Sonntag war vorvorgestern

Die Sonntagsmedien sind Wochenzeitungen. Wirklich?

Machen wir den Elchtest. Welche Artikel der Sonntagspresse lösen am Mittwoch keinen Gähnreflex aus? Beginnen wir mit dem Hoffnungsträger NZZaS.

Damit allgemeine Waffengleichheit herrscht, nehmen wir jeweils das Cover und drei willkürlich ausgewählte Artikel:

Wir vergeben von 0 bis 5 gähnende Waschbären, je nach Gähn-Faktor. Hier haben wir einen Nachtisch zum Rücktritt Ueli Maurers. Eine gross angekündigte Story über die Babyboomer, die bei diesem Titel keiner versteht. Eine russische Niederlage in der Ukraine, «Einsichten eines Gynäkologen» und schliesslich ein Stück über das aus dem Schauspiel Zürich flüchtende Publikum. Ohne Boomer ergäbe das zwei Waschbären, so sind’s halt:

Schon auf Seite 3 geht’s ziemlich in den Keller, bzw. der Gähnfaktor wächst nicht erst durch die Distanz vom Mittwoch. Markus Bernath versucht sich am beliebten «könnte, würde, dürfte, Fragezeichen»-Artikel. Thema: «Schattenkrieg» Putins gegen den Westen. War der Anschlag auf die Ergaspipeline ein Beispiel dafür? «Könnte» dieser Krieg «jetzt eskalieren»?

Natürlich masst sich Bernath nicht an, diese Fragen selbst zu beantworten. Daher kommt Sascha Dov Bachmann zu Wort. Sascha who? Na, DER Sascha-Dominik Dov Bachmann, Professor an der weltberühmten Canberra Law School. Machte seinen Doktor an der nicht minder berühmten Universität von Johannesburg und sei «ein Theoretiker des hybriden Krieges». Für ihn sei klar, dass der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines «eine Operation unter «falscher Flagge» war.» Da er Theoretiker ist, braucht er für diese Feststellung keinerlei Fakten oder Beweise, ausser: «Eine Tat ganz in der Tradition militärischen Denkens der Sowjetunion und Stalins, um die Öffentlichkeit im Westen wie im eigenen Land in die Irre zur führen».

Interessanter theoretischer Gedankengang, offenbar hat auch Stalin irgendwelche Sachen in die Luft gesprengt, um alle irrezuführen. Zum Beispiel, ähm, also beispielsweise, hm, räusper, hüstel. Also theoretisch in Canberra sicherlich ein kluger Gedankengang, praktisch anderswo eher weniger.

Hintergrund, «Kubakrise». Alan Cassidy bemerkt einleitend ganz richtig, dass die Ereignisse im Oktober 1962 zu den «am besten erforschten Kapiteln des Kalten Krieges» gehörten. Dennoch erzählt er die Geschichte nochmals, wie die Welt damals an den Rand eines Atomkriegs geriet. Ergänzt durch eine kleine Anekdote. Allerdings schafft es Cassidy, eine ganze Seite zu füllen, ohne auf die Vorgeschichte hinzuweisen, die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht vom April 1961. Damals versuchten Exilkubaner mit US-Unterstützung, Fidel Castro von der Macht zu vertreiben. Das endete in einem Desaster, erweckte auf Kuba allerdings die Furcht, dass es die USA nochmal probieren könnten. Ohne diese Vorgeschichte ist jede Darstellung der Oktoberkrise bloss:

ZACKBUM ist natürlich immer gerecht und will nicht alles niedermachen. Also erwähnen wir am Schluss den Artikel «Es kriselt im House of Wokeness». Eine punktgenaue Abrechnung mit dem verpeilten Kurs des Zürcher Schauspielhauses, das Korrektheit über alles setzen will – und scharenweise Zuschauer verliert. Nur 72 Prozent der Abos wurden auf die neue Spielzeit hin erneuert. Daran sei Corona schuld, ist die wohlfeile Erklärung. Dabei haben andere Bühnen die üblichen 95 Prozent längst wieder erreicht, auch die Zürcher Oper.

Im Kampf gegen «systematische Diskriminierung» mit einer «Agentin für Diversität» bleibt Nebensächliches auf der Strecke: das Publikum. Die Stadt Zürich, also deren Steuerzahler, steuern knapp 40 Millionen Franken für diesen Unsinn bei. Die Co-Direktorin der städtischen Kulturbehörde wird mit dem bedenkenswerten Satz zitiert, die Entwicklung «gehe in die gewünschte Richtung». Die scheint zu sein: weniger Publikum, unverständliche Stücke, super Sache.

Wir tauchen nach unten:

Der Nachfolgekampf um den Bundesratsposten; Albert Rösti vorne. Das ist am Mittwoch doch schon sehr gähn. Eingerahmt wird der Brüller von einem Artikel über graue Haare, missglückte Schönheits-OPs und dann hätten wir noch «124 Seiten über den King». Elvis Presley lebt? Nein, Roger Federer geht, und da muss der letzte Filzball rausgequetscht werden. Gesamteindruck vom Mittwoch her:

Leider kann sich der SoBli noch steigern. «Die Zeit der Billigkassen ist vorbei». Diese News war schon am Sonntag Anlass für einen medizinisch bedenklichen Gähnreflex. am Mittwoch droht Kiefersperre. Chronisch wird’s mit der Folgegeschichte, dass «missglückte Schönheit-OPs die Krankenkassen» belasteten.

