Haut die Wagenknecht

Medien als Meinungsträger statt Berichterstatter.

Hand aufs Herz: wie viele Teilnehmer hatte die Friedensdemonstration letzten Samstag in Berlin? Waren es 13’000, wie die Polizei und viele Medien behaupten? Waren es 50’000, wie die Veranstalter und wenige Medien behaupten? Oder waren es «viele tausend» worauf sich Tamedia und andere Schweizer Medienkonzerne zurückziehen?

Es erinnert etwas an eine Anti-Coronapolitik-Demonstration zu Bern, als die Schweizer Medien nur knirschend und unter Druck einräumten, dass sie mit der Zahl der Teilnehmer schwer untertrieben hatten. Als ob es heutzutage nicht bis auf den Kopf genau möglich wäre, die Anzahl Teilnehmer an einer Manifestation zu bestimmen.

Aber das ist ja nur ein Aperçu im Rahmen der ausgewogenen Berichterstattung über die Ziele dieser Manifestation. Inzwischen haben, wie der Autor René Zeyer, fast 700’000 Menschen das «Manifest für den Frieden» unterschrieben, während Gegenmanifeste (und Gegenmanifestationen) lediglich ein paar Verkrümelte mobilisieren konnten.

Aber das alles ist für die Leitmedien kein Anlass, wenigstens korrekt über Absichten, Ansichten, Reden und Inhalte zu berichten. Um dann anschliessend den Senf dazu zu geben. Zunächst einmal geht es gegen die beiden Initiantinnen. Alice Schwarzer, die für die Emanzipation der Frauen im deutschen Sprachraum alleine mehr getan hat als alle sogenannten Feministinnen in der Schweiz zusammen, kann von ihrem Renommee her nicht so einfach weggeräumt werden. Also wirft man ihr vor, sie habe doch keine Ahnung von Politik und solle sich gefälligst weiter um Frauenfragen kümmern.

Das geht nun bei Sahra Wagenknecht schlecht. Also wird ihr von ihrer politischen und sozialen Genese in der ehemaligen DDR, über angebliche Verherrlichung des Stalinismus bis hin zu Moskauhörigkeit und dem Handeln als nützliche Idiotin Putins so ziemlich alles vorgeworfen, mit dem man eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeiden kann.

Eine herausragende Rolle bei all diesen Denunziationen spielt auch, dass sich angeblich «vereinzelte Rechte und Rechtsradikale unter die Teilnehmer gemischt» hätten. Die Mitbegründer der deutschen Grünen, Petra Kelly und Gert Bastian, bekämen das grosse Kotzen, würden sie noch leben, wenn sie das Gewäffel des grünen Vizekanzlers Robert Habeck hören müssten: «Das ist kein Frieden, das ist eine Chimäre, die da aufgebaut wird, das ist eine politische Irreführung der Bevölkerung

Selbst aus ihrer eigenen Partei, der «Linken», wird Wagenknecht angegriffen, so behauptet die stellvertretende Parteivorsitzende: «Aber diese Demonstration hatte nichts mit linker Politik, gar mit linker Friedenspolitik zu tun

Besonders sauer stossen kriegerischen Friedenstauben Sätze von Wagenknecht wie dieser auf: «Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener russischen Frauen und Männer geschossen wird, deren Urgrosseltern tatsächlich von der Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden.»

Ds ist nun eine durchaus vertretbare Position, über die man, wie über den gesamten Inhalt des Friedensmanifests, trefflich inhaltlich streiten könnte. Stattdessen werden selbst die absurdesten Behauptungen aufgestellt: «Gleichsetzungen von Baerbock mit Hitler, wie sie unter den Teilnehmenden zu sehen waren, wurden nicht von der Bühne zurückgewiesen. In meinen Augen eine unfassbare Relativierung des Faschismus.»

Es ist also die Aufgabe einer Demonstrationsleitung, jedes einzelne Plakat einer Massendemonstration auf seine Korrektheit zu überprüfen und – sollte es durchfallen – von der Bühne aus zu kritisieren? Das könnte Anlass für eine saukomische Satire sein, wenn es nicht so beelendend mies und denunziatorisch wäre.

Nochmal Hand aufs Herz: welcher Leser könnte – nach Lektüre der Mainstreammedien und aufmerksamer Beobachtung der Berichterstattung im Schweizer Farbfernsehen – die wichtigsten Forderungen der Demonstration wiedergeben? Wer könnte eine Zusammenfassung der dort gehaltenen Reden machen? Wer kann behaupten, ein realitätsnahes Bild der politischen Verortung der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer erhalten zu haben?

