Blöd, blind, «Blick»

Harte Zeiten für das kastrierte Boulevardmedium.

Es kommt knüppeldick für den «Blick». Zunächst macht sich der CEO und Mitbesitzer des Ringier-Verlags zum Deppen. In einer öffentlichen Veranstaltung verrät Marc Walder «ganz unter uns», dass er seine Redaktionen angewiesen habe, die Regierungen beim Kampf gegen die Pandemie konstruktiv zu unterstützen.

Sargnagel Nummer eins für die behauptete redaktionelle Unabhängigkeit und wichtiger Grund, dass die Subventionsmilliarde für reiche Medienclans an der Urne versenkt wurde.

Damals griff auch noch die Quotenfrau mit extrabreiter Visitenkarte ein. Ladina Heimgartner – wir holen tief Luft – ist Mitglied des Group Executive Board, Head Global Media, Head of Corporate Center und auch noch CEO der Blick-Gruppe. Sie bejubelte schon die «Verweiblichung» des «Blick», den Verzicht auf Blut, Busen und Büsis, auf den Sexratgeber, die Misshandlung des Logos.

Dann griff sie höchstpersönlich noch in die Tasten, als es längst klar war, dass die Steuermilliarde abschiffen würde. Unter völliger Wahrung der redaktionellen Unabhängigkeit machte sie sich mit einem Kommentar lächerlich. Darin behauptete sie doch ohne rot zu werden:

«Journalistinnen und Journalisten sind im Wissen um ihre Verantwortung der Gesellschaft und der Wahrheit verpflichtet. Es geht ihnen darum, Fakten ans Licht zu bringen und einzuordnen, damit sich die Leserinnen, Zuschauer, User ihre eigene Meinung bilden können.»

Das und die Floskel «Resilienz» sind ihre einzig bekannten Beiträge zur Förderung des Journalismus.

Besonders putzig wirkt dieser Kommentar im Nachhinein, weil währenddessen ein reger Austausch zwischen dem Departement Berset und Ringier-CEO Walder stattfand. Der dirigierte aus dem Homeoffice, voll von hysterischer Angst vor dem Virus, die wohlwollende mediale Begleitung und Antizipation der Entscheidungen des Bundesrats.

Im Nachgang zur Enthüllung der «Schweiz am Wochenende» zählte der «Tages-Anzeiger» ganze 180 Mailkontakte zwischen dem Kommunikationschef Bersets und Walder. Der behauptete nassforsch, es habe da höchstens so einen Kontakt pro Woche gegeben. Mehrere pro Tag wäre realitätsnäher.

Sowohl Kommunikationschef wie Bundesrat verweigerten die Antwort auf die Frage, ob in diesen Kontakten auch vertrauliche Informationen weitergeleitet wurden. «Inside Paradeplatz» hingegen wirft die Frage auf, ob die Vorabinformation, dass der Bundesrat wohl den Ankauf von Impfstoffen im Wert von 100 Millionen Franken beschliessen werde («klotzen, nicht kleckern») nicht börsenrelevant sei. Heikle Zusatzfrage.

Nun hat sich Bundesrat Berset auf das Allerheilmittel für alle Politikerbobos entschieden. Er habe von nix nix gewusst und im Übrigen sage er nix, er wolle sich ja nicht strafbar machen.

Seither ist die «Blick»-Gruppe ziemlich in der Bredouille. Die wenigen verbliebenen seriösen Journalisten fragen sich ernsthaft, ob man sie und ihre Arbeit überhaupt noch ernst nehmen kann. Zumal die betroffenen Organe seit Platzen des Skandals am Samstag über dieses und jenes berichtet haben. So vermeldeten sie den Rücktritt der deutschen Verteidigungsministerin oder dass Lehrer Angst vor Schülern haben.

Auch dass Salar Bahrampoori seine Hochzeitspläne verrate, ist eine Schlagzeile wert. Aber der «Blick»-Skandal? Informationspflicht an den Leser, Aufklärung, Rechtfertigung, Selbstkritik? Ach was, stattdessen zunächst Schweigen im Walde.

Denn zuerst musste natürlich die Führungscrew entscheiden, ob und wie man reagiert. Zunächst alle Optionen durchspielen, exklusive Rücktritt Walder. Und nach scharfem Nachdenken kam dann das Dreamteam Heimgartner und Dorer zur schlechtmöglichsten Lösung.

