Tagi -Qualität

Ein Jungredaktor verbockt einen Artikel. Er rutscht ins Blatt, durch alle Kontrollen.

Angeblich sollen fünf gnadenlose Kontroll- und Qualitätsprüfungen stattgefunden haben, bevor der Artikel «Sonja Rueff-Frenkel (FDP): Die Frau mit dem Spinnennetz» erschien.

Darin erlaubte sich Kevin Brühlmann einige fragwürdige Fragen und Bezüge auf orthodoxe jüdische Sichtweisen auf Frauen. Kann man so machen, sollte man nicht so machen.

Darauf erhob sich Protestgeschrei, und zweistufig krochen Oberchefredaktor Arthur Rutishauser und Pseudo-Co-Chefredaktorin Priska Amstutz zu Kreuze. Grosse Entschuldigungorgie, der sich auch der Autor anschloss.

Die Betroffene und Vertreter der jüdischen Gemeinde in Zürich zeigten sich davon befriedigt und wollten die Sache ad acta legen. Sie warnten sogar ausdrücklich davor, hier ein Exempel zu statuieren, weil die Probleme im Tagi wohl tiefergreifender seien, wenn ein solcher Text durch alle angeblich vorhandenen Kontrollinstanzen unbeschnitten rutschte.

Aber es wäre ja nicht das Qualitätsorgan Tamedia, wenn man sich nicht bemühen würde, die schlimmstmögliche Wendung zu finden.

Einem Journalisten fiel auf, dass Brühlmann bereits seit einer Woche nicht mehr im Impressum von Tamedia steht. Nach einigem Rumgedruckse räumte man ein, dass man sich inzwischen von Brühlmann «getrennt» habe, es habe immer wieder Differenzen bei der Auffassung gegeben, was Qualitätsjournalismus à la Tagi beinhalte.

Offenbar beinhaltet es, dass man sich dann doch, aber erst nach Tagen, vom Jungjournalisten trennte, auf Deutsch: ihn feuerte.

Damit verknüpft ist das mehrfache Lippenbekenntnis, dass man die Kontrollen und vor allem das Gegenlesen von Artikeln noch viel massiver implementieren möchte, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholten.

You’re kidding, wie da der Ami sagt. Was soll denn verbessert werden, wenn tatsächlich fünf Nasen den Artikel lasen und nichts daran auszusetzen fanden? Das ist doch schon mal die erste Bankrotterklärung.

In Hierarchien, die nicht nur klimgende Titel vergeben, sondern die auch an Verantwortung knüpfen, ist es völlig klar, dass der Verursacher eines Problems eine Mitverantwortung trägt. Noch grösser ist aber die Verantwortung der übergeordneten Kontrollinstanzen, die den Fehler nicht bemerkten, ihn zuliessen, ihrer Verpflichtung nicht nachkamen.

Die Entschuldigungsorgie wurde von Oberchefredaktor Rutishauser und Pseudo-Co-Chefredaktorin Amstutz unterzeichnet. Rutishauser hat die wenig beneidenswerte Aufgabe, bei rund einem Dutzend Kopfblättern nach dem Rechten sehen zu müssen. Also ständig Feuerwehrmann zu spielen, weil irgendwo immer Feuer im Dach ist.

Aber Amstutz hat ohne zu erröten diese Selbstbezichtigung unterzeichnet, dass diverse Kontrollinstanzen versagt hätten. Auf Deutsch: sie hat versagt. Ihr Mit-Co-Chefredaktor Mario Stäuble hat die Entschuldigung nicht mal mitunterzeichnet.

Weder von ihm, noch von ihr hat man bislang ein selbstkritisches Wort vernommen. Die zweite Bankrotterklärung. Erst auf dem Latrinenweg erfuhr die Öffentlichkeit davon, dass der Autor des Artikels gefeuert wurde. Keine Medienmitteilung, nichts. Erst nach einer Schrecksekunde räumte die Tamedia-Medienstelle ein, dass man sich getrennt habe. Wie, warum, fristlos, mit welcher Begründung genau? Da würde Transparenz für den Tagi offenbar zu weit führen. Dritte Bankrotterklärung.

Inzwischen soll die Redaktion, wird gemunkelt, ihr Befremden über diese Vorgehensweise ausgedrückt haben. Und, Traumtänzer, die sie sind, soll die Wiederanstellung von Brühlmann gefordert worden sein. Mehr wolle man aber öffentlich nicht sagen, wird verlautet.

Offenbar hat die Redaktion immerhin etwas vom Protestschreiben von 78 erregten Tamedia-Frauen gelernt, dass als interne Kritik etikettiert war, aber ohne Einverständnis aller Unterzeichnerinnen via Jolanda Spiess-Hegglin an die Öffentlichkeit gespült wurde. Wodurch mit diesem dubiosen Absender schon mal einiges an Wirkung verspielt wurde. Vierte und fünfte Bankrotterklärung.