Geht da noch einer drunter? Nun, wenn wir den Autor  Fabian Eberhard erwähnen, das Recherchier-Genie, dann ahnt der Leser: ja. Richtig, Eberhard füllt zwei Seiten mit der lustigen Ankündigung: «In der Schweiz hätte Meloni verloren». Das habe eine Auswertung der italienischen Wählerstimmen aus der Schweiz ergeben. Hätte, hätte, Fahrradkette, wie der Deutsche so sagt. Vielleicht hätte Meloni in der Schweiz verloren, nun hat sie aber, und das ist nicht unwichtig, in Italien, wo sie angetreten ist, gewonnen. Das wäre vielleicht eine Analyse wert, aber eben, hier schreibt Eberhard. Wir vergeben dafür einen Sonderpreis:

ZACKBUM hat sich wirklich Mühe gegeben, auch beim SoBli etwas Positives zu finden. Es war nicht einfach, es mag überraschen, aber es gibt eine Trouvaille in all dem Elend. Sie stammt von, Achtung, Frank A Meyer. Er nimmt sich die dümmliche SP-Nationalrätin Tamara Funiciello zur Brust, die auch gerade als Kolumnistin der SoZ gekübelt wurde. Die hatte eine sogenannte Wutrede gehalten, es seien «reiche, alte, weisse Männer gewesen, die den Frauen den Rentenabbau aufgedrückt» hätten. Diesen Unsinn nimmt Meyer nach allen Regeln der Kunst auseinander, und das soll gebührend gelobt werden.

Wir kommen zu diesem hier und wissen nicht genau, was wir dazu sagen sollen:

Echt jetzt? «Die geheimen Wanderwege der Schweiz» als Bildaufmacher? Solidarisch den Arsch abfrieren, aber dafür weniger Miete zahlen? «Zähneputzen, so geht’s richtig»? Schliesslich leide jeder siebte Alte unter Armut. Wenn da nicht die Glosse von Peter Schneider wäre, müssten wir leider die maximale Gähnzahl geben, so bleibt ein Waschbär draussen:

Aber auch hier müssen wir den Sonderpreis vergeben. Auf Seite 7 der Eisbrecher: «Haushalte haben bei kalten Wohnungen Recht auf Mietzinsreduktion». Anrecht wäre zwar deutscher, aber wir wollen nicht kleinlich sein. Denn auf der nächsten Seite wird aufgeklärt: «So erhalten Sie Fördermittel für energetische Sanierungen». Das ist doch mal ein Service-Stück der SoZ-Redaktion. Ohä, leider nein, das ist ein «Paid Post», ein «Commercial Publishing», ein «kommerzieller Inhalt». Oder auf Deutsch: ein Inserat. Damit hat sich auch die SoZ das hier verdient:

Neuland betritt die SoZ allerdings mit dem Beitrag über die Unruhen im Iran, in Teheran. Dort steht bei der Autorenzeile ein einsames *. Erklärung: «Jede Nacht hat unser Reporter in Teheran Angst, abgeholt zu werden. Die Redaktion entschied sich für eine anonyme Veröffentlichung seines Textes.» Vielleicht hätte aber die Redaktion den Leser noch darüber aufklären können, dass das nicht «unser Reporter» ist, sondern ein Reporter der «Süddeutschen Zeitung», von wo das Qualitätsorgan auch diesen Artikel samt Anonymisierung übernommen hat. Ob der Wahrheitsgehalt auch aus zweiter Hand ist, kann man schlecht beurteilen. Aber eine solche Niederlage des Qualitätsjournalismus läuft ausser Konkurrenz.

Auch hier haben wir uns ums Positive bemüht, geblättert, gegrübelt – und nichts gefunden. Im Gegenteil. Die normale Portion Gähn löst dieser Artikel aus, allerdings ist sein Inhalt dann noch für ein Doppelgähn gut: «Jetzt musst du sprinten, Papi, Weisst du, wie das geht?» Journalisten, die über ihre eigenen Befindlichkeiten schreiben, sind schon schlimm genug. Hier schreibt aber Philippe Zweifel darüber, wie er mit seinem Sohn «Fifa» auf der Playstation spielt. Im Vergleich zu diesem Text ist der Farbe beim Trocknen auf der Wand zuschauen, dagegen ist das Unterhaltungsprogramm einer Waschmaschine im Schongang von brüllender Attraktivität und bannender Spannung. Ungeheuerlich, was die Qualitätsmedien heutzutage auf die Leser loslassen. Anonyme Second-Hand-Artikel, «geheime Wanderwege in der Schweiz», und nun auch noch «Papi spielt Computerspiel mit Sohn».

Wir verzichten erschüttert auf eine Bewertung.

 

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