Verbale Benimmregeln

Mit der Sprache ertasten wir die Wirklichkeit. Also benehmt euch!

Es gibt die berühmten zehn Regeln der Kriegspropaganda. Was Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg aufschrieb, wurde oft kopiert, nie erreicht:

Lord Ponsonby (1871 – 1946).

«Die zehn Grundsätze der Kriegspropaganda:

1. Wir wollen den Krieg nicht

2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung

3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel

4. Wir kämpfen für eine gute Sache

5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen

6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm

8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache

9. Unsere Mission ist «heilig»

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter»

Das befolgen inzwischen wieder weite Kreise der Kriegsgurgeln in unseren Mainstreammedien.

Seither müssen nur wenige, nebensächliche Ergänzungen in Form von Dichotomien vorgenommen werden.

Der Gegner hetzt – wir informieren.

Der Gegner lügt – wir sagen die Wahrheit.

Der Gegner behauptet – wir sagen, wie’s ist.

Der Gegner ist fanatisiert – wir sind rational.

Der Gegner ist wahnsinnig – wir sind vernünftig.

Der Gegner ist Masse – wir sind Individuen.

Der Gegner ist böse – wir sind gut.

Der Gegner ist Barbar – wir sind zivilisiert.

Der Gegner verachtet das Leben – wir schützen es.

Was noch fehlt, ist die Definition des Gegners. Die muss möglichst einfach und klar sein. Jegliche Differenzierung ist überflüssig. Der Gegner ist der Russe. Jeder Russe. Ausser, der sei Dissident, Oppositioneller und habe sich öffentlich und deutlich von Putin und seinen Machenschaften distanziert. Aber selbst dann ist er in erster Linie Russe.

Das gilt nicht nur für heute lebende Russen. Auch frühere Russen sind kollektiv mitschuldig. Musiker wie Rachmaninow. Schriftsteller wie Dostojewski. Maler wie El Lissitzky. Theoretiker wie Bakunin. Wohl auch Sacharow. Solschenizyn. Alles Russen.

Der Iwan halt. Der russische Bär. Unzivilisiert. Irgendwie mongolisch barbarisch. Sagen wir’s doch, wie’s ist: der irgendwie immer noch bolschewistische Untermensch. Wild, verrückt, zügellos. Fanatisch, verführt, willenlos, Kampfmaschine, lügnerisch, arglistig, heimtückisch. Stalin. Dserschinski. Trotzki. Alles Umstürzler. Wollten und wollen den Weltbrand. Denen kann man nicht trauen.

Aber die haben Atombomben. Und schliessen deren Einsatz nicht aus. Diese Barbaren. Das tut man doch nicht. Wie bitte, die USA schliessen den Einsatz auch nicht aus? Die haben sogar bislang als Einzige Atombomben als Kriegswaffe eingesetzt?

Wer wagt es? Ein Defätist. Ein Putin-Versteher. Sicher vom Kreml bezahlt. Im besten Fall ein Verwirrter und Verführter. Im schlimmsten Fall ein Willi Wühler, ein Subversiver. Ein Vaterlandsverräter halt. Dem darf man keine Plattform geben. Da hört sich’s mit der Meinungsfreiheit aber auf.

Moskau einfach.

 

2 Kommentare
  1. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Der Mainstream hat sich die 10 Punkte verinnerlicht. Jubeln, wenn Coop den Wodka aus den Regalen räumt, jammern wenn «der Russe» Schweizer Luxusuhren beschlagnahmt. Dann wird sofort von «Willkür» geschwurbelt. Finde den Fehler.

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  2. René Küng
    René Küng sagte:

    Tönt wie lustig, etwas sarkastisch, die Ironie bleibt uns längst im Halse stecken.
    Aber es ist einfach so wie’s ist,
    auch wenn es immer noch genug Dumpfbacken gibt, ob Dampfzentrale, Antifa oder die gutgläubigen SRF-Gläubigen – was für Allianzen im Jahr 2022 – die ungeschüttelt immer noch dran glauben, dass die mit bösen Hintergedanken immer nur die andern sind.
    Dass unsere Regeln für ziemlich lange vor allem die Nimm-Regeln waren, wird zur Zeit gewaltig durchgeschüttelt. Dauert halt noch ein wenig, bis die Selbstzufriedenen wachgerüttelt sind.
    ‹Wacht auf› hören die ja nicht so gern.
    Herr Zeyer, Sie sehen’s schon richtig, aber im Land der Schlafwandler drohen Sie diese tatsächlich zu stören – den Schlaf der Selbstgerechten möchten die sich nicht nehmen lassen.

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