Zwei Arten von Journalismus

Schmiere von Tamedia, Porträt von der «Weltwoche».

«Ein Insider rechnet mit dem Schweizer Fernsehen ab», so der Titel eines «Weltwoche»-Artikels vom 28. Juli 2022. Er thematisiert das Buch von Martin Hasler, der nach jahrzehntelanger Tätigkeit für die SRG im Bundeshaus im Herbst 2021 ausstieg. Die Berichterstattung über Corona hatte ihn zweifeln, dann verzweifeln lassen.

WeWo-Mitarbeiter Stefan Millius beschreibt den entscheidenden Moment: «Nie in fast vier Jahrzehnten habe er (Hasler, Red.) das Bedürfnis verspürt, sich in den journalistischen Bereich einzumischen. Aber als Daniel Koch, der damalige «Mister Corona» im Bundesamt für Gesundheit, ein düsteres Bild der Lage in den Intensivstationen zeichnete, konnte Hasler nicht mehr anders.»

Er begann Fragen zu stellen, zu zweifeln, er konstatierte Einseitigkeit und Betriebsblindheit – und stieg aus, bzw. liess sich frühpensionieren. Inzwischen widmet er sich der Auslieferung seines im Eigenverlag erschienenen Buchs, das zu einer kleinen Erfolgsgeschichte geworden ist. All das beschreibt Millius mit der nötigen Distanz und der Genauigkeit, die entsteht, wenn man sich auf einen Menschen einlässt, ihm Raum gibt, ihn verstehen, nicht aburteilen will. Ohne deswegen seine Meinungen übernehmen zu wollen.

Am 10. August greift die Allzweckwaffe von Tamedia in die Tasten:

«Buch begeistert Service-Public-Gegner: Der SRG-Insider der «Weltwoche» ist Verschwörungstheorien verfallen»,

so betitelt Andreas Tobler seinen Verriss über den gleichen Autor und das gleiche Buch. Schon in der Unterzeile macht er alles klar: «Ein früherer Mitarbeiter wirft dem Schweizer Fernsehen in einem Buch Manipulation vor. Wer es liest, kommt zu einem anderen Schluss.»

Jeder, der das Buch liest? Nein, einer. Aber Tobler arbeitet in der Rechthaber- und Gesinnungsjournalismusbranche, wo man die Weisheit und Wahrheit mit Löffeln gefressen hat und es keineswegs als Aufgabe sieht, dem Leser Denkanstösse zu vermitteln. Sondern die Aufgabe ist, im Sinne des Wahren und Guten Grossinquisitor zu spielen, auch wenn man dafür das intellektuelle Rüstzeug nicht hat. Meinung ersetzt Kenntnis, Polemik Recherche, Demagogie eine der Wirklichkeit verpflichtete Darstellung.

Nach einer kurzen, unvollständigen Zusammenfassung des Inhalts wird eingeordnet. Nicht etwa die Aussagen des Buchs. Es wird vielmehr durch seine Resonanz verortet: «Neben der «Weltwoche» sieht auch das neue Internetradio Kontrafunk in Haslers Buch einen Beleg dafür, dass öffentlich-rechtliche Medien als «Instrument zur Indoktrination und Ablenkung» gelten können.» Devise: Was WeWo und «Kontrafunk»* gut finden, muss schlecht sein.

Was ist denn nur mit diesem Hasler los? Dafür hat Tobler eine einfache Erklärung parat: «Anfang 2021 suchte Martin Hasler einen Psychiater auf: Als «Sklave der Hintermänner» habe er die «seelische Vergewaltigung» während der Arbeit für die SRG nicht mehr ausgehalten, schreibt Hasler in seinem Buch.» Es hat eine lange, aber unselige Tradition, Abweichler vom Mainstream, wie man das heute nennt, als psychisch angeschlagen abzuqualifizieren.

Logisch, dass Tobler zu einem vernichtenden Urteil kommt: ««Im Hexenkessel» ist also nicht der Enthüllungsbericht eines Insiders. Sondern letztlich das Dokument eines langjährigen Mitarbeiters, der Verschwörungstheorien verfiel und damit aneckte

Immerhin gibt Tobler gegen Ende Hasler kurz Gelegenheit, sich gegen solche Diffamierungen zu wehren: «Als Verschwörungstheoretiker möchte Hasler nicht bezeichnet werden. «Verschwörungstheoretiker ist ein Diffamierungsbegriff, der von jemandem verwendet wird, der nicht bereit ist, alle Fakten auf den Tisch zu bringen und zu diskutieren», sagt Hasler.»