Positionen wie diejenige von Wagenknecht und Schwarzer, Ansichten der Hunderttausenden von Unterzeichnern und Zehntausenden von Demonstrationsteilnehmern können falsch sein, kritisiert werden, argumentativ in der Luft zerrissen.

Nur findet das nicht statt. Es wird auf den Mann, Pardon, auf die Frau gezielt, nicht auf deren Argumente. Es wird unterstellt, assoziiert, es werden angebliche Haltungen («moskauhörig») unterstellt. Ist die Vermutung abwegig, dass das alles aus Mangel an Gegenargumenten geschieht?

Ist die Vermutung abwegig, dass diese Art der Berichterstattung wieder ein Schlag ins Kontor ist, was das wichtigste Asset der Medien betrifft? Nämlich ihre Glaubwürdigkeit als Bote, wo sich der Botschafter mitsamt seinen Ansichten nicht wichtiger nimmt als die Nachricht selbst.

Denn Wertungen und Kritiken nimmt man doch nur demjenigen ab, der zuvor bewiesen hat, dass er in der Lage ist, ein Ereignis korrekt zusammenzufassen und seine wichtigsten Elemente dem Leser mundgerecht zu servieren. Aber wer die Nachberichterstattung schon mit diesem Lead beginnt, hat bereits verloren:

«Selbst in der eigenen Partei hagelt es Kritik für die prominente Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrem sogenannten «Manifest für Frieden»».

Und die Zustimmung in der eigenen Partei? Und wieso «sogenannt»? Hat das auch nur im entferntesten mit handwerklich korrektem, professionellen, kompetenten Journalismus zu tun? Die Frage stellen, heisst sie beantworten.

7 Kommentare
  1. Adrian Podesser
    Adrian Podesser sagte:

    Gleichgültigkeit ist eine schlimme Form der Unmenschlichkeit.
    Wenn jemand nicht ohne wenn und aber diesen Angriffskriege von Putin verurteilt dem ist seine emotionale Intelligenz abhanden gekommen.
    Jeglicher Versuch, der diesen Angriffskrieg zu erklären / rechtfertigt versucht ist an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten.
    Putin go home.

    Antworten
  2. Martin Lopez
    Martin Lopez sagte:

    Da in den Medien nicht über die Sache und den Inhalt berichtet wird, sondern nur gegen Personen geschossen wird, hier die Abschrift des Grusswortes von Jeffrey Sachs.

    So kann sich jeder auch zu Inhalten seine eigene Meinung bilden.


    Hallo,

    Ich bin Jeffrey Sachs, Universitätsprofessor an der Columbia University.
    Danke für Ihren Einsatz für den Frieden!

    Ich war Berater der Regierungen Russlands, der Ukraine und der Vereinten Nationen und ich möchte mit Ihnen über die Wahrheit über diesen Krieg sprechen. Wir befinden uns nicht am einjährigen Jahrestag des Krieges. Dies ist der neunte Jahrestag des Krieges. Der Krieg begann mit dem gewaltsamen Sturz der ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Ein Putsch der von der Regierung der Vereinigten Staaten lanciert wurde.

    Von 2008 an drängten die Vereinigten Staaten auf die NATO-Erweiterung in der Ukraine und Georgien. Janukowytsch wollte Neutralität. Er stand zwischen den USA und ihrem Ziel dieser NATO-Erweiterung. Als die Proteste gegen Janukowytsch ausbrachen, Ende 2013, ergriffen die USA die Gelegenheit, um die Proteste eskalieren zu lassen und sie trugen zu dem Putsch gegen Janukowytsch im Februar 2014 bei.

    Das war der Anfang des Krieges, neun Jahre zuvor. Seitdem hat Russland die Krim erobert. Der Krieg im Donbass brach aus. Die NATO spielte Milliarden von Dollar an Aufrüstung an die Ukraine. Der Krieg eskalierte immer weiter. Das sogenannte Friedensabkommen von Minsk 1 und 2, bei dem Deutschland als Co-Garant fungierte, funktionieren nicht, weil die Ukraine sich weigerte sie umzusetzen und weil Deutschland und Frankreich keinen Druck zur Durchführung ausübten.

    Ende 2021 machte Präsident Putin klar, dass die Rote Linie für Russland die NATO-Erweiterung in der Ukraine ist. Putin machte klar, dass Russland die Kontrolle über die Krim behalten muss und dass mit dem Donbass auf der Grundlage des Minsker Friedensabkommen 1 und 2 verfahren werden muss. Joe Biden und das Weisse Haus lehnten es jedoch ab, über die NATO-Erweiterung zu verhandeln. So fand die russische Invasion tragischerweise und zu Unrecht im Februar 2022 statt. Acht Jahre nach dem Janukowytsch-Putsch.