Letztlich wird ebenfalls kolportiert, dass sich Big Boss Pietro Supino schon mehrfach über Artikel von Brühlmann echauffiert haben soll. Sollte das tatsächlich eine Rolle bei der Entlassung von Brühlmann gespielt haben, wäre das ein weiterer, eigentlich überflüssiger Beweis, dass die famose strikte Trennung zwischen Verlag und Redaktion ein müder Witz ist. Sechste Bankrotterklärung.

Frage: Wie oft können die wichtigsten Prinzipien eines seriösen, verantwortungsbewussten und ernstzunehmenden Journalismus an die Wand gefahren werden?

 

8 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    ‹zweistufig krochen›
    im dritten Kurzabschnitt gleich zu Beginn, bringt der Chef das alles dominierende der Gegenwart auf den Punkt:
    ‹kriechen› wäre das Wort unserer blei ernden 20-Jahre und global droht es zur Qualität des neuen Jahrtausends zu werden, das uns von ‹ganz oben› nicht nur über beide Ohren gezogen werden soll.
    Die Völker kriechen zuerst unter der Maske, dann unter dem ’social debit chip› – ob zuerst im handy und später unter der Haut.
    Die nationalen Pseudo-Eliten, die auch noch nicht kapieren, dass sie nur Hampelmann/weiber sind, die grad noch die Gleise mit legen dürfen und weiter ‹etwas› oder mehr ‹reich› sein. Alle so ‹klug›, aber nicht hell genug, damit sie merken, dass dereinst (wie fern?) unter globalen Mächten ihre Schleimerdienste in einer Weltregierung nur noch benutzt, aber überhaupt nicht mehr gefragt werden.
    Die Medien werden gekriecht und es hat inzwischen genug oder nur noch die Simplen (ich nenn sie nicht Dummköpfe, weil wir sitzen alle im gleichen untergehenden Boot) in den Hinrichtungsboxen.
    Hab ich’s falsch geschrieben?
    Auf jeden Fall, ist da wieder einer weniger in Züri, der Anstalten gemacht hat, nicht zu kr…….
    Schweizerinnen, Schweizer, es wäre wirklich Zeit aufzuwachen (sorry für diese Plattitüde) aus unseren, zur Zeit immer noch armen Näschtli. Bevor wir aus dem wohlvertrauten kriechen direkt ins kotzen ob der Neuen Weltordnung geprügelt werden…….

    Antworten
    • René Küng
      René Küng sagte:

      warmen Näschtli – das mac controlling System funkt immer mal wieder rein.
      Oder wissen DIE einfach schon mehr und bereiten uns vor darauf, dass warm bald arm heissen muss?

      Antworten
  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Unglaublich was Rutishauser, Stäuble, Amstutz für ein Trauerspiel liefern. Sie nennen sich Chefredaktor oder stv. ChefredaktorIn und keiner übernimmt Verantwortung. Sie ducken sich in bester Sesselklebermanier weg. LeserInnen des TA werden über den internen Vorgang nicht informiert, sie müssen sich in anderen, unabhängigen Medien wie InsideParadeplatz, Republik, Zackbum, Persönlich, Tachles informieren. In einem Kommentar zum Medienförderungsgesetz hat Supino über den Journalismus geschrieben: «..Ihre Aufgabe ist es, über Fakten und Meinungen zu berichten». Was der Verleger natürlich nicht sagt, wenn es das eigene Haus betrifft und mir nicht passt ist zuerst mal Zensur angesagt.

    Der TA ist dank Supino der nur schwache Leute in der Chefredaktion duldet an einem weiteren Tiefpunkt angelangt. Und schwache ChefredaktorInnen dulden nur schwache JournalistenInnen*. Natürlich werden diese 3 weiterhin Leitartikel schreiben, ihre Meinung kundtun, den Mahnfinger erheben, belehren, Worthülsen produzieren, «wirmüssenwirdürfenwirsollen», aber wer nimmt diese 3 noch ernst? Wer nimmt Supino noch ab dass er ein verantwortungsvoller Verleger ist und jederzeit die Unabhängigkeit der Redaktion respektiert und garantiert? Um diese «Unabhängigkeit» finanzieren zu können wollte er noch Steuergelder, Krass! Es ist längst nicht mehr ein Fall Brühlmann, es ist ein Fall Tages-Anzeiger und beschreibt den Niedergang einer einst angesehenen Tageszeitung, über das Versagen des Verlegers und der Chefredaktion!

