Was für ein Schwätzer

Tamedia-Leute, fürchtet Euch! Müller von Blumencron hat gesprochen.

Mathias Müller von Blumencron (wir gestatten uns, ihn der Einfachheit halber Müller zu nennen) hat eine durchwachsene Karriere hinter sich. 2008 war er in die für ihn viel zu grossen Fussstapfen des «Spiegel»-Chefredaktors Stefan Aust getreten. Zusammen mit Georg Mascolo, denn die Überlegung war soweit richtig, dass es mindestens zwei Leichtgewichte für das Schwergewicht Aust brauche.

2013 dann das Aus, beide wurden gefeuert. Seither irrlichtert er durch die deutsche Presselandschaft, mal als «Chefredakteur digitale Medien» der FAZ. Der Kurzzeitjob dauerte von 2013 bis 2018. Dann sollte er mal Co-Chefredakteur des «Tagesspiegel» werden. Dauerhafter ist sein Einsatz bei Tamedia. Seit 2013 ist er dort «Beirat für Digitalisierung», dann Verwaltungsrat. Und seit dem abrupten Abgang von Marco Boselli ist er nun «interimistisch» der Leiter «Publizistik und Produkt» der Tamedia-Bezahlzeitungen.

Das ist immerhin eine gute Nachricht für «20 Minuten». Trotz seiner zehnjährigen Tätigkeit als Digitalisierungs-Guru ist Tamedia digital schwach auf der Brust und verfehlt eins ums andere Mal die gesteckten Ziele deutlich. Das hat dann Boselli den Kopf und die Anstellung gekostet, aber doch nicht dem digitalen Beirat und Verwaltungsrat Müller.

Der hat nun dem ehemaligen «Medienwoche»-Chefredaktor Nick Lüthi in seiner neuen Funktion als persönlich.com-Redaktor ein Interview gegeben. Das hätte er vielleicht nicht tun sollen. Denn wenn Worte leichter als Bytes sind und der Inhalt des Gesagten weder Schall noch Rauch ist, dann muss sich der Tamedia-Mitarbeiter zu recht vor der digitalen Zukunft fürchten.

Ein harsches Urteil: Ja, aber wohlverdient. Wir zeigen mal einige Luftblasen im Schnelldurchlauf:

«Wir wollen schneller mehr digitale Abonnentinnen und Abonnenten gewinnen. … wir hoffen sowohl beim Tages-Anzeiger als auch in Bern, in Basel und im Zürcher Umland noch überzeugender für unser Publikum zu werden … wir können niemanden zwingen, ein Abo zu kaufen, wir können nur überzeugen. Die Nützlichkeit des Journalismus spielt deshalb heute eine viel stärkere Rolle als früher … wir wollen noch verlässlicher auf der schnellen Ebene sein, noch gründlicher in Analysen und Storys … für jede dieser Kompetenzen, also Newsmanagement, Storys und Nutzwert sowie Podcasts und digitale Innovationen, ist ein Mitglied der neuen Chefredaktion verantwortlich … wenn die Antwort dagegen Tages-Anzeiger lautet, sagen alle, klar, kenne ich … einmal geht es darum, im Kleinen das Grosse zu entdecken. Dann gibt es auch die Spielart, das Grosse herunterzubrechen auf die unmittelbare Umgebung … wir entwickeln etwa gerade mikrolokale Newsletter, die kleine Areale abbilden … wir müssen natürlich aufpassen, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen nicht überfordern … ich bin in vielen Punkten absolut begeistert, was für eine Power, was für eine publizistische Leidenschaft in Redaktionen und Verlag steckt … wir sind zu langsam vorangekommen in den letzten Jahren. Insofern wollen und müssen wir uns nun schneller bewegen … im Moment gucken weder Andreas Schaffner noch ich auf die Uhr, sondern überlegen ständig, wie wir gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen am besten vorankommen.»

Bevor der ZACKBUM-Leser um Gnade winselt: wir mussten uns von vorne bis hinten durch diese schlecht gebackene lauwarme Luft quälen, ohne dass ein Sauerstoffzelt zur Wiederbelebung zur Verfügung stand.

Wer alleine die x-te Umbenennung eines Titels, eines Konzernbestandteils damit begründet, dass niemand den Namen Tamedia kennen würde («Aber wenn jemand fragt, wo man arbeitet, und die Antwortet lautet dann Tamedia, sagen viele Leute: Das habe ich aber noch nie gehört»), während in Bern oder Basel die Sympathiewerte nach oben schnellen, wenn man sagt «ich arbeite beim «Tages-Anzeiger»», der hat sich bereits restlos disqualifiziert. Wer seit zehn Jahren für das Digitale mitverantwortlich ist und zugeben muss, dass die Vorgabe 200’000 Digitalabos mal wieder elend gerissen wurde, ist disqualifiziert.

Wer ein ganzes Interview lang keinen einzigen Satz von sich gibt, dem man eine gewisse inhaltliche Relevanz zubilligen könnte, ist dermassen disqualifiziert, dass ihm eigentlich nochmals widerfahren sollte, was er aus seiner Karriere sehr gut kennt. Eine Trennung «aufgrund unterschiedlicher Auffassungen». Aber leider ist es so: wenn der oberste Boss auch nicht wirklich weiss, was er will (oder kann), dann regiert er mit Bauernopfern (Boselli, Rutishauser), beruft Mediokres an entscheidende Positionen (Birrer, Hasse) und lässt Dampfplauderer um sich sein, die ihm wie Müller in keiner Art und Weise das Wasser abgraben könnten. Und man kann sich nicht wegen unterschiedlicher Auffassungen trennen, wenn einer gar keine hat …

Es ist richtig, dass auch in der Schweiz alle Medienkonzerne herumeiern, wie sie dem ja absolut neuen Phänomen des Internets und des Digitalen begegnen sollen. Wie sie sich nicht weiter von Google, Facebook, Amazon & Co. die Butter vom Online-Werbemarkt nehmen lassen wollen. Aber im Vergleich zu diesem hilflosen Gestammel sind NZZ, CH Media und Ringier sehr gut aufgestellt. Wer ihnen Übles will, könnte ihnen eine Mitarbeit von Müller ans Herz legen. Aber dafür dürften dort die Entscheidungsträger zu schlau sein.

