Die Läuse im Pelz

Wieso der Bauchnabel das wichtigste Körperteil des Journalisten ist.

In der Legende «Vor dem Gesetz» gibt es die Szene, dass der dort Wartende in seiner Verzweiflung sogar die Flöhe im Pelz des Türhüters um Hilfe bittet. Franz Kafka wollte das als groteske Übertreibung verstanden wissen.

Er kannte 1915 die modernen Journalisten nicht. Die haben sich grösstenteils von ihrer eigentlichen Aufgabe verabschiedet. Die bestünde darin, möglichst kenntnisreich, analytisch und wirklichkeitsgetreu über wichtige Ereignisse zu berichten, deren Kenntnis einem interessierten Publikum wichtig ist. Stattdessen kümmern sie sich um Flöhe. Um die eigenen und um fremde, weil diese Grössenordnung ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht.

Nach oder neben diesen Berichten kann der Journalist, aber nur, wenn er kann, in Form eines Kommentars seine persönliche Sichtweise darlegen. Das hätte aber zur Voraussetzung, dass hier intelligente, niveauvolle, lesenswerte Ansichten geäussert werden, die den Leser bereichern, zum Nachdenken anregen, die mit einem Wort bedenkenswert sind.

Richtig, das hört sich heutzutage wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht an. Denn den Kontakt zur Wirklichkeit haben die meisten Journalisten, eingepfercht in ihre Verrichtungsboxen im Newsroom, längst verloren. Hingehen, anschauen, aufschreiben, das war vielleicht noch zu Zeiten von Kisch das übliche Vorgehen. Heute ist es ersetzt durch Google, Agenturmeldungen, copy/paste aus fremdsprachigen Organen und dem willfährigen Gehorsam gegenüber den Stallordern des jeweiligen Konzerns, bei dem der Journalist (noch) angestellt ist.

Während über geschrumpfte Platzverhältnisse und gegroundete Redaktionen gejammert wird, könnte man meinen, dass nun der dünnere Umfang mit dickerem Inhalt kompensiert wird. Konzis, komprimiert, schlank auf den Punkt.

So, nun verlassen wir die Märchenstunde und wenden uns der Realität zu. In Wirklichkeit herrscht im Journalismus der Bauchnabel. Der Bauchnabel des Journalisten ist sein wichtigstes Körperteil, er steht im Zentrum seines Interesses, seines Schaffens. Das Gehirn, die Sinnesorgane, selbst der Geschlechtstrieb ist nicht so wichtig wie der Bauchnabel. Der Bauchnabel symbolisiert die Egozentrik, das Besinnen nicht mehr aufs Eigentliche, sondern aufs Eigene, das den modernen Elendsjournalismus auszeichnet.

Der Journalist schreibt über das, was er noch einigermassen kennt – im Idealfall. Über sich selbst. Über seine Befindlichkeiten, über seine Umgebung, sein Erleben, seine Probleme. Er interviewt oder beschreibt dabei alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Den Partner, die Kinder, die Eltern, die Verwandten. Die eigene Jugend, die Probleme mit dem Altern, in der Beziehung, beim Einkaufen, die Suche nach einem Parkplatz, das Verpassen eines Fliegers, die Hitze, Kälte, die Natur, die Stadt, der See, kein Thema zu beliebig, um nicht abgehandelt zu werden.

Besonderer Beliebtheit erfreuen sich auch Haustiere jeder Art. Die haben zudem den gleichen Vorteil wie das fernere Ausland: es ist keine Gegendarstellung zu befürchten. So müssen also Hunde, Katzen, Wellensittiche, Meerschweinchen, auch exotischeres Getier wie Schlangen, Papageien, Ameisen, dazu noch Hausschweine, Kaninchen, gar Kühe oder Schafe dafür herhalten, beobachtet und dem Leser serviert zu werden.

Andere müssen dafür in Selbsthilfegruppen, Therapien oder Urschrei-Kurse gehen. Journalisten können sich ungeniert öffentlich ausagieren. Hemmungslos, schamlos, von der überragenden Bedeutung des eigenen Bauchnabels zutiefst überzeugt. Ist er nicht schön, ist er nicht speziell, ist er nicht originell, kann man ihn nicht von oben, unten, seitwärts oder sogar von innen betrachten?

In Wirklichkeit sieht das zunehmend angewiderte Publikum dabei zu, wie ein ehemals anständiger und geschätzter Berufsstand auf peinliche Weise öffentlich Selbstmord begeht.

4 Kommentare
  1. Ernst Bächler
    Ernst Bächler sagte:

    Es stimmt: Das ist die Realität heute. Übrigens nicht nur im Print- oder besser ‚Schreib‘-Bereich. Auch sämtliche Dokumentarfilme drehen sich nur noch um das subjektive Erlebnis des Journalisten, der neu offenbar einfach selber der Protagonist ist. Hatte man dem nicht ursprünglich Gonzo-Journalismus gesagt? Das kommt mir dazu jeweils in den Sinn. Bei Loser-Kommentaren z.B.
    Heute wird es für mich fast schon verdächtig, wenn der Journalist/Interviewer im off bleibt oder Artikel nicht klar gekennzeichnet sind…
    Was mich diese Woche aber irritiert hat: Arthur Rutishauser war bei Toni Brunner zu Tele Blocher. Kann ich nur bedingt nachvollziehen. Auch wegen Loser. Waren Sie auch vor Ort, Herr René Zeyer?

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  2. Niklaus Fehr
    Niklaus Fehr sagte:

    Ich betrachte es mittlerweile als Unterhaltung. Ein jüngstes Beispiel von Nau: «Bis zu 3’800% mehr Schweizer hamstern Kerzen, Powerbanks & Brennholz». Wie zum Teufel kommt der, die oder es auf 3800%? Lernt man das heute so, damit es gigantisch aussieht? Weil Leser nur noch auf Extremwerte anspringen? Die Smartphone-Generation scheint endgültig im Berufsleben angekommen zu sein. Ich hatte seit langem Befürchtungen was dann wohl passiert. Jetzt passiert es.

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    ‹…..Selbstmord begeht›
    haben wir kapiert, hat zbz anschaulich seziert.

    Darum wiederhole ich: Neu-Ausrichtung von zackbum wäre zB
    -auf verbliebene gute Kanäle und journalistische Leistungen hinzuweisen
    -Tote in UnEhre ruhen zu lassen
    -die Schmierer, Steuergelder-Verschwender und Freier (und *innen 😉 der Schreiberling*innen an den Pranger zu stellen: Politik, Konzerne (=SteuergeldVermeider), Bank*erinnen und andere LobbyListinnen, liebedienerische Justiz und all die Windschattenfahrenden Kapital-Verwalter&Zauberer.
    Plus die gedungenen Reisläufer der Moderne die da wären:
    brave hörige Beamte, dumbe Polizisten die noch dran glauben dem ‹Rechtsstaat› zu dienen,
    Covid traumatisiert-verträumte Lehrer*INNEN die ihren Schüler, *innen und allen weiteren Unter-es-gruppen nicht mehr getrauen, in die Augen zu blicken (weil Ansteckungsgefahr….. so kolportiert vom OberBaselSchulheini im CoronaHype durch die Basler Toten-Presser).

    Entschuldigung an all die Betupften, wir hocken alle im gleichen Boot.
    Bald wieder mit Masken unter dem Hirni, weil die Mehrheit diese weiter unten montiert – von wegen fehlender Basis oben.
    Meine einzige Entschuldigung für meinen rauen Ton, denn auch das Kuschen der Braven ist Gewalt: Diktatur der Atemlosen.

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