    *die meisten mit Studium und trotzdem kein Profil, kein Mut, kein journalistischer Stolz über grenzwärtige Internas zu berichten. In erster Linie darauf bedacht ihre Pfründe nicht zu gefährden

    Hinweis zu Kevin Brühlmann, er ist im Impressum gelöscht, aber in «Die «Tages-Anzeiger»-Redaktion stellt sich vor», noch aufgeführt!

    https://interaktiv.tagesanzeiger.ch/2021/mitarbeiter-der-redaktion/

    Antworten
    • Beth Sager
      Beth Sager sagte:

      Richtig packend formuliert. Gut.

      Ihre Wortschöpfung «wirmüssenwirdürfenwirsollen» ist einfach brillant dazu, Victor Brunner.

      Antworten
      • Mario Sacco
        Mario Sacco sagte:

        Warum nicht? Der mittlerweilen etwas ausgetragene Tagesanzeiger-Slogan „Wir bleiben dran“ könnte zweifellos durch die resolute Hymne «wirmüssenwirdürfenwirsollen» ersetzt werden.

        Antworten
        • Victor Brunner
          Victor Brunner sagte:

          … und wie sie dranbleiben. Marc Brupbacher sucht nach abflauen von Corona ein neues Betätigungsfeld: «Auch diese Saison zirkuliert die Grippe kaum», mit Zahlen des BAG, wahrscheinlich wieder ungeprüft übernommen!

          Antworten
  3. Elsbeth Rufer
    Elsbeth Rufer sagte:

    In den damaligen Leserkommentaren zu diesem TA-Portrait, wurde selbst innerhalb der jüdischen Gemeinde, diese Vorstellung von Sonja Rueff-Frenkel unterschiedlich bewertet.

    Zwei Beispiele mit unterschiedlicher Beurteilung:

    „Ich habe im Beitrag über Sonja Rueff Frenkel überhaupt keine Probleme gesehen. Ich bin ein sehr liberaler aber auch bewusster Jude und weiss, dass das Jüdisch-sein in vielen Karrieren und in vielen Biografien eine wesentliche Rolle hat. Das liest man doch jeden Tag.

    Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Artikel irgendwelchen Schaden verursacht hat, im Gegenteil. Die jüdische Welt hat auch viele Bewunderer, zum Glück.“
    (Pierre Rothschild)

    „Frau Rueff-Frenkel wird als jüdisch und reich porträtiert, als «Spinne im Netz», also gewiefte Strippenzieherin. Weitere antisemitische Klischees werden bemüht, wie «unrein» während der Menstruation. Nur bei der jüdischen Kandidatin wird die Religionszugehörigkeit ins Zentrum gestellt. Die Chef-Redaktion, Herr Rutishauser und Frau Amstutz, entschuldigt sich zwar wortreich, aber wie? Es gehe «möglicherweise»(!) um Schäden. Wie wenn reaktivierte anti-jüdische Stereotypen unwirksam wären. Diese zwei betreiben damit eine Umkehrung der Beweislast, letztlich sei der Schaden von den Betroffenen erst noch zu beweisen. Traurig, dass es jüdische Menschen gibt, die wie Sie, Herr Rothschild, solches Versagen wegleugnen. Und die «Bewunderer der jüdischen Welt»? Sie vergessen offenbar, dass sich hinter einigem Philosemitismus oft Antisemitismus versteckt“.
    (G.Bollag)

    Mir ist damals aufgefallen, dass in keinem dieser Stadtratsportraits, derart ausführlich über die Religion und ihren Lebenspartner geschrieben wurde. Wirklich wichtige, für dieses Amt relevante Eigenschaften blieben verborgen. Beispielsweise bekam die Leserschaft nicht zu Kenntnis, dass Sonja Rueff Vizepräsidentin der FDP Stadt Zürich ist oder dass sie sich im Vorstand der Frauenzentrale betätigt.

    Die Chefredaktion ist klar verantwortlich, für ihre unterlassene Kontrollfunktion.

    Antworten
  4. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    Interessant ist, dass in der Recherche für dieses Portrait von Sonja Rueff-Frenkel, der verfängliche Satz mit dem Spinnennetz von ihrem Bruder Beni stammte. Der Autor Kevin Brühlmann hat diese Umschreibung dankbar aufgenommen und in den Artikel gesetzt. Bin mir ziemlich sicher, dass Bruder Beni Frenkel diese Charaktereigenschaften seiner Schwester nicht mehr so ausdrücken würde heute.

    Zitat aus diesem TA-Portrait:

    „Wenn du mit Sonja redest», sagt ihr Bruder Beni Frenkel, der als Journalist und Autor arbeitet, «fühlst du dich danach aufgehoben. Es ist ein sehr warmes Gefühl.» Gleichzeitig, sagt er weiter, «ist sie wie eine Spinne, die in der Mitte sitzt, rundherum ihr Netz, und du bist drin, ob du es willst oder nicht»

    Antworten

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar zu Mario Sacco Antworten abbrechen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert