Maximale Beschimpfung

Es gibt noch kleine Lichtblicke. Bernhard Schlink heisst einer.

«Das Denken macht nicht unglücklich», sagt der deutsche Autor («Der Vorleser») im Interview mit der NZZaS. Da hat er recht, aber können muss man es. Das Problem ist dann aber: wer denkt, kann nicht mehr schwarzweiss sprechen. Und das ist im Zeitalter der «Kultur des Denunziatorischen» nicht sehr gefragt. So bezeichnete Schlick schon 2015 die Unsitte, mit wohlfeilen denunziatorischen Urteilen sich «die Beschäftigung mit der Sache selbst» zu ersparen.

Was der andere Ansatz wäre, exemplifiziert er auf die Frage, was er davon halte, dass Putin zunehmend mit Adolf Hitler verglichen werde. Ein kleiner, atmender Moment des Reflektierens, der vollständig zitiert werden muss:

«Der Vergleich ist unergiebig. Putin ist schlimm, und wir müssen herauszufinden versuchen, warum er handelt, wie er handelt. Der Vergleich mit Hitler hilft dabei nicht, er ist nur der hilflose Versuch einer maximalen Beschimpfung.»

Man müsse nicht Jurist sein, «um die reflexhafte moralische Empörung dürftig zu finden». Darüber werden sich nun sicherlich manche empören, die sich nur wohlfühlen, wenn sie die Welt sauber in gut und böse unterteilen können. Wobei das Böse fraglos böse ist, und schon alleine der «Putin-Versteher» auf der dunklen Seite der Macht angekommen ist.

Solche moralinsauer imprägnierte Welterklärungen im Schwarzweiss-Modus sind nicht nur ungenügend und dumm. Schlimmer noch, sie erklären nichts. Sie vereinfachen zwar, aber damit nehmen sie die Wirklichkeit aus der Realität. Erstaunlich ist dabei, dass die Anhänger dieser Schattenrisse immer wieder bitter erkennen müssen, dass diese simplen Modelle scheitern. Weder im Irak, noch in der Ukraine kämpft der unbezweifelbar Gute gegen den unbezweifelbar Bösen. Putin ist nicht Hitler, auch nicht der Teufel. Selenskyj ist nicht Bandera, auch kein Engel.

Wer urteilt, sollte zuerst zu verstehen versuchen. Sonst ist sein Urteil falsch. Unnütz. Erkenntnishemmend. Aber eben, erspart das Denken. Das ist manchen sehr viel wert.

1 Antwort
  1. Leni
    Leni sagte:

    Bernhard Schlink ist mit seinen Büchern sowieso immer ein Lichtblick und einer meiner liebsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart.

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