Darf man das?

Charlie Hebdo will es mal wieder wissen.

Die französische Karikaturzeitschrift «Charlie Hebdo» musste schon einen hohen Preis dafür bezahlen, dass sie grenzenlos, derb, unverschämt und unerschrocken keine Grenzen für Satire akzeptieren will.

Am 7. Januar 2015 stürmten zwei fundamentalistische Wahnsinnige die Redaktionsräume und richteten ein Blutbad an. Sie töteten 12 Menschen – als Rache für Mohamed-Karikaturen, die «Charlie Hebdo» veröffentlicht hatte.

Nun hat das Magazin auf seiner Webseite erste Einsendungen seines Wettbewerbs «#MullahsGetOut» veröffentlicht. Die haben es in sich. Damit soll der Kampf der Iraner gegen ihr Regime unterstützt werden, das im Namen eines fundamentalistischen und mittelalterlichen Islams seine Untertanen unterdrückt. Während die herrschende Clique korrupt im Reichtum schwelgt, geht es der Bevölkerung dreckig.

Als wollten die Macher noch einen draufsetzen, zeigen sie auf dem Cover der neusten Ausgabe eine nackte Frau, in deren Vagina Mullahs hineinlaufen. Dazu der Spruch: «Geht zurück, wo ihr herkommt.»

Das iranische Regime reagierte, wie es zu erwarten war. Es drohte mit «Konsequenzen», bestellte den französischen Botschafter ein und verlangte von der französischen Regierung, einzugreifen.

Genau damit zeigen die Mullahs, worin der fundamentale Unterschied zwischen ihrem Gottesstaat und einer modern-zivilisierten westlichen Gesellschaft besteht. Natürlich sieht es auch der Vatikan nicht gerne, wenn bösartige Karikaturen über Pfaffen oder den Papst erscheinen. Aber im Gegensatz zu diesen mittelalterlichen Fanatikern weiss der christliche Klerus, dass er sich nur noch lächerlicher machen würde, wenn er Sanktionen und Konsequenzen forderte.

Für seine Entmachtung hat die Aufklärung erfolgreich gekämpft, und seither liegt nicht mehr das Leichentuch der Inquisition und der biblischen Weltsicht über weiten Teilen Europas.

Auf der anderen Seite kann man sich fragen, ob es bei der Verletzung religiöser Gefühle Grenzen geben sollte, und wenn ja, wo die dann lägen. Das ist sicherlich eine sinnvolle Diskussion.

Beschämend und peinlich ist allerdings, dass bislang nur zwei Schweizer Medien darüber berichtet haben. Und weder «Blue News» noch Tamedia wagten es, als Illustration zu ihren Artikeln ein paar der Karikaturen zu zeigen.

Dabei wäre das eine mindere Mutprobe im Vergleich zu den damaligen Mohamed-Zeichnungen. Wer es – wie Roger Köppel als damaliger Chefredaktor der «Welt» – wagte, die Karikaturen nachzudrucken, musste selbst um sein Leben fürchten. So konnte ein religiöser Wahnsinniger mit Messer gerade noch rechtzeitig gestoppt werden.

«Charlie Hebdo» sieht sich in einer Tradition mit bösartigen Satirezeitschriften wie «Harakiri», die von 1960 bis 1985 erschien und schon damals nach Kräften versuchte, die Grenzen der Geschmacklosigkeit neu zu definieren:

Der Untertitel «bête & méchant» (dumm und gemein) war Programm:

Unvergessen auch eine naturalistisch fotografierte «Seite Gekotztes, offeriert vom Schnapshersteller XY». Wie in England mit «Punch» oder «Spitting Image» gibt es auch in Frankreich eine Satiretradition, die nicht artig wie der «Canard enchainé» sein will, sondern der Obszönität der Verhältnisse auf Augenhöhe begegnen möchte. Aber was wissen schon die modernen Kindersoldaten in ihren Verrichtungsboxen in den News Rooms der Schweizer Medien.

