Keine Unschuldsvermutung

Sexismus, Rassismus, Antisemitismus. Heikle Themen, auch für Medien.

Die verbale sexuelle Belästigung oder Diskriminierung, wie sie 78 Tamedia-Mitarbeiterinnen beweisfrei behaupteten. Abschätzige Bemerkungen oder Verweigerung von Dienstleistungen wegen Hautfarbe oder Herkunft. Und schliesslich Antisemitismus, also Judenfeindlichkeit.

Findet das statt, gehört es zum widerlichsten und verächtlichsten menschlichen Verhalten, das vorstellbar ist. Gesteigert nur dadurch, wenn zu diesen Themen falsche Beschuldigungen erhoben werden.

Im Fall der erregten Tamedia-Frauen ist bis heute, mehr als ein Jahr nach den Anschuldigungen, nicht bekannt, ob auch nur eine einzige erhärtet werden konnte, da alle geschilderten Beispiele anonymisiert sind.

Noch mehr als in der Schweiz – aus naheliegenden, historischen Gründen – ist das Thema Antisemitismus in Deutschland höchst heikel. Unbestreitbar gibt es bis heute Unbelehrbare, die sich antisemitisch äussern. Das muss mit aller Schärfe des Gesetzes verfolgt und bestraft werden.

Komplexer wird es, wenn es sich um eine Kritik an der Politik Israels handelt. Das muss erlaubt sein, wird aber schnell und gerne mit dem Etikett Antisemitismus versehen, um die Kritik zu disqualifizieren.

Noch schlimmer sind falsche Anschuldigungen …

Am widerlichsten ist es aber, wenn sich jemand als Opfer von Antisemitismus ausgibt, obwohl es – gelinde gesagt – massive Zweifel daran gibt. Konkret geht es um den Fall Gil Ofarim. Der Künstler fristet sein Leben als mässig erfolgreicher Musiker und profitiert davon, dass er der Sohn des israelischen Sängers Abi Ofarim ist, der in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland Erfolge feierte.

Gil Ofarim: Antisemitismus-Opfer?

Die Welt hörte nicht viel von Gil Ofarim, bis der im Oktober 2021 auf Instagram ein Video veröffentlichte, in dem er behauptete, er sei vom Rezeptionisten eines Hotels in Leipzig antisemitisch diskriminiert worden. Konkret habe der ihn aufgefordert, seinen Davidstern, den er offen an einer Kette getragen habe, «einzupacken», wenn er einchecken wolle.

Daraus entwickelte sich sofort ein Proteststurm. Demonstrationen vor dem Hotel, der Mitarbeiter wurde vorläufig freigestellt und mit Beschimpfungen oder gar Morddrohungen eingedeckt. Minister des Bundeslandes Sachsen entschuldigten sich für diese «antisemitische Demütigung», der damalige deutsche Aussenminister zeigte sich «fassungslos».

Die Medien galoppierten los

Auch die Medien überschlugen sich mit Betroffenheit, Anklagen und reuevollen Bekenntnissen, wie schlimm der Antisemitismus in Deutschland wüte. Von der «Süddeutschen Zeitung» abwärts («Grand Hotel Abgrund») und aufwärts war man entsetzt, schämte sich, zog beliebige historische Parallelen, natürlich ins Dritte Reich, aber auch in die weitere antisemtische Vergangenheit, in der Hotels damit warben, dass weder Hunde noch Juden zugelassen seien.

Dass das Hotel sich nicht sofort von dem Mitarbeiter trennte, sondern ihn lediglich bis zur Abklärung der Vorwürfe freistellte, wurde ebenfalls heftig kritisiert. Beim Vorwurf Antisemitismus – wie bei Sexismus oder Rassismus – gilt die Unschuldsvermutung nichts. Da gilt: schuldig durch Anschuldigung; jegliche Verteidigung oder Gegenwehr macht’s nur noch schlimmer.

Aber schnell entstanden Zweifel an dieser Anschuldigung des Musikers. Es konnten keine Zeugen gefunden werden, obwohl durch den Ausfall des Buchungssystems an diesem Abend eine ganze Gästeschar vor der Rezeption darauf wartete, endlich das Zimmer beziehen zu können.

Es verdichtete sich sogar der Verdacht, dass der C-Promi aus Frust über die lange Wartezeit und das Ausbleiben einer Sonderbehandlung diesen Vorwurf erhoben haben könnte. Nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage, sogar mit einem Nachspielen der Szene, erhob nun die Staatsanwaltschaft Leipzig Anklage – gegen Ofarim. Es geht um falsche Verdächtigung und Verleumdung. Die Untersuchung gegen den Hotelangestellten wurde eingestellt.

Nun eine Anklageerhebung

Denn auch die Auswertung der Videoaufnahmen der Überwachungsanlage des Hotels konnte keine Indizien liefern, dass sich der Vorfall so zugetragen hätte, wie der Musiker behauptete. Vor allem war nirgends seine Halskette mit dem Davidstern zu sehen, die er bei seinem Anklagevideo vor dem Hotel deutlich sichtbar trug.

Natürlich gilt auch für ihn die Unschuldsvermutung. Sollte sich aber herausstellen, dass er tatsächlich bei diesem sensiblen Thema fälschlich einen unschuldigen Hotelangestellten beschuldigt haben sollte, ist das mindestens so schlimm wie die übelste antisemitische Beschimpfung.

Käme es zu einer Verurteilung, hätte sich Ofarim als Musiker, als Mensch disqualifiziert – und dem Antisemitismus Vorschub geleistet.

 

 

4 Kommentare
  1. Edwin Hunggeler
    Edwin Hunggeler sagte:

    Ernsthaft, Herr Zeyer, wer als intelligenter und in Geschichte doch recht gut aufgestellter Journalist im Zusammenhang mit einem Juden von einer ‹Sonderbehandlung› schreibt, tut das entweder mit Absicht und ist dann im allerbesten Fall ein mieser Provokateur, oder er leidet an fortgeschrittener Senilität. In diesem Fall: Googeln!

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    • René Zeyer
      René Zeyer sagte:

      Red. Ernsthaft, Herr Hunggeler: Wer jeden Begriff mit angebräunter Vergangenheit vermeiden will, kann nicht mal von einem Führerschein sprechen. Solche Sprachreinigungsmanie ist, nun ja, ich darf’s mir aussuchen: senil oder mies. Ich bin für mies.

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    • Adrian Venetz
      Adrian Venetz sagte:

      Herr Hunggeler, Edwin Zerbe war ein Hauptmann der Wehrmacht unter Hitler. Dass Sie sich noch trauen, diesen Vornamen zu tragen. Pfui!

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  2. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Der Versuch den Holocaust für persönliche Belange auszunützen, gehört zum absolut Niederträchtigsten. Wie von Gil Ofarim in Leipzig um eine missliebige Person zu diskreditieren. Im Wissen das danach über den zu Unrecht beschuldigte Menschen ein Sturm losbrechen wird. Schon harmloser sind die Versuche mit Hinweis auf den Holocaust im Flugzeug ohne Aufpreis in einer gehobeneren Klasse fliegen zu dürfen.

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