Kriegsgurgeln

Aus mit russischem Gas wohlbeheizten Redaktionsstuben lässt sich locker fäusteln.

Gebt Putin Saures, rüstet die Ukraine auf, stoppt den Krieg. Verantwortungsloses Geschwätz. Keiner zu klein, Kriegsstratege zu sein. Sei das der Besitzer von CH Media, der klare Kante gegenüber Putin fordert. Flugverbotszone über der Ukraine, Einsatz von NATO-Truppen: wieso nicht. Sei das der Auslandchef von Tamedia, der doch mit absurder Logik behauptet: «Waffenlieferungen an die Ukraine führen nicht einfach so zum Atomkrieg, sondern nur dann, wenn sich der Kreml zum Tabubruch entscheidet und eine Nuklearwaffe einsetzt.»

Es gibt nur einen Atomkrieg, wenn einer Atomwaffen einsetzt. Darauf muss man mal kommen. Auch der Chefredaktor des «Tagblatt», der nun nicht übermässig zu tun hat, versuchte sich an einer Neuinterpretation der Schweizer Neutralität, im Stile von Radio Eriwan. Waffenlieferungen an Kriegsparteien? Im Prinzip nein, aber …

Der deutsche Bundeskanzler und der Schweizer Bundespräsident werden dafür gescholten, dass sie nicht mit markigen Worten Putin verurteilen, Kriegsrhetorik verwenden, Waffenlieferungen jeder Art an die Ukraine befürworten.

Dass Kanzler Scholz erwidert, dass er es als seine wichtigste Aufgabe ansehe, alles zu tun, um einen atomaren Weltkrieg zu vermeiden, wird ihm als zögerliche Schwäche um die Ohren gehauen.

Frieden schaffen mit ganz viel Waffen

Selbst die Linken und die Grünen verabschieden sich vom alten Slogan «Frieden schaffen ohne Waffen», der eine ganze Generation von Ostermarschierern und Pazifisten als Leitmotiv diente. Nun also «Frieden schaffen mit Waffen». Nun also die üblichen besonderen Umstände, die besondere Massnahmen erforderten. Natürlich sei es im Prinzip übel, Waffen an eine Kriegspartei zu liefern. Aber angesichts dieser Umstände …

Der weltberühmte Linguist und politische Aktivist Noam Chomsky dagegen, man kann es nicht oft genug wiederholen, bringt die Lage auf den Punkt: Es gibt nur zwei Arten, einen Krieg zu beenden. Entweder durch die völlige Vernichtung einer der beiden Beteiligten – oder durch Verhandlungen.

Dass Russland völlig vernichtet würde, ist äusserst unwahrscheinlich. Dass die Ukraine, die neben unendlichem menschlichem Leid bereits Schäden in der geschätzten Höhe von über 600 Milliarden US$ zu beklagen hat, vernichtet werden könnte, das ist auch unwahrscheinlich, aber möglich.

Also bliebe nur noch die Verhandlungslösung. Aber Kriegsgurgeln erwidern, dass Putin ja gar nicht verhandeln wolle, dieser Kriminelle und Wahnsinnige sei nur mit Waffengewalt zur Raison zu bringen.

Dabei ist allerdings zu hoffen, dass er nicht wahnsinnig ist. Denn der Präsident Russlands verfügt über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt. Ob sich das Glück wiederholen würde, dass die Atommacht UdSSR zusammenbrach, ohne die Welt mit in einen Abgrund zu reissen, wenn Russland vor einer existenziellen Krise stünde? Man weiss es nicht, man will es auch gar nicht wissen.

Kriegsgurgeln habe keine Perspektive

Wer so argumentiert, wird reflexartig als Putin-Versteher abgekanzelt, ob man denn die Aggression Putins einfach hinnehmen wolle, dem könne doch nur mit Gewalt begegnet werden, wer Verhandlungen anbietet, zeige Schwäche, mache ihm Appetit auf mehr, provoziere, dass Russland vielleicht sogar NATO-Staaten angreifen werde.

All dieser Unsinn soll verdecken, dass die Kriegsgurgeln, die Befürworter einer möglichst massiven militärischen Auseinandersetzung, keinerlei Perspektive anbieten können, wie es ihrer Meinung nach zu einem Frieden in der Ukraine kommen könnte. Dass Russland militärisch besiegt wird, sich geschlagen zurückzieht und vorher noch besenrein die angerichteten Zerstörungen aufräumt: Unfug. Dass Russland militärisch ausblutet, in eine Wirtschaftskrise stürzt und deshalb die Kriegskosten nicht mehr länger stemmen kann: Unfug.

