Entrüstung über Jonas Projer
Sich von der Konkurrenz porträtieren lassen? Ziemlich mutig.
Journalisten haben ein Problem. Also sie haben viele Probleme, aber eines der grössten ist: sie nehmen sich selbst viel zu wichtig. Der Bote kommt ihnen mindestens so bedeutend vor wie die Botschaft. Eitel sind sie auch noch, und Kritik vertragen sie eher schlecht bis überhaupt nicht.
Es gibt also einige Gründe dafür und dagegen, sich in einem Medium porträtieren zu lassen. Es braucht eine besondere Art von Mut, das von der direkten Konkurrenz bewerkstelligen zu lassen.
Jonas Projer hat diesen Mut – oder soll man von Tollkühnheit sprechen? Er ist noch nicht einmal ein Jahr amtierender Chefredaktor der NZZaS. Schon bevor er diese Stelle antrat, fiel es einem Tamedia-Konzernjournalisten ein, ihn präventiv wegschreiben zu wollen:
«Als jetziger Chefredaktor bei einem Boulevardmedium wie Blick TV widerspricht Projer auch dem Qualitätsanspruch der «NZZ am Sonntag» – und der linksliberalen Positionierung des Blattes.»
Der Autor Andreas Tobler wetteifert mit Philipp Loser darum, der willigste Konzernjournalist zu sein. Loser ging mit einem Schmierenstück über den Verleger Hanspeter Lebrument unangefochten in Führung, bekam dann aber wegen übertriebener Härte die rote Karte gezeigt. Tamedia entschuldigte sich, der Artikel wurde gelöscht, weil er angeblich nicht den Qualitätsstandards des Hauses entsprach.
Das Qualitätsorgan Tamedia sah aber keinen Handlungsbedarf, als Tobler sehr viel Verständnis für einen Mordaufruf gegen den Verleger und Chefredaktor Roger Köppel zeigte. Ganz vorne dabei ist Tobler auch, wenn es um die Beförderung der Genderwahns geht. Ganz klein und hässlich wird er allerdings, wenn man ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben will. Austeilen ja, rechtfertigen niemals.
Also alles in allem ein Schreiberling, von dem man sich nicht wirklich gerne porträtieren lassen möchte. Aber Tobler hat, wie damals Loser, den Auftrag gefasst. Wieso allerdings Projer mitmachte und ein paar Quotes beisteuerte, muss wohl sein süsses Geheimnis bleiben.
Es ist allerdings wohl kein Zufall, dass es bislang kein von der Konkurrenz geschriebenes Porträt über Arthur Rutishauser, Patrik Müller oder Christian Dorer gibt.
Projers unverdientes Glück ist allerdings, dass Tobler ein selten schwacher Recherchierjournalist ist. Schwatzhaft, wie die Branche so ist, hätte es doch möglich sein sollen, ein paar saftige, natürlich anonyme Anschwärzungen auszugraben. Insbesondere von ehemaligen Mitarbeitern der NZZaS, die ihren Abgang mehr oder minder Projer zu verdanken haben. Oder denen er in der Sonne steht, weil sie selber gerne Chef geworden wären.
Aber um ein Riesenfoto herum schafft es Tobler eigentlich nur, eine einzige News auszugraben, die er auch gleich im Titel verbrät: Projer hatte sich am Anfang des Ukrainekriegs eine Auszeit genommen. Oder um es im demagogischen Duktus von Tobler zu formulieren: er kam an seine Grenzen, «brauchte bereits eine Auszeit». So etwas ist Tobler noch nie passiert, das wäre angesichts seines mageren Ausstosses auch überraschend.
Aber hier kann Tobler nur raunen, dass sich «seit einigen Wochen die Zeichen häufen, das(s) bei Projer vieles nicht mehr rundläuft: Mehrere namhafte Journalisten kündigten innert kürzester Zeit ihre Jobs.»
Was hat Tobler denn sonst noch so ausgegraben? Himmels willen, als Mitglied der «Zunft zum Schmieden» schlug Projer doch tatsächlich das Thema «aussterbender Beruf des Schmieds» vor. Das habe «auf der Redaktion zu reden gegeben», will Tobler wissen. Damit hat er aber bereits seine «News» verballert; so ungefähr ab der Mitte des ellenlangen Stücks wird es grausam repetitiv.
Und belehrend: «Sollte man als Chefredaktor nicht seine Kräfte besser einteilen und seine Grenzen kennen, um solche Absenzen zu vermeiden», fragt Tobler streng. Er ist offenbar der Auffassung, dass nur ein ewig präsenter Chef seine hohen Massstäbe erfüllt, und eine zweiwöchige Absenz von Rutishauser könnte sich Tobler offensichtlich niemals vorstellen.
Eigentlich gibt es eine verblüffende Parallelität zwischen der verunglückten Reportage von Rafaela Roth über eine Waffenshow und diesem Versuch, dem Chef eines Konkurrenzorgans eine reinzuwürgen. Vom Versuch, ein wirklichkeitsnahes Porträt abzuliefern, sind beide Stücke meilenweit entfernt. Gerade über Projer, der nun tatsächlich als Quereinsteiger und Multitalent eine interessante Figur ist, könnte man ein spannendes Werk abliefern.
Aber die Voraussetzung dazu ist natürlich: wenn man das könnte. Wenn man das wollte. An beidem hapert es bei Tobler. Da bleibt nur, Geheimrat Goethe zu zitieren: «So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt.»
Oder moderndeutsch formuliert: sackschwach. Gewollt und nicht gekonnt. Übler Konzernjournalismus. Und erst noch nix ausgegraben. Zeitverschwendung.
Wer jahrelang im Leutschenbach gerade mal eine Palaversendung pro Woche geleitet hat, hat das Leistungsprinzip kaum verinnerlicht. Von daher ist die Überforderung nachvollziehbar, zumal er nicht als Schreiber bekannt ist. Das Einzige, was man ihm nicht ankreiden kann, ist die Unterwanderung der NZZaS durch Ex-Tagiannerinnen wie diese R.R.
In der Wellnessoase Wappler TV wurde Projer von einem grossen Team umsorgt und gecoacht, bei der NZZ fehlt der Wohlfühlbademantel!