Putin und ich

Seit dem Angriff auf ein ukrainisches AKW ist’s persönlich. Denn ich möchte nicht radioaktiv verstrahlt werden, nur weil ein Mächtiger Macht ausübt.

Es ist lächerlich, wenn sich ein Schweizer Journalist an den russischen Präsidenten Wladimir Putin wendet. Das wird er nicht zur Kenntnis nehmen, und selbst wenn, das geht ihm sehr schwer an einem bestimmten Körperteil vorbei.

Aber obwohl das für ihn so ist, ist mir mein Leben durchaus wichtig. Nicht nur meins, natürlich, aber doch in erster Linie. Und seit russische Truppen das AKW Saporischja in der Ukraine angegriffen und erobert haben, ist auch mein Leben direkt gefährdet.

Laut einem Video soll das technische Personal der Anlage die Angreifer angefleht haben:

«Hört auf zu schiessen, ihr gefährdet die Sicherheit der ganzen Welt.»

Bei der Eroberung des grössten AKW-Komplexes der Ukraine sollen russische Truppen auch Artillerie eingesetzt haben. Dabei sei ein Schulungszentrum zerstört worden, Artilleriegeschosse hätten zudem ein Reaktorgebäude beschädigt.

Laut Messungen sei aber kein Austritt von Radioaktivität festgestellt worden. Saporischja ist das grösste von insgesamt 5 ukrainischen AKW. Dasjenige von Tschernobyl haben russische Truppen schon erobert. 1986 ereignete sich hier ein katastrophaler Unfall, mehrere Trillionen Becquerel wurden in die Erdatmosphäre freigesetzt. Es ist der bislang grösste bekannte Unfall, der in einem AKW stattfand. Der damalige sowjetische Präsident Gorbatschow schrieb später, diese Katastrophe sei vielleicht noch mehr als seine Öffnungspolitik die wirkliche Ursache für den Zusammenbruch der UdSSR.

Der aktuelle Kremlherrscher hat nichts mit Glasnost am Hut

Welche Ironie der Geschichte, dass ein Denkschemata des kalten Krieges verhafteter russischer Präsident, der nichts, aber gar nichts mit Glasnost und Perestroika am Hut hat, nun riskiert, dass es zu einer weiteren nuklearen Katastrophe kommen könnte.

Kleiner Mann an grossem Schreibtisch mit zu vielen Telefonen.

Denn ein altes AKW mit sowjetischer Technologie ist schon gefährlich genug, auch wenn es nicht beschossen wird. Eine neuerliche radioaktive Verseuchung, die sich über grössere Teile von Europa ausbreiten könnte, wäre eine Menschheitskatastrophe.

Alle nach 1945 Geborenen waren bis vor Kurzem der Illusion verhaftet, dass sie in ganz besonderen Zeiten leben. Nämlich in Europa und im Frieden. Dass wir als erste Generation seit Jahrhunderten in den Frieden hineingeboren wurden und wohl auch in friedlichen Zeiten uns verabschieden werden.

Natürlich war das realitätsfern, dafür musste man die Katastrophe beim Zusammenbruch von Jugoslawien ausklammern. Dabei musste man übersehen, dass damals die NATO ohne UNO-Mandat und somit völkerrechtswidrig militärisch eingriff und nicht nur bei der Bombardierung von Belgrad viele Zivilisten starben.

Natürlich gilt auch, was die deutsche Regisseurin und Schauspielerin Katharina Thalbach sagt: «Wir wollen nur mal eins feststellen: Krieg war in den letzten Jahren ständig auf der Welt. Es ist jetzt nur für uns sehr nah.»

Alles so weit weg …

Aber so ist der Mensch. Irak, Jemen, die gesamte arabische Welt, Somalia, Äthiopien, die afrikanische Landkarte ist überzogen von Herrschaftsgebieten von War Lords. In Asien finden an unzähligen Orten grössere oder kleinere Schlachtereien statt. In weiten Gebieten von Lateinamerika herrscht Rechtlosigkeit, Faustrecht.

Aber das ist alles weit weg. Die Ukraine liegt, wie viele erstaunt feststellen, in Europa. Also haben wir einen europäischen Krieg. Als der schmutzige Vietnamkrieg der USA eine ganze Generation politisierte, war das auch ein ferner Krieg. Die Achsen des Guten und des Bösen, was hatten wir eigentlich damit zu schaffen.

Der Friedensnobelpreisträger Obama, der in der Tradition seines Vorgängers Kill Lists abarbeiten liess, Todeslisten von wirklichen oder vermeintlichen Terroristen und Fundamentalisten, die überall auf der Welt und unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft von US-Kommandos oder Drohnen umgebracht wurden, Kollateralschäden inbegriffen: auch das war weit weg. Der bis heute als Elder Statesman bewunderte Henry Kissinger, der mutmasslich ein Kriegsverbrecher ist, alles weit weg.