Zivilcourage wäre, neben Sachkompetenz, dem Ringen um Wirklichkeitsnähe oder dem Verzicht auf die Betrachtung des eigenen Bauchnabels und der besserwisserischen Kommentierung der Weltläufe, eine Eigenschaft, die den meisten Redaktoren in der Schweiz inzwischen abgeht. Ein paar Beispiele von Karikaturen zeigen, weswegen es den Ayatollen im Iran den Turban lupft, niemals.

Wichtigtuerisch mit dem Zeigefinger wackeln und Noten verteilen sowie Forderungen aufstellen, darin sind die Journis gut. Mal etwas Rückgrat beweisen und im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Berichterstatterpflicht nachgehen, auch auf die leise Gefahr hin, dass das ein fundamentalistischer Irrer übelnehmen könnte – dafür reicht es dann aber nicht.

Erbärmlich, oder sagten wir das schon.

6 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Wir sehen nun seit drei Jahren in extremis, was man* darf in unserer freyen Presse – und was verschwiegen, auf dem Scheiterhaufen von Verschwörung verbrannt, diffamiert wird.
    Wer zeichnen kann, soll unsere Wissenshaft-Experten, selbstlosen Führer* vom Parlament aufwärts und die liebedienerischen Zeitungsfüllerinnen dorthin marschieren lassen, wo sie geschmiert werden;
    ob das irgendwo abgedruckt würde?

    Unsere Justiz hantiert mit ihren immer grösseren, schnelleren Radiergummis schneller als jeder Mullah.
    Zur Freude und für’s Portemonnaie ihrer anwaltlichen Brüder & Schwestern.

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  2. Felix Abt
    Felix Abt sagte:

    Ja, natürlich, im Namen der Meinungsfreiheit sollte jede Art von Pornografie, einschließlich politischer Pornografie, erlaubt sein. Die Forderung nach freier Meinungsäußerung für den Iran scheint ziemlich unbestritten zu sein, aber gerade in den Ländern, in denen diese Forderung am lautesten erhoben wird, hängt die Meinungsfreiheit sehr stark von der geäußerten Meinung ab!

    Beispiel 1:
    Rita Panahi ist eine in Amerika geborene konservative australische Kolumnistin, die für die Medien von Rupert Murdoch arbeitet. Sie hat gerade auf Twitter geschrieben: «So, mein Account ist jetzt im Land der Liberté & Charlie Hebdo gesperrt, weil ich mich über diesen Irrsinn lustig gemacht habe. Sie glauben also, dass Männer ihre Periode und Regelschmerzen haben können, @EmmanuelMacron? Wann hat Frankreich die Meinungsfreiheit aufgegeben … und die Vernunft?» Ihr Konto in Frankreich wurde aufgrund der französischen Gesetze gesperrt, weil sie eine Meinung getwittert hatte, obwohl sie weder pornografisch noch beleidigend war.
    https://twitter.com/RitaPanahi/status/1610648866982096897

    Beispiel 2:
    Dr. Sarah L. Gates, Craig-Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Englisch an der St. Lawrence University, hat gerade getwittert: «Es ist ein bisschen seltsam, dass Amerika Reden zur freien Meinungsäußerung hält, um Frankreich wegen der jüngsten #CharlieHebdo-Drohung des Iran zu unterstützen, während ein Associate Prof an der #Hamline gerade entlassen wurde, weil er im Kunstgeschichtsunterricht Gemälde von Mohammed aus dem 14. und 16. Jahrhundert gezeigt hat.»
    https://twitter.com/SarahLGates1/status/1611325375476543490

    In den letzten Monaten haben die westlichen Medien über die großen Proteste gegen den Hidschab im Iran berichtet, die auf den Tod von Mahsa Amimi folgten. Die Proteste wurden von einigen Journalisten als eine Revolution gegen die Islamische Republik bezeichnet und als eine von jungen Frauen angeführte Bewegung dargestellt. Ist das wahr? Handelt es sich um eine Revolution? Wie viel davon ist Teil einer großen Desinformationskampagne der Medien? Mazda Majidi, iranischer Autor, Journalist und Antikriegsaktivist, der vor kurzem aus dem Iran in die USA zurückgekehrt ist, erklärt hier, wie die Situation im Iran ist (und nein, von den Mainstream-Medien werden Sie es nicht erfahren).
    https://covertactionbulletin.podbean.com/e/eyewitness-report-iran-protests-truth-or-media-distortion/