10 Kommentare
  1. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    Sarkastisch gesagt, lebt der Tagesanzeiger bloss noch von den Todesanzeigen. Je mehr gestorben wird, desto besser für‘s Geschäft. Traurig aber so wahr.

    Diese „Group“ hat alle Diamanten outgesourced (Homegate, Goldbach, Ricardo). Dieses suizidale Programm bringt diese Zeitung ins Sterbegrab. Dumm gelaufen, Herr Supino!

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    • Stefan Gross
      Stefan Gross sagte:

      darben lassen, behindern, verkümmern lassen, vernachlässigen, aushungern.

      Dieser Zeitung wurde die Substanz genommen.

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  2. Marcella Kunz
    Marcella Kunz sagte:

    Kritische Leserkommentare zu Pandemiemassnahmen, zur Klima»krise» etc. nicht veröffentlichen, aber gerne Abos verkaufen? In welcher Welt leben diese Tamedia-Genies? Non merci. Die Marke «Tages-Anzeiger» ist heruntergewirtschaftet und lebt nur noch, mehr schlecht als recht, von rot-grün-feministischen EU-Anhängern.

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  3. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    MvB am 27.06.2013 in der FAZ:
    „Die F.A.Z. hat ein riesiges Potential in der digitalen Welt: Sie ist überaus klug, meinungsstark, originell, kreativ. Sie hat all das, wonach sich der Leser im deutschsprachigen Internet sehnt“.

    Zeyer hat recht, der Mann ist ein Schwätzer, ähnliche Sprechblasen in der FAZ wie im Interview mit Lüthi. Er passt hervorragend zur Schwatz- und Belehrungsbude Werdstrasse. Auch weil er Realist ist, im Gegensatz zu Supino nicht von Qualitätjournalismus gesprochen oder gar gefordert hat.

    MvB im Interview: «Der Tages-Anzeiger und die Regionalzeitungen boten schon bisher eine sehr gute Orientierung». Ein bemerkenswerter Satz der eindrücklich belegt dass der Mann keine Ahnung hat wovon er spricht. Die «Orientierung», respektive Angebot wurde in den letzten Jahren im TA und in den RZ massiv abgebaut. Beispiel: Berichte über Gemeindeversammlunges, Sitzung des Kantonsrat oder des Gemeinderates von Zürich, nur noch minimale Berichte, fokussiert auf «Topthemen», sogar Tsüri.ch berichtet umfassender und kompetenter über die Gemeinderatssitzungen der Stadt. Auch Kultur nur noch Randthema, oder wenn Frau Hemmel den Ödipus im Schauspielhaus lobt den sie nicht verstanden hat, aus deutschem Nationalismus den Intendanten zur Seite stehen will!

    Mit MvB ist ein weiterer Player im Spiel der die Abwärtsspirale von TAmedia sichert. Er ist an der Werdtsrasse richtig!

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  4. Niklaus Fehr
    Niklaus Fehr sagte:

    Es gibt einfach keinen Grund für Private, irgendein Abo abzuschliessen. Die Printzeitungen gibt es in Restaurants und Cafés und im digitalen Bereich sind zuviele alternative Gratisinhalte verfügbar. Artikel hinter Bezahlschranken erscheinen zeitverzögert irgendwann auf Gratisplattformen. Das mit den Zeitungsabos funktioniert einfach nicht mehr. Es ist vorbei. So eine Wende kann man nicht rückgängig machen.

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  5. Mario Sacco
    Mario Sacco sagte:

    Der verkrustete Tagesanzeiger braucht ein Guerilla-Marketing vom Feinsten:

    1. Überraschung
    2. (noch mehr) Überraschung
    3. Überrumpelung , Verblüffung, Staunen, Wow

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Überrumpelung findet bereits jetzt statt. In der UK nennt man dies „shrink inflation“. Der Inhalt der Verpackung wird einfach stillschweigend reduziert – und der Verkaufspreis bleibt trotzdem gleich.

      Kommt der Moment, wo der Konsument dieses Betrug nicht mehr goutiert.

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  6. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Vergessen sie nicht Priska Amstutz, der zukünftig neuen Chefin für redaktionelle Innovation. Sie dürfte neue Zielgruppen im Visier haben, die wir jetzt noch nicht kennen dürfen. Als ehemalige Chefredaktorin des Kundenmagazin „Kuoni Reisen“ und als Leiterin von Annabelle Digital hat sie bestimmt ein geerdetes Fundament für wegweisende Projekte. Priska Amstutz liegt es sehr am Herzen, der Leidenschaft für lebensfrohen Journalismus zum Durchbruch zu verhelfen.

    Frau Amstutz möchte bestimmt dem bierernsten Approach und der Melancholie beim Tagesanzeiger-Flagship den Kampf ansagen. Lebensfrohe Innovation wird ihre Rezeptur sein.

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    • Lukas Mehr
      Lukas Mehr sagte:

      Spassmachen bestimmt wichtig im TA. Zweifle allerdings, ob Amstutz mit ihrer Vergangenheit als damalige Projektleiterin «Diversity und Inclusion» die richtige Person ist dafür. (Schweizer) Frauen verstehen bekanntlich keinen Spass.

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