Wobei zu vermuten ist, dass Oberchefredaktor Christian Dorer gute Laune und Schwiegermuttertraum-Ausstrahlung weitgehend verlor, weil er diesen Schwachsinn mitunterzeichnen musste.

Denn in einem internen Mail am Montagmorgen, das natürlich sofort durchgestochen wurde, behaupten die beiden: «Blick wird unterstellt, dass wir zwei exklusive Beiträge durch die Kommunikation zwischen dem EDI und unserem CEO, Marc Walder, publizieren konnten. Dies ist falsch

Recherchen hätten ergeben, dass der Primeur über die Impf-Beschaffung aus Quellen der Politikchefin Sermîn Faki stamme. Eine weitere Vorabmeldung hätten der stellvertretende Politikchef und ein Bundeshausredaktor «recherchiert». In beide Beiträge sei CEO Marc Walder in keiner Weise involviert, zitiert «persönlich.com» aus der Mail.

Dann kommt’s nochmal knüppeldick: «Diese Klarstellung ist uns wichtig. Die Blick-Gruppe arbeitet unabhängig. Dass der CEO eines Medienunternehmens Kontakte zu Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung und Kultur pflegt, ist ein üblicher Vorgang. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere Berichterstattung, wie auch der § 8 ‹Blick arbeitet unabhängig› im Redaktions-Manifest regelt.»

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und hören auf, prustend auf dem Boden zu liegen und um Gnade zu winseln.

Sagen wir mal so: Faki ist nun ziemlich unkündbar, ebenso die beiden anderen erwähnten Journalisten. Es wäre natürlich denkbar, dass die Vorabinformation über den geplanten Kauf von Impfmitteln in Multimillionenhöhe in Bern auf dem Silbertablett herumgebogen wurde, alle anderen Medien dankend ablehnten und nur Saki zuschlug. Es ist auch denkbar, dass Michael Ringier gelegentlich in die Türe seines Aston Martin tritt. Es ist denkbar, dass Walder diese Exklusiv-Information hatte, sie aber im Tresor für süsse Geheimnisse versenkte – so wie er den regen Mailverkehr mit Bersets Departement und die engen Kontakte mit dem Bundesrat nur aus rein persönlichen Motiven aufrecht erhielt. So von Glatzkopf zu Glatzkopf.

Dass sich aber erwachsene «Blick»-Journalisten  – von den übrigen Medien ganz zu schweigen – einen solchen Hafechäs anhören müssen, ohne das Gesicht zu verziehen (denn in gespannter Lage ist klar: wer mopst, fliegt), das ist schon ein starkes Stück.

Wenn man sich schon mehr als 48 Stunden Zeit nimmt, um scharf nachzudenken, dann müsste doch etwas Belastbareres herauskommen. Es wäre Zeit, sich mal wieder an die alte Journalistenregeln zu erinnern. Streite niemals etwas ab, was dann doch ans Licht kommt. Lieber hinstehen, einstecken, Entschuldigung sagen, Reue mimen, Zerknirschung heucheln – und abwarten. Denn es geht vorbei. Immer.

Aber wer noch so Öl ins Feuer giesst, ist selber schuld, wenn die Hütte dann lichterloh brennt.Auf jeden Fall ist Walder mit dieser Redaktionsmail der Gefahr eines erzwungenen Rücktritts nicht entronnen. Sondern wenn schon nährgekommen.

Walder? War da was mit Walder? Aber nein …

Ob wohl alle Autoren dieser Zeilen anlässlich der letzten Walder-Panne vor einem Jahr so abgehärtet sind, dass nicht eine leise Röte ihr Gesicht beim Lesen überzieht?

«Journalismus, wie Blick ihn macht, ist unabhängig von Einmischungen, von Regierungen, von Direktiven und selbst vom CEO. Nur von einem nicht: von gesellschaftlicher Verantwortung.Die Chefredaktion der Blick-Gruppe Christian Dorer, Steffi Buchli, Gieri Cavelty, Andreas Dietrich, Sandro Inguscio, Michel Jeanneret, Roman Sigrist»

Es wäre zum Herausprusten, wenn es nicht so peinlich und bedenklich wäre.

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