Weltsicht

Die grosse Illusion des Weltverständnisses.

Es gibt viele Länder auf der Welt, wo grössere Teile der Bevölkerung keinen Zugang zu Informationsmedien haben. Die Schweiz gehört nicht dazu. Es gibt viele Länder auf der Welt, wo Informationen gefiltert, gelenkt, zensuriert werden. Die Schweiz gehört nicht dazu. Es gibt viele Länder auf der Welt, wo ein bedeutender Prozentsatz der Bevölkerung nicht über die intellektuellen Fähigkeiten verfügt, Informationen über die Welt richtig einzuordnen oder zu verstehen. Die Schweiz gehört nicht dazu.

Die grosse Freiheit der freien Informationsbeschaffung im freien Westen bedeutet nicht, dass sie zu einer breiteren Weltsicht verhilft, zu einem Weltverständnis. Selbst der US-Präsident Biden ist nicht in der Lage, die Schweiz und und Schweden voneinander zu unterscheiden. Selbst im einigermassen zivilisierten Kalifornien kann es einem passieren, wenn man bekannt gibt, dass man Besucher aus Europa sei, dass man gefragt wird, ob man eigentlich mit dem eigenen Auto rübergefahren sei.

Die meisten Schweizer wissen, dass das nicht möglich ist. Das Weltverständnis eines durchschnittlichen Schweizers ist demjenigen eines Bewohners des Bible Belt in den USA fraglos überlegen. Das bedeutet aber nicht, dass der durchschnittliche Schweizer in der Lage ist, einen Satz mit zwei Nebensätzen auf Anhieb zu verstehen. Das ist nicht etwa eine despektierliche Behauptung. Es gibt inzwischen Plattformen wie «info easy», die «News in Leichter Sprache» aufbereiten.

Das gleiche Prinzip wenden allerdings – wenn auch nicht so ausgewiesen – viele Newsplattformen an. Sie wollen Rücksicht darauf nehmen, dass der Leser nicht verwirrt werden will. Sich dann richtig zu Hause fühlt, wenn seine Urteile, Vorurteile und Meinungen bestätigt, nicht in Frage gestellt werden. Dabei helfen festgefügte Narrative, die durch stetige Wiederholung zur Gewissheit verdichtet werden. Dabei helfen Schwarzweiss-Darstellungen, bei denen der Konsument problemlos zwischen dem Bösewicht und dem Helden unterscheiden kann.

Diese Möglichkeit der einfachen Unterscheidung nutzten schon frühe Western, als sie noch in Schwarzweiss gedreht wurden. Um von Vornherein klar zu machen, wer der Gute und wer der Böse ist, ohne dass gross Worte verloren werden mussten, hatte der eine einfach einen weissen Hut, der andere einen schwarzen auf. Und alle, die stattdessen Federschmuck trugen, waren sowieso böse, zumindest minderwertig.

Solche einfachen Schablonen helfen der Leserblatt-Bindung ungemein. Denn nichts macht den Newskonsumenten zufriedener, als wenn er nach dem Konsum seiner Newsquelle sagen kann: genauso sehe ich das auch, haargenau, wie ich es mir vorgestellt habe. Nichts verunsichert den Newskonsumenten mehr, als wenn er Dinge zur Kenntnis nehmen muss, die seinen Schablonen widersprechen. Das macht ihn recht ranzig.

Schlimmer ist eigentlich nur, wenn eine Darstellung mit dem Satz beginnt: es ist kompliziert. Kompliziert geht gar nicht, kompliziert riecht nach möglicher Überforderung, kompliziert hört sich nach Denkarbeit an, kompliziert bedeutet, dass man verwirrt werden könnte. Kompliziert hört sich nach Kriegstänzen von Intellektuellen um ihre Lagerfeuer an, wo die meisten Zuschauer kurz mit offenem Mund danebenstehen, um sich dann schulterzuckend abzuwenden.

Einerseits ist die Weltsicht seit Internet um unendlich viele mögliche Quellen erweitert worden. Andererseits stellen immer mehr Nutzer fest, dass ihnen das weder mehr Orientierung, noch mehr Verständnis verschafft. Diese Nutzer müssen auch immer wieder frustriert feststellen, dass Schwarzweiss und Schablone zwar Halt und Ordnung simuliert, oftmals aber an der eben komplizierten realen Welt zerschellt. Wenn zum Beispiel Putin nur böse und Selenskyj nur gut ist, dann weiss man zwar, woran man ist.