Es gibt allerdings einen bezeichnenden Unterschied zwischen Tobler und Hasler. Der angeblich Verschwörungstheorien Verfallene war bereit, mit Tobler zu sprechen und auf dessen Fragen zu antworten. Das ist allerdings meistens ein Fehler, wie schon der Chefredaktor der NZZaS feststellen musste. Diesen Fehler will Tobler selbst nicht begehen. Er antwortet prinzipiell nicht auf journalistische Anfragen. Ob man sich daher um seinen Geisteszustand Sorgen machen sollte?

*Packungsbeilage: Der Autor schreibt gelegentlich für die «Weltwoche», «Die Ostschweiz» und spricht im «Kontrafunk».

7 Kommentare
  1. Oskar
    Oskar sagte:

    Man ziehe sich nur einmal die Einheitsmeinungen in den Kommentarspalten des Tagis rein. Die kritischen Stimmen wurden dort bekanntlich längst «gecancelt». Die werden nicht einmal mehr geprüft, sondern direkt im Mülleimer entsorgt. Bei soviel Kleinkariertheit, Spiessigkeit, Obrigkeitsgehörigkeit und unselbständigem Denken fragt man sich schon, was aus der Schweiz geworden ist. Diese Konformität, Kollektivität, das Vorkauen von Haltung und Meinung von Journalisten und das wie auf Befehl Abnicken ihrer Schafe in den Leserkommentaren ist wirklich kaum zu glauben.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Sie werden fallen – diese dem Lohngeber hörigen Hetzer.

    Aber nur, wenn alle diese, die vorgeben, selber zu denken, auch bereit sind die Stimme zu erheben. Und beizeiten noch auch den Hintern.
    Zusammen mit denen, die seit 2 Jahren schon aktiv sind, friedlich, ernüchtert, unbeirrt.
    Obwohl ständig diffamiert, in diese oder jene Ecke gedrängt, von der ehemaligen Mehrheit belächelt.

    Allerhöchste Zeit, dass es eine neue Mehrheit gibt, die klare, anständige Zeichen gegen OBEN zu senden wagt, dass sogar wir hier in der Schweiz merken, wo’s lang gehen soll.
    Wenn es nach dem Willen und Massnahmen der Verantwortlichlosen weiter gehen würde…..

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  3. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Als jahrzehntelanger Tagi-Leser bedaure ich noch immer den massiven Niveauverlust dieses Blattes. Der Tagi war schon immer eine Zeitung der Linken. So hat er 1980 in Zürich die „Bewegung“ unterstützt. Aber damals ging es um ein sehr notwendiges publizistisches Gegengewicht zum verknöcherten stockkonservativen Establishment mit der NZZ als Sprachrohr. Doch heute mit Rot-Grün an der Macht hat der Tagi seine Authentizität verloren und versteht sich als ergebener Wächter der herrschenden linken Politik. Dafür braucht es längst keine Journalisten mehr, welche diese Bezeichnung verdienen.

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  4. Marcella Kunz
    Marcella Kunz sagte:

    Bei Tamedia dreht sich die Gesinnungsspirale immer schneller – nach unten. Da kommt man nicht mehr raus, ohne 90% des schreibenden Personals (ist das gendergerecht so?) auszuwechseln. Der Tagi, das ist nur noch wenig Journalismus, dafür sehr viel Linksaktivismus. Für Letzteres gibts natürlich auch eine Zielgruppe, die sich etwa in den Leserkommentaren zeigt. Um diese mitzulesen, brauchts nicht mal ein Abo, dafür unendlich viel Resilienz.

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    • Rolf Karrer
      Rolf Karrer sagte:

      Relevanz ist alles.

      Heute ein Riesenbild einer tätowierten Frau auf der Front des Tagesanzeigers. Eine Frau DJ, die sich für die weibliche Gleichstellung in der Zürcher Partyszene einsetzt.

      Die erste Seite des Tagesanzeigers zeigt exemplarisch auf, dass der TA-Oberchef quasi nicht mehr zuständig ist für die Sorgfalt in der Gewichtung relevanter Themen.

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    • Werner Stauffacher
      Werner Stauffacher sagte:

      Der Tagi hat sich tatsächlich merklich radikalisiert. Und zwar auf Klicks. Die halbgare, reisserische Schreibe bietet keinerlei Substanz mehr znd will nur nich Attention. Toll war ein Erguss dieser Woche, wie die Armee kaputtgespart worden wäre. Die ganze defaitistische Stimmungsmache von TAmedia wurde natürlich null reflektiert und ausgeklammert. Die Frage, die bei mir offenbleibt: Wozu eine Wettbewerbskommision, wenn ein solcher Unkonzern auf eine derartige Dominanz der Dummheit anwachsen kann!?

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