Rechtgehabe

Nun auch die NZZ. Ein Pop-Redaktor weiss es besser.

Keine Ahnung, ob Ueli Bernays mehr als den Nachnamen mit Edward BernaysPropaganda», kann man googeln) gemein hat. Aber dass der NZZ-Redaktor für Pop und so keine Ahnung hat, das stellt er hier unter Beweis: «Der Mitgründer von Pink Floyd macht immer wieder durch kontroverse Statements von sich reden. Zur Reihe politischer Peinlichkeiten zählt nun auch seine Kritik an Selenski.» Denn Roger Waters wisse eben, wer die Schuld am Ukraine-Krieg trage, behauptet Bernays. Und dann wird’s wirklich peinlich:

«Achtung, Roger Waters ist wieder unterwegs. … breitbeinig und zielbewusst in alle möglichen Fettnäpfe … Plattform für diesen Wüterich … sein aufgeblasener Idealismus und seine Besserwisserei lassen ihn oft als Ritter von hässlicher Gestalt erscheinen.»

Was ist denn der Anlass für die muskulöse Rechthaberei eines ansonsten unauffälligen NZZ-Schreibers? Waters hat es gewagt, der aus «Vogue» und anderen Organen bekannten Gattin des ukrainischen Präsidenten einen offenen Brief zu schreiben. Die habe indirekt weitere Waffenlieferungen für die Ukraine gefordert, und damit liege sie möglicherweise tragisch falsch, schreibt Waters. Noch schlimmer für Bernays: «Impertinent in der Sache und arrogant im Ton wird Waters’ Brief, sobald er vom Präsidenten spricht. Selenski habe seine Wahlversprechen nicht eingehalten und dem Donbass keine Autonomie eingeräumt.»

Abgesehen davon, dass diese Kritik völlig berechtigt ist, zeigt eine Lektüre des Schreibens von Waters, dass der durchaus differenziert, wohlinformiert und kompetent Stellung bezieht.

Sein offener Brief endet so: «If I’m wrong, please help me to understand how? If I’m not wrong, please help me in my honest endeavors to persuade our leaders to stop the slaughter, the slaughter which serves only the interests of the ruling classes and extreme nationalists both here in the West, and in your beautiful country, at the expense of the rest of us ordinary people both here in the West, and in the Ukraine, and in fact ordinary people everywhere all over the world. Might it not be better to demand the implementation of your husband’s election promises and put an end to this deadly war

«Wenn ich falsch liege, helfen Sie mir bitte, zu verstehen, wie.» Das ist die Ansicht eines Suchenden, eines Anteilnehmenden, der seine Meinung  sagt, aber gerne bereit ist, eines Besseren belehrt zu werden. Dazu noch eines aktiven Musikers, der mit aktuell 79 Jahren nächstes Jahr nochmal die grossen Stadien füllen will; unter anderem in Deutschland. Den Abstecher nach Polen hat er inzwischen abgesagt; auch dort gibt es zu viele Kleingeister wie Bernays.

Demgegenüber ist Bernays ein arroganter Rechthaber: «Ritter von der traurigen Gestalt: Roger Waters meint es gut mit der Welt – und noch besser mit sich selbst», quengelt der Schreiberling. Dann muss er einräumen: «Zu den Putin-Verstehern passt der Künstler, der in der Ukraine als Staatsfeind gilt, jedenfalls nicht. Er hat das Putin-kritische Punk-Kollektiv Pussy Riot unterstützt und auch russische Autokraten zu Beginn der Ukraine-Invasion scharf kritisiert.»

Mit anderen Worten hat Waters, ganz im Gegensatz zu Bernays, eine differenzierte Sicht der Dinge. Aber die hilft ihm gegenüber einem aufgeblasenen Rechthaber nicht. Wie das zusammenpasse, fragt Bernays am Schluss seines Gestolpers rhetorisch: Gar nicht, denn «Roger Waters ist eben ein Wüterich und Querschläger, der mit seinem Sendungsbewusstsein vor allem das eigene Ego bläht».

Dass nun auch die NZZ solchen billigen Klamauk zulässt, unredlich, unanständig und unter jedem Niveau, ist beunruhigend.

7 Kommentare
  1. Oskar
    Oskar sagte:

    Ob Sie die Band mögen oder nicht, spielt hier keine Rolle. Roger Waters hat sich schon immer für friedliches Miteinander eingesetzt – ein wahrer Pazifist ohne Hintergedanken. Anstatt gleich zur üblichen Diffamierung zu greifen, sollten Sie vielleicht erst mal richtig zuhören, was der Mann zu sagen hat. Wenn Sie aber einen Mike Müller in der gleichen Liga orten, dürfte das kaum helfen.

    Antworten
    • Guido Kirschke
      Guido Kirschke sagte:

      Roger Waters wird von den «woken» Kreisen, zu denen auch Bernays wohl gerne gehört, seit längerem als Anti-Semit beschimpft, weil er es gewagt hat, die israelische Siedlungspolitik zu kritisieren, und das bereits zu einem Zeitpunkt, wo Israel begonnen hat, im Westjordan Mauern zu bauen. Er hat nicht aufgehört mit seiner Kritik. Der Mann steht sein ganzes Leben für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ein. Früher galten Leute wie Roger Waters als progressiv und weitsichtig, heute werden sie als Gefahr empfunden von intellektuell sub-alternen Chargen und entsprechend diffarmiert, wo möglich gar gecancelt. Die Welt von links und rechts hat sich um 180 Grad gedreht. Die linken von heute sind die rechten von gestern und morgen. Das nenne ich mal «Deutungshoheit gewinnen».

      Antworten
  2. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Wer Pink Floyd und die Stones nicht in jüngeren Jahren gehört hat, holt das jetzt nach und geht an deren Konzerte. Männer Ende 70 auf der Bühne erleben und dafür happige Eintritte bezahlen ? Muss nicht wirklich sein.
    Die «differenzierte» Sichtweise besteht darin, dass der Ukrainer seine Wahlversprechen einhalten und den Krieg beenden soll. Erinnert an den Mike-National. «Künstler» sollen einzig Unterhaltung abliefern – mehr wird nicht erwartet.

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Oskar Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert