Hoch lebe die Denunziation
Philippe Reichen klagt an. Seine Journalistenkollegen der Westschweiz.
Tamedia-Redaktor Reichen warf sich schon in die Schlacht, als es um Sexismusvorwürfe in der Romandie ging. «Die Mauer des Schweigens bricht», verkündete er mit dramatischem Tremolo. Das dann alle Vorwürfe gegen einen ehemalige Star des Westschweizer Fernsehens zusammenbrachen, was soll’s, dann stellt man halt das Getrommel ein und kümmert sich um andere Sachen.
Zum Beispiel um einen neuen Skandal: «Einflussreiche Westschweizer Journalisten distanzieren sich kaum vom russischen Präsidenten.» Das ist unerhört:
«Trotz Krieg zeigen sie Verständnis für Putin».
Wen nagelt Reichen denn da an den öffentlichen Schandpfahl? Da wäre mal «Eric Hoesli, Ex-Chefredaktor von «Le Temps» und amtierender Verwaltungsratspräsident derselben Zeitung». Was macht denn dieser Putin-Versteher? Er sagt doch tatsächlich: «Er verurteile den Krieg, aber es gebe nach wie vor «eine Form von Rationalität im Kopf von Wladimir Putin», stellte Eric Hoesli fest.»
Mais ça va pas, merde alors, Hoesli erklärt Putin nicht für verrückt? Nicht mal für krank? Aber der ist ja nicht der Einzige: «Guy Mettan, ehemaliger Chefredaktor der «Tribune de Genève», setzte noch einen drauf, er «bezeichnete die Ukraine am Abend nach Kriegsbeginn gar als «das korrupteste Land Europas»». Wie kann der nur so etwas sagen. Stimmt zwar, aber doch nicht zum Kriegsausbruch.
Aller schlechten Beispiele sind drei: «Myret Zaki, Ex-Chefredaktorin des Wirtschaftsmagazins «Bilan», stellte den russischen Feldzug in ihrer Westschweizer «Blick»-Kolumne wiederum in einen Zusammenhang mit einer angeblichen amerikanischen Politik der «Derussifizierung» in Osteuropa.»
Reichen schüttelt es und schüttelt es
Aber der Schlimmste ist schon Hoesli, den bewirft Reichen ausdauernd mit faulen Eiern. Der habe zwar auch in einer TV-Diskussion eine «extrem schwere Verletzung des internationalen Rechts» konstatiert, muss der anklagende Schreiber einräumen. Aber gleichzeitig habe Hoesli doch «Kritik an den Sanktionen angedeutet», ja die Neutralität der Schweiz bezweifelt. Was trauen sich der Herr, unglaublich. Denn Hoesli ist nicht nur Putin-, nein, er ist auch Russland-Versteher und erzählt doch was von einer Desillusionierung über den Westen in der russischen Bevölkerung. Das bringt ihm aber eine scharfe Rüge von Reichen ein:
«Doch sind die von Hoesli beschriebenen Gefühle keine Folge der gezielten Desinformationskampagne der vom Kreml kontrollierten Medien, zu denen der TV-Sender Russia Today gehört? Was sagt Hoesli angesichts der staatlichen Desinformation zur Tatsache, dass er und das russische Honorarkonsulat 2018 die stellvertretende Chefredaktorin von Russia Today für eine Konferenz an den Genfersee nach Coppet einluden und sie ihr Konzept des «disruptiven Journalismus» präsentieren liess?»
Nimm, das Hoesli, und antworte, bereue, gehe in dich, erzähl nicht solchen Putin-Quatsch. Aber der Frechdachs habe doch nicht auf «Anfragen dieser Zeitung reagiert». Typisch für einen Putin-Versteher.
Der Höhepunkt kommt am Schluss
Geht’s noch schlimmer? Allerdings, den Höhepunkt hat sich Reichen für den Schluss aufgehoben, ein selten niederträchtiges, dem Kreml-Herrscher kriecherisch ergebenes Stück Versagen: «Die Freiburger Zeitung «La Liberté» hatte entschieden, Putins Rechtfertigungsrede für den Einmarsch in die Ukraine als Inserat abzudrucken. In der Rede sprach Russlands Präsident unter anderem davon, die Ukraine entnazifizieren zu wollen. Bezahlt wurde das Inserat von einem Freiburger Anwalt.»
Wie rechtfertigt sich denn der verantwortungslose Verantwortungsträger der Zeitung? «François Mauron, Chefredaktor von «La Liberté», rechtfertigte die Publikation des Inserats mit dem Argument der freien Meinungsäusserung, die auch für Putin gelte. Putins Monolog lasse einen zwar «sprachlos» zurück, aber verstosse nicht gegen Schweizer Recht, so Mauron.»
Das macht nun auch Reichen sprachlos. Wie kann man es nur wagen, einen Text dieses wahnsinnigen Unmenschen abzudrucken, aus schnöder Gewinnsucht, und dann noch behaupten, das sei legal? Eigentlich sollte man mit der «Liberté» das Gleiche machen wie mit «Russia Today»: verbieten. So viel Freiheit muss doch mal sein.
Philippe Reichen schreibt für TAmedia, erklärt den Mahnfinger-, Belehrungsjournalismus. Im eigenen Haus nicht alles zum Besten bestellt. 78 gedemütigte Frauen, Machos in jedem Büro, in jedem Lift, grosses Resozialisierungsprogramm, akzeptierte Zensur, keine Transparenz über interne Vorgänge, da ist es es besser man «dreckelt» bei der Konkurrenz. Beweist dass die Kontrollmechanismen an der Werdstrasse nicht greifen wenn Unsinn geschrieben oder Personen beleidigt werden!