Tanken für den Frieden

Steigt der Spritpreis auf 3 Franken, hört der Spass auf.

Sanktionen? Unbedingt. Ausschluss russischer Banken aus internationalen Zahlungssystemen? Sofort. Schliessung der Filialen westlicher Multis in Russland? Genau, Schluss mit Ikea, McDonald’s und Co.

Beschlagnahmung von Jachten, Villen, Bankkonten russischer Oligarchen? Unbedingt. Die sollen wissen, wie wendehalsig wir im Westen sind. Zuerst in London, Genf, Paris, Berlin und auch Zürich mit offenen Armen empfangen. Schweizer Gnome strapazierten ihre Leber und schütteten literweise Wodka in sich rein, um russische UHNWI, also die Reichsten der Reichen, als Kunden an Land zu ziehen.

Kein Bückling zu tief, kein Weg zu weit, immer mindestens eine Dose Beluga-Kaviar, und dazu vielleicht einen «Legend of Kremlin Premium Wodka» im neckischen Buchversteck zum Verschenken im Kühlschrank. Plus natürlich mindestens zwei Flaschen «Beluga Gold Line» für schlappe 430 Franken. Dafür gibt’s aber 1,5 Liter und ein Extrahämmerchen zum Entfernen des Siegels.

Alles vorbei, auch die russische Zobelmütze wird verschämt im Keller eingemottet. Ganz dreckig geht es bereits den grossen Rohstoffhändlern in der Schweiz. Die neuen Masters of the Universe, unkaputtbar, mit dem einfachen Prinzip »verkaufe teurer, als du einkaufst» zu Multimillardären geworden – nun dank senkrecht fallenden Kursen am Verlumpen.

Die Volksseele applaudiert und kocht

Das alles findet unter grossem Beifall der Bevölkerung statt. Gelegentlich rastet auch der Volkszorn etwas aus und beschädigt Ladenfronten von russischen Geschäften und Lokalen, als seien die Besitzer persönlich für die Politik Putins verantwortlich. Russische Künstler, Sportler, Schauspieler, überhaupt alles, was blondgefärbt dieses unannachahmliche «äh» wie in «russischä Sääle» ausspricht, muss mit Repressionen rechnen.

Das nannte man früher Sippenhaft, das nennt man heute Zeichen setzen.

Aber es gibt ein Thema, da wird’s etwas schwierig mit den Zeichen gegen und dem Kampf für und «stoppt Putin». Bei allem, was mit Energie zu tun hat. Deshalb haben bislang erst die USA angekündigt, auf den Import von russischem Erdöl und -gas zu verzichten. Deshalb tänzeln alle europäische Staaten um dieses Thema herum.

Denn fast die Hälfte aller russischen Exporte bestehen aus diesen beiden Produkten, rund ein Drittel des BIP wird damit erwirtschaftet. Ein Boykott würde Russland massiv, schnell und viel schmerzlicher treffen als alle bisherigen Sanktionen.

Wollen wir boykottieren, wo’s weh tut?

Auf der anderen Seite stammt rund die Hälfte des in die Schweiz importierten Erdgases – aus Russland. Beim Erdöl ist’s nicht so dramatisch, aber der russische Anteil ist auch bedeutend. Natürlich wäre es möglich, russische Produkte durch andere Quellen zu ersetzen. Gas kann in flüssiger Form importiert werden, neben Russland gibt es die arabische Welt, die USA und sogar Venezuela als mögliche Exporteure.

Nur: das kostet. Schon jetzt steigt der Benzinpreis und steigt und steigt. Gelenkig hat er die Schwelle von 2 Franken überschritten, bewegt sich auf 2.25 zu, auf 2.50, auch 3 Franken liegt durchaus drin. Das trifft den Schweizer, auch den friedensbewegten, falls sich der nicht prinzipiell mit Velo und ÖV fortbewegt, ins Mark.

Wenn das Befüllen einen 70-Liter-Tanks mal 200 Franken kostet, sieht das mit «Zeichen der Solidarität setzen, Boykott russischer Produkte» schon etwas anders aus. Da wird’s dann ganz schräg. Da könnte sich der Volkszorn plötzlich nicht länger gegen Russland, sondern gegen die eigene Regierung richten.

Denn, was schamvoll im Kleingedruckten erwähnt wird, rund die Hälfte des Spritpreises landet in Form von Steuern und Abgaben nicht etwa in Russland, sondern beim jeweiligen Staat.  Das regelt in der Schweiz das «Mineralölsteuergesetz», abgekürzt MinöStG. Für Motorenbenzin und Diesel ist zusätzlich ein Mineralölsteuerzuschlag fällig.

Das bedeutet, wenn die Eidgenossenschaft auf knapp 5 Milliarden Steuereinnahmen verzichten würde, käme der Spritpreis auf idyllische 1.20 oder so runter. Dann würde friedlich Tanken für den Frieden in der Ukraine und der ganzen Welt wieder richtig Spass machen.