Unerträglicher Flachsinn in den Gazetten

Auch die Ukraine, Hand aufs Herz, ist ziemlich weit weg. Was ganz nahe ist, ist Heuchelei und Maulheldentum. Teilnahme der Schweiz an den Olympischen Spielen in Peking? Aber sicher. Ausschluss von russischen Behindertensportlern an den Paralympics in Peking? Aber sicher. Scharfe Zurechtweisungen und Forderungen Richtung Moskau und Bern, gepöbelt vom sicheren Schreibtisch aus im mit russischem Erdgas wohlbeheizten Büro? Aber sicher.

Differenzierung, Hintergründe, Erklärungen, praktische Hilfe? Sicher nicht von diesen Schreibtätern und Schreikräften. Das alles erfüllt einen mit tiefem Elend. In Russland ist nach den neusten Gesetzen keine sinnvolle Berichterstattung mehr möglich; immer mehr westliche Korrespondenzen werden geschlossen. In der Schweiz wäre differenzierte, Qualitätsansprüchen genügende Berichterstattung von keinem Gesetz untersagt.

Findet dennoch nicht statt. Selbst ein Randgruppenorgan wie der «infosperber» feuert einen langjährigen Mitarbeiter, weil der es unterlassen habe, «die Politik von Putin auch kritisch zu analysieren».

All dem ist der Einzelne hilflos ausgeliefert. Ein kleiner Lichtblick in dieser Düsternis ist die gelebte Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft von erstaunlich vielen. In erster Linie von angeblich fremdenfeindlichen, rassistischen, kaltherzig gegen die Aufnahme von Flüchtlingen vorgehenden Staaten wie Polen, Ungarn, Slowakei.

Was bleibt: Ich möchte nicht verstrahlt werden, weil ein atomar bewaffneter grosser Töter ein anderes Land überfällt, weil er’s kann und weil ihn niemand dran hindern kann. Nein, ich fordere Putin nicht zum sofortigen Rückzug aus der Ukraine auf. So lächerlich will ich mich nicht machen. Aber ich kann sagen: Herr Präsident Putin, Sie sind ein verbrecherisches Arschloch, und hoffentlich haben sie noch ein kurzes Leben.

Napoleon-Komplex?

3 Kommentare
  1. Alfons Wirth
    Alfons Wirth sagte:

    Wie ich gelesen habe, die Russen haben Tschernobyl gleich am ersten Tag unter ihre Fittiche genommen, war ich erleichtert, und gleichzeitig war mir klar, warum die Russen den Krieg in der Ukraine nun aktiv beenden wollen nach der Ankündigung der Ukraine an der Münchner Sicherheitskonferenz, sich atomar bewaffnen zu wollen. Europas Sicherheit zuliebe.

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  2. Adrian Venetz
    Adrian Venetz sagte:

    Hab kurz mit Putin telefoniert. Er findet die Bezeichnung «Arschloch» unangemessen und setzt Zackbum auf die Liste der unfreundlichen Medien. Aus kremlnahen Kreisen ist zudem zu vernehmen, dass Putin die Kosten für sein WW-Abo nicht mehr überweisen kann. Dem Ärmsten bleibt aber auch gar nichts erspart.

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    OK, Russland-Ukraine abgeschlossen. Und Putin ein…
    Bevor ich zum Putin-Versteher oder gar Potentaten-Freund gestempelt werde; ohne zu wissen, wer, von wo, wie, warum und wie echt die Atom-news daherkommen (oder das gar zu verharmlosen), hab keinen Fernseher und profitiere davon, dass Herr Zeyer die westlichen Propaganda-Blätter durchsteht.
    Habe aber andere Propaganda mitbekommen über 14 US-gesteuerte Bio-Labore in der Ukraine. In Georgien soll’s auch welche haben, in Wuhan hat’s löchrige und wo hat’s die nicht? Und für was für Zwecke, unsere Gesundheit?
    Im rechtsschwachen Lateinamerika, in Afrika, in Indien, vielen Ländern wo Menschen wenig zählen und noch weniger haben sind ‹Testgebiete› für diese Gesundheit-Granaten dieser Pharmakrieger ohne Haftung und Skrupel.
    Seit einem Jahr plus sind die Testgebiete ausgeweitet worden auf weitere unnütze Fresser dieses Planeten, orchestriert von denen, die angeblich auch Putin weghaben wollen.
    Falls das denn wirklich das Ziel wäre und nicht Putin- oder Xi-Verhältnisse für alle N*a*p*o*l*e*o*n*i*t*a*s
    in West, Ost, Süd und Davos.
    Herr Zeyer, wir sind umgeben von Arschlöchern. Für mich sind es eher Verbrecher, kriminelle aller Couleur und ganz viele sehr gut gekleidet und in ehrenwerten Positionen.
    In der Tat, es gibt viel anderes zu schreiben.
    Vielleicht gut so, denn ich werd das Gefühl nicht los, dass diese Herren und Damen im Edelzwirn hier im Westen, diesen hässlichen Krieg dort brauchen, um von ihrem hässlichen Krieg hier gegen die Freiheit, den Anstand und dem Respekt vor Leben ablenken zu können.

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