Neutralität nicht dabei geholfen, Hitler zu besiegen. Aber sie hat immerhin das unbeschädigte Überleben der Schweiz ermöglicht, was bei allen unschönen Dingen damals keine kleine Leistung war.

Schon jetzt wird die Neutralität der Schweiz von Russland nicht mehr anerkannt, weil die Eidgenossen die Sanktionen übernehmen, obwohl sie nicht vom UN-Sicherheitsrat beschlossen wurden. Dass das nie passieren wird, ist keine Schweizer Schlaumeierei, sondern ein Konstruktionsfehler dieses UNO-Gremiums mit den Vetorechten der Supermächte.

Wer angesichts angeblich besonderer, spezieller, einmaliger Umstände eine Ausnahme vom Prinzip fordert, beschädigt dieses Prinzip schwer. Ohne dass damit der Ukraine gross geholfen oder Russland grosser Schaden zugefügt worden wäre.

Der Hinweis hilft sicherlich, dass das ganze Gedöns über Sanktionen und Waffenlieferungen von haargenau 10 Staaten der Welt aufgeführt wird, wenn wir die EU als eine Union betrachten. Über 160 Staaten, darunter Schwergewichte wie China, Indien oder Brasilien, haben sich dieser Politik nicht angeschlossen. Warum genau sollte es die Schweiz tun, unter Aufgabe ihrer Neutralität und ihrer rechtsstaatlichen Prinzipien?

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Stefan Millius

4 Kommentare
  1. Gisela Frey
    Gisela Frey sagte:

    Was für eine Erleichterung, diesen Artikel zu lesen. Ich fürchte, dass man das in Deutschland nicht mehr zu lesen bekommt. Wie ist es möglich, dass die Deutschen ihre eigene Geschichte vergessen haben. Die augenblickliche Entwicklung , die Kriegsbegeisterung, die an die Zeit vor einhundertzehn Jahren erinnert, macht mir Angst. Und der Umgang mit Russen (und russischen Künstlern) natürlich auch.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Herr Zeyer, ich meckere nicht an Ihnen rum, ich bin dankbar, dass Sie sich an gewagte Vergleiche heran wagen – und weiter für unseren Rechtsstaat beten. Hoffen?

    Den doch der Bundesrat (und das nickende, kuschende Parlament) schon längst per Notgesetze und die monatlichen Lohnzahlungen an die braven Richter im Land ausgehebelt hat.

    Wenn die U$A und ihre WackelDackel EUnuchen ‹die Fundamente des zivilisierten Zusammenlebens› kontinuierlich demontieren, dann werden wir 1-1 mit aufgemischt. SO LANGE wie wir Landesverräter am Ruderli haben, die alle nur auf Mandate, Pösteli und Pensionen bei den Multis, Holdings und internationalen Institutionen schielen.
    Als Belohnung, wenn sie den Ausverkauf der Schweiz (bzw uns Doofis) ein paar Jährchen brav voran getrieben haben.

    Die ‹Justiz› hilft uns da leider keinen Deut, die sind verbandelt, um es nett zu sagen.
    Und die Medien sorgen dafür, dass die Mäährheit am 18.Juni nochmals Ja zum Covid-Joch sagen wird, dem Aufgalopp zum Ende der Rechtsstaatlichkeit hin.

    Und zu den unbotmässigen Vergleichen von Russen, Juden, allen Menschen dritter Klasse, fallen mir noch die Neuen Neger*innen ein, die in Restaurants, Museen oder auf den gute Bürger steigen als Gefahrenobjekte ausgeschlossen wurden. Sehr schwer im braunen Bereich, aber das hört die solidarisch mitmachende Mehrheit gar nicht gern.

    Und dass Alain Berset sich für eine Schweiz einsetze, die sich an ihre Gesetze halte, ist ein rein taktisches Schauspielchen – er ist der Chef-Ausverkäufer unseres Landes an die globalistischen Gangster-Organisationen.
    Bei Scholz wissen wir einfach, mit was er erpresst wird, damit er spurt und nicht abserviert wird.
    Bei Tedros wiederhole ich mich nicht, nur korrigiere ich: er ist ein äthiopischer Verbrecher.
    Bei Berset kursieren höchstens Gerüchte über seine Irrflüge. Er funktioniert prächtig, darum ist er immer noch in seinem ‹Ehren’amt.
    Die Welt-Mafia weiss, wie sie sich organisiert.

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  3. Manfred
    Manfred sagte:

    Während Corona dachte man, unsere Medien könnten nicht mehr tiefer sinken. Wie man sich doch täuschen kann. Es scheint immer noch einen tieferen Tiefpunkt zu geben – allen voran beim einstigen Weltblatt der NZZ. Diese NATO-Hörigkeit, dieser Agenda-Journalismus ohne objektive Berichterstattung dürfte wohl einmal zum Standard-Lehrmittel für politische Propaganda gehören.

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Russland ist ein Vielvölkerstaat. Vielschichtig und für den Westler schwer durchschaubar.
    Die Liebe zum Geld müsste doch eigentlich zum einigenden Band aller Völker werden.
    Nee, dem Iwan verzeiht man solches nicht.
    1968 Grossdemo in Zürich (war absolut berechtigt) eine Gruppe junger Männer trug
    ein grosses Transparent mit der Botschaft:»Nur ein toter Russe ist ein guter Russe».
    Eigentlich schockierend. Doch vom WK her hatte man sich zum «Glück» schon an einiges gewöhnt.

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