Wenn Russland ein autokratisch regierter korrupter Oligarchenstaat ist, wo strikte Zensur herrscht, während die Ukraine nach den Prinzipien einer modernen Demokratie regiert wird und freie Medien als Wächter funktionieren, kann man problemlos Partei ergreifen. Muss man dann aber zur Kenntnis nehmen, dass Selenskyj nicht nur gut, Putin nicht nur böse ist, auch die Ukraine ein autokratischer und korrupter Oligarchenstaat ist, in dem strikte Zensur herrscht, dann empfindet man das nicht als bereichernde Erkenntnis, sondern als störende Verwirrung.

Ob mangels intellektueller Fähigkeiten oder um das Publikum wunschgemäss zu bedienen, viele Journalisten neigen auch zu solchen Vereinfachungen  und wollen weder sich selbst noch ihre Konsumenten mit Komplexitäten, Widersprüchlichkeiten, kunterbunten Beobachtungen verwirren.

Nun darf der Mensch, also auch der Journalist, ein festgelegtes Weltbild haben und der Überzeugung anhängen, dass er und nur er die Dinge richtig sieht. Und würde man auf ihn hören, wäre die Welt viel besser.

Aber eigentlich müsste es die Aufgabe von Newsplattformen sein, neben dem Versuch, die Wirklichkeit so getreu wie möglich darzubieten, Rede und Widerrede zuzulassen. Denn der möglichst freie Austausch von Argumenten galt lange Jahrzehnte als der Königsweg zu besseren Erkenntnissen. Und bessere Erkenntnisse bewirken bessere Handlungen, bessere Handlungen machen das Leben und die Welt besser. So sah man das.

Das ist vorbei. Spätestens seit Corona haben die Welterklärmedien gewaltig an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verloren. Da es eine zunehmende Konzentration der Newstitel in der Schweiz gibt, versagen diese wenigen Kopfblattproduzenten darin, den früher zwischen konkurrenzierenden Medien ausgetragenen Meinungskonflikt fortzuschreiben.

Geradezu entlarvend ist dabei der Ausdruck «Zentralredaktion». Zentralredaktion bedeutet Zentralisierung, nicht Diversifizierung. Eigentlich bestimmen lediglich vier Männer die Botschaften der Schweizer Privatmedien. Das sind die Oberchefredaktoren Arthur Rutishauser (Tamedia), Patrik Müller (CH Media), Eric Gujer (NZZ) und Christian Dorer («Blick» Gruppe). Alle vier sind eher weniger durch des Gedankens und des Zweifels Blässe angekränkelt, sondern starke Meinungsträger. Inwieweit das ihren eigenen Überzeugungen entspricht oder ob sie sich als Sprachrohr ihrer Besitzer verstehen, spielt eigentlich keine Rolle.

Auf jeden Fall ist das aufklärerische Modell «möglichst freie Rede und Gegenrede, möglichst offener Schlagabtausch von Argumenten  als kürzester Weg zur Erkenntnis und zu besserem Verständnis» völlig ausser Mode geraten. Repetitive Bestätigung nicht hinterfragbarer Meinungen und Positionen ist an seine Stelle getreten.

Hier wiederholt sich die Geschichte wahrlich als Farce. Denn genau gegen solche Setzungen der Kirche trat die Aufklärung erfolgreich an und riss damit das Leichentuch der Erkenntnisfeindlichkeit und des blinden Glaubens an angebliche geoffenbarte Worte einer höheren Macht von Europa. Nun senkt es sich wieder über uns.

2 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Rutishauser, Gujer, Müller, Dorer, die Herrscher der zentralen Einfalt, sagt alles über den lamentablen Zustand der Schweizer Medien. Einziger Farbtupfer unter den Vieren, der Chefclown von der Dufourstrasse der sich nicht scheut auch in der «public domaine» mit Peinlichkeit zu glänzen.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    ranzig – gut – zeyer

    500 Jahre (+) Zeitgeschichte und Blitzlicht auf die aktuelle Gegenwart im Kondensat,
    das er-nüchtern-d-e Wort zum Sonntag.

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