    Die Vereinigten Staaten haben seitdem massiv aufgerüstet. Und die Zahl der Toten und die Zerstörung ist fürchterlich. Im März 2022 erklärte die Ukraine, dass sie auf der Grundlage der Neutralität verhandeln würde. Wir wissen jetzt, dass die Vereinigten Staaten diese Verhandlungen blockierten und eine Eskalation des Krieges favorisierten.

    Im September 2022 wurden die Nordstream-Pipelines gesprengt. Es gibt überwältigende Beweise, dass die USA die Zerstörung der Nordstream-Pipelines angeleitet haben. Wir befinden uns, meine Damen und Herren, auf einem Weg der schrecklichen Eskalation und der Lügen und des Schweigens in den Medien. Die gesamte Erzählung, dass dies erst der erste Jahrestag des Krieges ist, ist bereits eine falsche Erzählung.

    Dies ist ein Krieg, der mit der NATO-Erweiterung, der Beteiligung der USA an einem Staatsstreich und der massiven Aufrüstung der Ukraine begonnen hat. Und dann mit der schrecklichen Invasion Russlands und der Eskalation. Dies ist ein Krieg, der beendet werden muss, bevor er uns alle in ein nukleares Armageddon verwickelt.

    Danke für Ihre Bemühungen. Wir müssen die Wahrheit sagen. Beide Seiten haben gelogen und betrogen und Gewalt ausgeübt. Beide Seiten müssen sich zurückziehen. Die NATO muss den Versuch der Erweiterung um die Ukraine und Georgien stoppen. Wir müssen auf die Roten Linien beider Seiten hören, damit die Welt überleben kann!

    Vielen Dank für Ihre Bemühungen für den Frieden. Sie sind lebenswichtig.
    Vielen Dank!

    Quelle:
    https://www.youtube.com/watch?v=I4l63yN656A

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  3. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Das dumme Geschreibe unserer Journaille über Wagenknecht, Schwarzer und die Demonstration in Berlin ist zwar schlimm. Doch seit der Corona-Hysterie nicht mehr wirklich überraschend. Die weit grössere Schande ist die Kriegshetze gegen Russland für Deutschland, welches 20 Millionen Menschen in der damaligen Sowjetunion umgebracht und unvorstellbare Gräueltaten begangen hat. Heute wird in den deutschen Medien und in der deutschen Politik wieder ein Russenhass betrieben, der bei einem Joseph Goebbels die grösste Begeisterung auslösen würde. Die kraftvolle Demonstration in Berlin und das Friedensmanifest bedeuten für die Deutschen auch eine Ehrenrettung gegenüber der wieder überbordenden Kriegstreiberei beim nördlichen Nachbarn.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Deutschland unter Merkel hat immer versucht näher an Russland zu kommen, «Wandel durch Handel», hunderte deutsche Firmen haben sich in Russland nieder gelassen. Abkommen wurden geschlossen. Die Energieproduktion in Deutschland runtergefahren zugunsten von billigen russischen Gas. Putin hat im deutschen Bundestag eine viel beachtete Rede gehalten. Merkel hat auch nach dem russischen Überfall auf die Krim nicht gross reagiert. Der Kriegstreiber sitzt in Moskau und Goebbels hätte Freude an den Lügen und Verdrehungen von Putin und Lawrow.

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      • René Küng
        René Küng sagte:

        Brünneliante Analyse.
        Da können alle TagiTXBlickWanner Leser (plus fernSeher) problemlos folgen. Und die NZZ freut’s auch: mehr Waffen für mehr Umsatz.
        Wenn Andere solche Kurzschlüsse aneinanderreihen würden wie der Herr Brunner, dann tät’s bös tönen aus seiner Ecke.

        Mir kommen Sie manchmal vor wie ein AI chatbot, programmiert im WerteWesten und der Grundformel: alles Andere sind CoronaIdiotenPutinversteher.
        Gut gibt es Sie, dann weiss Frau Mann wie breit das Meinungsspektrum in alle Richtungen auf zackbum noch sein, darf.
        Damit kann ich leben.
        Schwierig wird’s für mich nur, wenn Sie mit dem Anstand ins Bodenlose ausbrechen (dürfen).
        Packungsbeilage für Ihre Antwort.

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          • Schorschli
            Schorschli sagte:

            Hier bin ich voll bei Ihrer Meinung. Und was der Putinverehrer Küng zusammenschwurbelt ist eh immer das Gleiche. Er hält sich wohl als besonders begabter aber verkannter Schreiberling.

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