Also gebietet die Logik die Schlussfolgerung: wer die massive Aufrüstung der Ukraine befürwortet, verlängert Krieg, Zerstörung und Leiden – ohne erkennbaren Sinn oder erstrebenswertes Ziel.

Es gibt noch eine zweite Grundregel bei kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen eine Atommacht beteiligt ist. Ihr muss ein gesichtswahrendes Ergebnis ermöglicht werden. Müsste Putin als geschlagener Verlierer vom Schlachtfeld heimkehren, würde er das politisch – und wahrscheinlich auch physisch – nicht überleben. Also wäre er zu irrationalem Handeln angetrieben, könnte wild um sich schlagen. Und ob die Kommandokette in Russland seinen allfälligen Befehl, Atomwaffen einzusetzen, verweigern würde? Wollen wir das austesten?

Stoppt Putin, beendet den Krieg, ermöglicht der Ukraine den Sieg: das sind alles wohlfeile Wohlfühlforderungen, bar jeder Realität und jedes Verstands. Wer sich nicht der Gefahr aussetzen möchte, die kürzere oder längere Zeitspanne, die er auf Erden noch vor sich hat, in einer radioaktiv verseuchten «Mad Max»-Welt zu verbringen, muss diesen Kriegsgurgeln, diesen Schreibtischkriegern, diesen verantwortungslosen Sandkastengenerälen entgegentreten. Und sei es auch nur mit Worten.

12 Kommentare
  1. Didier Venzago
    Didier Venzago sagte:

    Diese teils wirre und unterschwellige Pro-Putin Argumentation von Zeyer, Leni und Co. lässt einem ratlos. Was ist so falsch daran einen eindeutigen Agressor und Angreifer zu verurteilen, und mit Worten (Kriegsgurgeln?) plus tatkräftiger Unterstützung den Angegriffenen (Kriegsverlängerung?) die Möglichkeit zu geben sich zu wehren? Vor allem fehlt ja in den Beiträgen von Zeyer, Leni und Co. die stringende und logische Argunentation. Es wird einfach mal aus grundsätzlicher Abneigung gemotzt und gestichelt ohne dass aus diesen Meinungen ein substanzieller Diskussionsbeitrag entstünde.

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    • Leni
      Leni sagte:

      „Zeyer, Leni und Co.“ finde ich herrlich. Meine Ansichten sind in so vielen Dingen komplett anders als die von Herrn Zeyer. Aber in diesem Fall muss ich ihm einfach zustimmen.
      Ob er möchte, dass Putin „sauber“ aus der Sache herauskommt, wie hier auch schon spekuliert wird, kann ich nicht sagen.
      Ich möchte es jedenfalls nicht.
      Aber ich möchte, dass, solange dieser Mann an der Macht ist und das Potential hat, uns alle zu vernichten, man mit Verhandlungen versucht, ihn von seinem mörderischen Pfad abzubringen. Aber das wird man kaum erreichen, indem man ihn als „Irren“ beschimpft und sein gesamtes Volk in Sippenhaft nimmt und lauthals nach Vergeltung schreit.
      Was ist daran so schwer zu verstehen?

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  2. B. Walens
    B. Walens sagte:

    «Wem nützt’s?» Das ist immer die wichtigste Frage. Hier sind es ganz klar die USA. Sie profitieren gleich manigfach. Deshalb versuchen sie auch nich, eine friedliche Lösung zu finden. Sie haben schlicht kein Interesse daran. Das ist die Politik imperialer Grossmächte. Das beelendende dabei ist zu sehen, wie sich die Europäer von ihrem Senior-Partner einmal mehr vorführen lassen.

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  3. Leni
    Leni sagte:

    Ich bin mit Ihnen einer Meinung.

    Was ich im Lauf der letzten Wochen wahrgenommen und so nicht (mehr) erwartet habe, ist ein weiterer Grund, welcher in der Argumentation eine nicht unwesentliche Rolle zu spielen scheint: Rachegefühle allem Russischen gegenüber. Im Sinne von: Jetzt wollen wir es dem Iwan aber mal so richtig zeigen und ihn büssen lassen für alles, was er uns im Zweiten Weltkrieg angetan hat.

    Ich schrieb ja schon, dass mein Grossvater jahrelang in russischer Kriegsgefangenschaft war und erst Jahre nach Kriegsende nach Hause kommen durfte. Was er erlebt hat, war furchtbar. Hat er uns deswegen den Hass auf alles Russische gelehrt?
    Wer in den Krieg ziehen musste und das überlebt hat und noch einigermassen bei klarem Verstand war, hat gewusst, dass gegenseitiges Morden und Hassschüren keine Lösung ist. Nicht umsonst hat sich nach den schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege eine Bewegung gebildet, die sich gegen das gegenseitige Töten und Aufrüsten und für Verständigung aussprach. Was ist denn das alles wert, wenn das unmenschliche Verhalten und Handeln eines Wladimir Putin das alles plötzlich hinfällig sein lässt?

