Es darf gelacht werden
Raphaela Birrer und die «Qualität».
Normalerweise wartet man 100 Tage ab, um eine erste Bilanz des Wirkens zu ziehen. Bei Birrer reichten zehn Wochen, damit sie von persoenlich.com interviewt wurde. Wobei man sagen muss, dass sich Christian Beck am neuen Tagi-Stil ein Beispiel nahm. Was wollten Sie schon immer mal sagen, unbelästigt von kritischen Fragen?
Zuerst der Pflichtteil. Birrer sei zum ersten Mal am SwissMediaForum gewesen, wie war’s? «Es wird bei solchen Treffen stets klar, dass die grossen Schweizer Medienhäuser mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind.»
Unglaublich, da könnte man meinen, die hätten alle völlig unterschiedliche Herausforderungen. Und wie geht’s denn intern so? Da bekommt Birrer Gelegenheit, sicherlich ungewollt gegen ihren Vorgänger zu keilen: «Spürbar dürfte auch die offene, transparente Kommunikation sein, mit der wir die Redaktion über all diese Schritte informieren.» Was ja heisst: vorher war das anders …
Nun aber in medias res, wie der Lateiner sagt, wichtigste Entscheidungen bislang? «Es gibt überall viel zu tun, wir können nicht alles gleichzeitig lösen.» Wie wahr, aber geht’s auch konkret? «Ich habe mich entschieden, zuerst in das redaktionelle Klima und in strukturelle Massnahmen zu investieren. Ich möchte, dass die Mitarbeitenden jeden Tag gerne und motiviert auf die Redaktion kommen.»
Das unterscheidet Birrer sicher auch von ihrem Vorgänger; der wollte bekanntlich, dass die Mitarbeitenden (oder vielleicht auf Deutsch die Mitarbeiter) ungern und demotiviert kamen. Etwas bedeckt hält sich Birrer, allerdings, was die neue CEO aus Deutschland betrifft: «ich kenne sie noch nicht. Ich freue mich, sie bald kennenzulernen, und auf die künftige Zusammenarbeit mit ihr.»
Und dann noch die ganz harten Fragen; Sexismus- und Mobbingvorwürfe beim «Magazin», «wie war das für Sie?» – «Die Tage im Februar waren für viele in unserem Haus ein anspruchsvoller Moment.» Das ist mal eine echt coole Antwort. Sozusagen eine tiefgefrorene Null-Antwort.
Diese Marotte pflegt Birrer auch bei der Frage, ob es in Bern oder Basel goutiert wird, dass die Mantelredaktion nicht mehr Tamedia heisst, sondern «Tages-Anzeiger»: «Wir bieten nach wie vor dasselbe Angebot für alle – der einzige Unterschied ist unser neuer alter Name. Insofern fallen die Reaktionen positiv aus.»
Klar, die Basler lieben die Zürcher, und die Berner kriegen sich vor Freude gar nicht ein.
Aber einen echten Knaller hat Birrer noch bis fast zum Schluss aufgespart:
«Wer mich kennt, weiss, dass der Qualitätsanspruch für mich die zentrale Richtschnur ist.»
Wunderbar, und wie soll das gehen, bei Kosteneinsparungen von 70 Millionen bis Ende 2023? Also mehr Qualität bei weniger Quantität? «Es ist kein Geheimnis, dass die finanzielle Bilanz für Tamedia zuletzt negativ ausgefallen ist. … Deshalb ist es nicht überraschend, dass Tamedia auch die Kostenseite im Blick behält.»
Nein, überraschend ist diese Antwort nicht, eher gähnlangweilig. Und was hat sich Birrer denn für ihre verbleibende Amtszeit vorgenommen? Da sind wir nun platt: «Ich möchte mehr Leserinnen und Leser erreichen, um unsere Marke zu stärken und zusätzliches Publikum an die Paywall zu bringen.»
Ob ihr das allerdings mit all diesen Schwachmaten und Leichtmatrosen gelingt, die seit ihrem Amtsantritt unablässig das Wort ergreifen dürfen und sich um woken Pipifax kümmern, der den Leser null interessiert?
Aber vielleicht will Birrer das zusätzliche Publikum eben nur «an die Paywall bringen», also gar nicht zum zahlenden Eintritt bewegen. Vielleicht will sie auch, dass das zusätzliche Publikum hier zuschaut, wie vergrätzte ehemalige Zahler die Paywall von der anderen Seite her durchbrechen …
Wissen Sie, wer dieses öfters zu sehende, sehr süsse und fröhliche Mädchen neben dem Affen ist, Herr Zeyer? Für Mitteilung wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Besten Dank und freundliche Grüsse
Bitterli@tic.ch
Leider nein. Es handelt sich um eine Fotomontage, deren Herkunft mir nicht bekannt ist.
Raphaela Birrer träumt im gleichen Interview: «Ich möchte den Tagi konsequent als nationales Leitmedium im Qualitätsjournalismus positionieren». Tagi-Belle, Leitmedium?
Mit dieser einseitig ausgerichteten Redaktion, Einfalt statt Vielfalt. Beispiel heute «Andreas Glarner betreibt «Doxing» – was hinter dem Phänomen steckt» (gegen den Artikel ist nichts einzuwenden) aber wenn linke Frauen, Parlamentarierinnen, gegen Binswanger hetzen Totenstille. In der Auslandberichterstattung (auch Kultur und Gesellschaft) wäre dann die «Süddeutsche» aus München das nationale Leitmedium. Politik Inland müsste eine Redaktion geschaffen werden die diesen Namen verdient (geht nicht wegen Sparvorgaben).
Birrer kann sich die Träume abschminken mit dem Kaderimport aus Deutschland Jessica Peppel-Schulz, CEO ab Oktober 2023, und Müller von Blumencron, auch Import aus Deutschland, kann Tagi-Belle sich mit BLICK um den Titel «Bestes Boulevard-Medium der Schweiz» messen, mehr nicht!
Wurde dieses Interview gar schriftlich geführt? Deklariert ist es zwar nicht so.
Die unverfänglichen Antworten von Frau Birrer, lassen jedoch genug Rückschlüsse zu. Gut beobachtet René Zeyer.