Wer übrigens meint, die steil nach oben schiessenden Spritpreise hätten wir dem Unmenschen Putin zu verdanken: stimmt auch nur teilweise. Denn richtig absahnen tun, wie immer in solchen Krisen, die Raffinerien. Denn die Preiserhöhungen beim Endprodukt stehen mal wieder in keinem Verhältnis zu den Preiserhöhungen pro Barrel Rohöl …

Oder aber, ZACKBUM mit hohem Nutzwert, wie wär’s, dieses Angebot auszunutzen? Gut, ist nicht gerade zentral gelegen, aber diese Preise sind unschlagbar …

Diesel Fr. 1.61 (wenn man in Euro zahlt), Bleifrei 1.624. Das sind Zahlen aus dem Automobilistenhimmel …

5 Kommentare
  1. Hans von Atzigen
    Hans von Atzigen sagte:

    Da haben einige Vorstellungen.
    Das wirkt nicht nur an der Auto-Treibstoff-Zapfsäule.
    Das zieht sich durch alle Produktionsprozesse und Lieferketten.
    Dazu kann man die Öliförderung nicht schnell mal so hoch und herunterfahren.
    Wie aktuell die Militärische Lage tatsächlich ist, kann man nur abschätzen.
    Wenn man das mit den radikalen Vollboykottmassnahmen durchziehen will, dann sollte man wissen, Russland kann, wenn es hart auf hart geht auch autark Überleben.
    Das heutige Russland ist nicht die oberjämmerlich abgesoffene UDSSR.
    Dazu bildet sich ein Dreieck, Moskau- Peking und Teile des Nahen Ostens.
    Letztere haben die Indianerkriege der letzte 25 Jhre kaum vergessen.
    In diesem Dreieck konzentriert sich die Masse des Öls und obendrauf auch noch der grössere Teil = China, der industriellen Produktionskapazitäten.Auch China rüstet auf auch das aus eigener Produktion.
    Und so als Zugabe die Neue Seidenstrasse nach Nahost entzieht sich der grössten Trägerfiotte der Welt, der US-Flotte.

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  2. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Der Oberabsahner mit Namen Staat hat ein grosses Interesse an steigenden Benzin-/Dieselpreisen. Nachdem er und andere schon vorher tüchtig zugelangt haben, kommt die MWST hinzu, aktuell ca. 15 Rp./Liter. Je höher der Literpreis, umso besser – für den Staat.

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  3. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Die wahren Opfer sind nicht die Reichen aus Russland die ihr geklautes oder durch Korruption erworbenes Vermögen im Ausland anlegen, auch wenn sie auf Kaviar und guten Wodka verzichten müssen. Auch wenn sie enteignet, Vermögen gesperrt oder drangsaliert werden. Ihnen geschieht recht, warum legen sie ihr Geld nicht zum Wohl der RussenInnen in ihrem Land an? Die wahren Opfer sind die Menschen in der Ukraine die ums Überleben kämpfen, die werden in Sippenhaft gezogen, Opfer sind auch die jungen Russen die als Soldaten in der Ukraine kämpfen müssen und möglicherweise mit dem Leben bezahlen, auch sie und ihre Angehörigen sind betroffene Sippe!

    Soll der Staat auf 5 Milliarden Steuereinnahmen verzichten damit die Preise für Diesel und Benzin sinken? Warum nicht, dann aber auch die Zusatzfrage: soll der Staat auf Strassenbau und Unterhalt verzichten? Eine temporäre Senkung der Abgaben um 50% und temporäres Limit 100 auf Autobahnen wären sinnvolle Massnahmen! Es gab ja schon 73 radikalere Massnahmen!

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    • Rolf Karrer
      Rolf Karrer sagte:

      Ein monatliches Sonntagsfahrverbot vielleicht auch ein sanftes Mittel, um unserer eidgenössischen Verwahrlosung entgegenzutreten.

      Am 25. November 1973 war der erste diesbezügliche Sonntag. Speziell die Kinder haben es sehr genossen und auch das Haushaltsbudget wurde geschont.

      Sofort machen ohne Palaver.

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  4. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Der Ami setzt die Importe von russischer Energie aus – per Ende 2022.
    Deutschland will Flüssiggas aus den USA importieren. Gewonnen mit Fracking, dem Verfahren, welches in Deutschland verboten wurde.
    Die üblichen Gefälligkeitswissenschafter rechnen wieder mal vor, dass ein Aussieg aus russischer Energie schnell machbar sei.
    Die SP will die steigenden Treibstoffpreise mit autofreien Sonntagen bekämpfen.
    Die 5 Mia Steuerausfälle sind ein Klacks zu den über 30 Mia, die in der Schweiz in 2 Jahren für Corona-Massnahmen verbraten wurden.
    Heucheln und Schwurbeln an allen Ecken und Enden.

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