Kriminaltango

Das Sommerloch gähnt bereits vernehmlich.

Ein Todesfall. Nicht restlos aufgeklärt. Ein Mörder sitzt im Gefängnis, aber wurde er angestiftet? Auf der Front ist’s glasklar. Denn auch die NZZaS pfeift inzwischen auf die Unschuldsvermutung. Trommelwirbel, schneidende Geigen, blutrote Illustrationen:

Der arme Dürrenmatt.

Denn wir bewegen uns hier auf einem angeblich hochstehenden literarischen Niveau. Die als «erfolgreichste Krimiautorin der Schweiz» geltende Christine Brand kehrte «für diese Reportage zu ihren Wurzeln als Journalistin zurück». Zudem arbeitete sie früher im Ressort «Hintergrund» der NZZaS.

Im Eigenmarketing ist die Dame grossartig:

Im Nacherzählen einer eher banalen Story weniger. Eigentlich sollte der Lektor blutrot anlaufen, wenn eine Kriminalgeschichte so beginnt:

«Noch denkt niemand etwas Schlimmes

Dann stolpert Brand durch ein Potpourri, aus dem man (auch frau) etwas Anständiges hätte machen können, obwohl – oder gerade weil – es «alle Klischees bedient». Alte, wohlhabende Ärztin stirbt in ihrer Villa an der Zürcher Goldküste. Wird erst zwei Tage später gefunden, zu spät obduziert. Natürlicher Tod oder nicht?

Der Verdacht fällt schnell auf ihre Tochter. Drogenabhängig, in Gefahr, das Erbe zu verlieren. Deren Freund, Bauarbeiter, Rotlichtmilieu, Drogenkarriere, wird verurteilt. Und schweigt eisern bis heute. Die Tochter kann sich an nichts mehr erinnern. Kein Wunder, sie soll bis zu «120 Pillen Ritalin» genommen haben – täglich. Dabei sollte eine Höchstdosis von 8 Tabletten nicht überschritten werden. Heisst’s. Also müsste die Tochter eigentlich schwer hirngeschädigt oder tot sein. Aber was soll’s.

Medizinische und andere Ungereimtheiten sind Brand ziemlich egal. Neues hat sie auch nicht zu bieten, das Urteil des Obergerichts aufgrund von Berufungen gegen das erstinstanzliche Verdikt wird erst am 4. Juli erwartet. Also bleibt nichts anderes als der vage Schluss:

«Wollte Beatrice K. (die Tochter, Red.) den Tod ihrer Mutter oder war sie ahnungslos? Entweder wird Beatrice K. für Jahre ins Gefängnis gehen oder eine freie, reiche Frau sein. Doch die Wahrheit, warum Veronika T. sterben musste, wird wohl verborgen bleiben.»

Nun, da ein verurteilter Mörder im Knast sitzt, scheint diese Wahrheit eher offenkundig zu sein. Da in seinem Besitz Wertgegenstände der Toten gefunden wurden, könnte der gewiefte Krimiautor, wenn er mal in überschwengliche Kombinierlaune gerät, eine gewagte These zum Warum aufstellen. Stichwort Habgier, Stichwort Sicherung des Erbes  …

Trommelwirbel, Fade out, ein Aktendeckel schliesst sich gewichtig. Vorhang zu, alle Fragen offen. Das Hazy Osterwald Sextett stimmt den «Kriminaltango» an. Das Publikum flüchtet.

1 Antwort
  1. Hannes Hofstetter
    Hannes Hofstetter sagte:

    Als langjähriges Mitglied der Krimijury der Burgdorfer Krimitage, früherer Berufskollege und privater Bekannter von Christine Brand bin ich möglicherweise chli befangen.

    Trotzdem: Was, wenn die Autorin von ihrer Ex-Arbeitgeberin nicht darum gebeten wurde, den Fall final zu klären, sondern «nur», darüber eine läsige Geschichte zu schreiben?

    Falls dem so sein sollte, ist ihr das – zumindest meiner unmassgeblichen Ansicht nach – tiptopp gelungen. Und schon sehr viel mehr, als man (nicht nur) am Sonntag von anderen Schreiberinnen und Schreibern serviert bekommt.

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