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Der Nordkorea-gestählte Felix Abt müsste doch bestimmt wissen, dass freier Journalismus im Iran kaum existieren kann. Viele Information müssen unter grosser Gefahr beschaffen werden. Beispiel: Als das Geburtshaus von Ayatollah Ruhollah Khomeini in der Stadt Khomein angezündet wurde im vergangenen November, dauerte es mehrere Tage, bis die vertrauenswürdige BBC dies verifizieren konnte.

      Die Quellenangaben mit «covertactionbulletin» zeigt klar, dass Abt einen Hang für höchst dubiose Informationsquellen hat. In seinem empfohlenen Artikel dieses CIA-dropoff-Portals vom 19.Dezember 2022, hat übrigens NIEMAND einen Kommentar verfasst. Artikel wurde auch bloss 101 mal heruntergeladen.

      Möchte Felix Abt dringend bitten, seine Informationsorgane sorgfältiger zu wählen. Er lästert gerne über «mainstream-Medias». Seine zitierten Fachportale immer eine Zumutung; sehr oft von frustrierten Verschwörungsfanatikern betrieben mit ihrer eigenen Agenda.

      Weshalb dieser Associate-Professor wirklich entlassen wurde, weiss ich auch nicht. Bestimmt waren es andere Gründe, als das Zeigen von Bildern von Mohammed aus dem 14. und 16. Jahrhundert.

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      • Felix Abt
        Felix Abt sagte:

        Anstatt sachlich zu bleiben, greift Sam Thaier auf populäre Killerargumente zurück und schwadroniert über «höchst dubiose Informationsquellen», die von «frustrierten Verschwörungsfanatikern» betrieben würden, die er sicherlich kennt.

        Außerdem behauptet er einerseits, dass “freier Journalismus im Iran kaum existieren kann”, andererseits erklärt er, dass die «vertrauenswürdige BBC eine Brandstiftung am Geburtshaus von Ayatollah Ruhollah Khomeini verifizieren konnte».

        Zweifellos ist es für westliche Journalisten nicht einfach, im Iran zu arbeiten, aber wenn es dem ach so «vertrauenswürdigen» staatlichen Sender der Regierung, die zusammen mit der amerikanischen wieder einmal auf einen Regimewechsel hinarbeitet —- den letzten haben sie 1953 gegen den demokratisch gewählten Premierminister Mosaddegh durchgeführt, um ihn durch den ihnen genehmen Diktator Reza Pahlavi zu ersetzen — gelingt, aus dem Iran zu berichten, ist das immerhin eine kleine Überraschung.

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  3. Jean Gabin
    Jean Gabin sagte:

    Es gibt sehr wohl Sachen, die auch Charlie Hebdo nicht darf.

    Es sei an die Entlassung des Karikaturisten Siné selig im Jahre 2008 erinnert, der sich erdreistete, für den Sohn von Sarkozy eine erfolgreiche Karriere vorauszusagen. Es war keine Zeichung, sondern ein geschriebener Satz, der mit der Entlassung, einem Shitstorm und einem jahrenlangen juristischen Hickhack endete. Und es ging nicht darum, Mullahs durch den Kakao zu ziehen.

    Zit.
    « Jean Sarkozy, digne fils de son paternel et déjà conseiller général de l’UMP, est sorti presque sous les applaudissements de son procès en correctionnelle pour délit de fuite en scooter. Le Parquet a même demandé sa relaxe ! Il faut dire que le plaignant est arabe ! Ce n’est pas tout : il vient de déclarer vouloir se convertir au judaïsme avant d’épouser sa fiancée, juive, et héritière des fondateurs de Darty. Il fera du chemin dans la vie, ce petit ! »

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