    Ich empfehle allen das Gedicht „Dann gibt es nur eins“ von Wolfgang Borchert, welches er 1947 verfasst hat.

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    • Adrian Venetz
      Adrian Venetz sagte:

      «Rachegefühle allem Russischen gegenüber»? Mit Verlaub, das ist blanker Unsinn. Ob in der Musik, der Literatur oder der bildenden Kunst – die Kultur Russlands kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Aber Putin ist und bleibt ein Despot, der im Knast verrecken sollte.

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      • Leni
        Leni sagte:

        Ich habe nicht den Eindruck, dass die Mehrheit das im Augenblick so differenziert sieht wie Sie.

        Putin gehört verurteilt und bestraft, auch da sind wir uns einig.

        „Unsinn?“ Sie müssen vielleicht aufmerksamer hier mitlesen…

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        • Adrian Venetz
          Adrian Venetz sagte:

          Ja, das war etwas forsch, sorry. Aber wenn Sie schreiben, Putin gehöre «verurteilt und bestraft», dann können Sie nicht gleichzeitig einer Meinung sein mit Zeyer, der Putin ja gerade eine gesichtswahrende Zukunft ermöglichen will. Sie müssen sich schon entscheiden. Ich empfehle die uneingeschränkte Übernahme meiner Ansichten 😉

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          • René Zeyer
            René Zeyer sagte:

            Red. Und damit schliessen wir den bilateralen Meinungsaustausch ab …

  4. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Artikel:
    «…wer die massive Aufrüstung der Ukraine befürwortet, verlängert Krieg, Zerstörung und Leiden – ohne erkennbaren Sinn oder erstrebenswertes Ziel…» Massive Aufrüstung der Ukraine, geradezu lächerlich, könnte von Putin oder Lawrow stammen und dass die UkrainierInnen die Zukunft selber bestimmen können ist auch kein erstrebenswertes Ziel.

    «Müsste Putin als geschlagener Verlierer vom Schlachtfeld heimkehren, würde er das politisch – und wahrscheinlich auch physisch – nicht überleben». Also nach Zeyer, die Ukraine soll sich ergeben um das Überleben von Putin zu sichern.

    Was wenn Putin weitere ehemalige Sowjetstaaten annektieren will, grosse Schilder an den Grenzen:
    «Welcome Russia» oder «Добро пожаловать Россия».

    Geehrter Zeyer, machen Sie das was sie können, die Medien beobachten und darüber kritisch berichten. Als Kriegs»philosoph» taugen sie sowenig wie Münger oder andere!

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  5. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Der Aggressor seit 1990 ist die Nato, die dem russischen Bär auf ganzer Breite ständig näher auf den Pelz gerückt ist und damit das gegenteilige Versprechen von 1990 an Russland massiv gebrochen hat. Folglich haben die Nato-Armeen als ersten Schritt hin zum Frieden sich auf die ursprünglichen Linien zurückzuziehen.

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  6. Adrian Venetz
    Adrian Venetz sagte:

    Chomsky hat als Intellektueller zweifellos neue Akzente gesetzt, etwa im Bereich der Linguistik. Soweit ich weiss, stand er aber nie auf einem Schlachtfeld und war nie direkt in das schmutzige Geschäft der modernen Kriegsführung involviert. Warum gerade er – ebenfalls ein Sandkastengeneral – berufen sein soll, derart apodiktische und auch etwas einfältige Aussagen über den Ausgang eines Kriegs machen zu können, bleibt also schleierhaft. Wer «Verhandlungen» als einzig probates Mittel feiert, um einen Konflikt zu beenden, sollte vielleicht mal eine Stadtrundfahrt durch das beschauliche Pjöngjang buchen, um die Errungenschaften der modernen, friedlichen Zivilisation bestaunen zu können.

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  7. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Den Blick auf die Realität wollen die «Kriegsgurgeln» ihren Lesern nicht zumuten. Fotostrecken von zerbombten Städten werden mit einer «Warning» eingeleitet. Zerfetzte Leichen von Militärs und Zivilisten sind auch nie zu sehen. Unbemannte Drohnen bekämpfen unbemannte Panzer oder wie? Für die Generation Game-Boy in den Redaktionsstuben scheint alles nur ein Spiel zu sein.
    Ob Putin in der Ukraine taktische Atomwaffen einsetzen wird, ist offen. Wenn er dem Westen «nachhaltig» schaden will, dann dreht er einfach Gas und Öl ab.

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