Kevin, allein zum Graus
Ein gut gestarteter Jungredaktor schreibt sich ins Aus.
Vielleicht ist Kevin Brühlmann unser Lob in den Kopf gestiegen. Denn was er auf den Spuren des Kalten Kriegers und Linkenjägers Ernst Cincera aufdeckte, war ein selten gutes Stück Recherchierjournalismus.
Einen ersten Schwächeanfall erlitt Brühlmann allerdings, als auch er noch seinen völlig überflüssigen Senf zur Bührle-Sammlung im Kunsthaus Zürich abgeben musste. Was besser unter «mein liebes Tagebuch» vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben wäre, ergoss sich in die Spalten des «Tages-Anzeiger».
Leider nahm Brühlmann dann den hier erfolgten Rüffel nicht zu Herzen. Denn diesmal ist’s ziemlich peinlich. Oberpeinlich, sogar. Denn Oberchefredaktor Arthur Rutishauser musste zusammen mit der Frühstücksdirektorin Priska Amstutz in die Tasten greifen. Co-Sub-Chef Mario Stäuble profitiert offenbar davon, dass ein Mann und eine Frau als Duo reichen.
Waren wieder erregte Tamedia-Frauen ausfällig geworden? Nein, es geht nur um eine einzige Frau. Beziehungsweise um ein Porträt der FDP-Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel. Aus der Feder von Kevin, dem Grausamen. Ein Schlag ins Kontor, denn nun schreiben die beiden:
«Wir entschuldigen uns».
Seit dem üblen Stück Konzernjournalismus von Philipp Loser über den Konkurrenten Lebrument ist der Tagi nie mehr so zu Kreuze gekrochen:
«Im Artikel wurden ungewollt antisemitische Klischees bedient. … Wir bedauern den Schaden, der mit der Veröffentlichung möglicherweise entstanden ist. … In diesem Fall haben wir unsere Qualitätsstandards nicht eingehalten, und die Kontrollinstanzen, die diese sicherstellen, haben nicht funktioniert. … Für die Publikation des Artikels und die dadurch verletzten Gefühle möchten wir uns entschuldigen.»
Das ist mal eine ganze Arie. Fehlt nur noch, dass sich Rutishauser und Amstutz vor dem Tamedia-Glashaus das Haupt mit Asche bestreuen, sich die Kleider zerreissen und «Entschuldigung» im Duett singen.
In «Tachles» war die Welt noch in Ordnung.
Was ist denn passiert? Kevin Brühlmann hatte sich an einem Porträt der FDP-Frau versucht: «Sonja Rueff-Frenkel (FDP): Die Frau mit dem Spinnennetz» (hinter Bezahlschranke). Eigentlich Trivialjournalismus, Anfängerübung, was für Kindersoldaten. Einen Tag begleiten, ein paar Quotes abholen, ein paar szenische Beschreibungen, eine Prise Kritik, der Versuch einer Schlusspointe. Et voilà.
Wenn ein Redaktor Ziel und Mass verliert
Läuft in der Liga «ein Tag in der Suppenküche», «mit dem Sozialarbeiter auf der Gasse». Kann eigentlich nix schiefgehen. Ausser, der Journalist verwechselt seine Notizen mit einem fertigen Artikel. Daher rutschte ihm zum Beispiel dieser hier rein: «Sie war für die drei Kinder zuständig, die eine jüdische Privatschule besuchten; ein Schuljahr kostet zwischen 19’000 und 28’000 Franken. … Sie ernährt sich koscher und hält den Sabbat ein (im Wahlkampf macht sie Ausnahmen).»
Soweit, so überflüssig, aber noch okay. Allerdings hängt Kevin der Kritische noch ein Interview dran, in dem er eine merkwürdige Vorliebe für die Menstruation an den Tag legt. Genauer: «Frauen gelten unter Orthodoxen bei Beginn ihrer Menstruation als unrein und dürfen von ihren Ehemännern nicht berührt werden – wie passt diese unterdrückte Sexualität mit Gleichstellung zusammen?»
Die Menstruation gnadenlos nachgefragt
Rüegg-Frenkel antwortet leicht ausweichend: «Ich glaube nicht, dass sich orthodoxe Jüdinnen unterdrückt fühlen.» Aber Kevin Gnadenlos bleibt auf der Blutspur: «Und die Tatsache, dass Frauen als «unrein» gelten?» Sie antwortet mit gesundheitlichen Aspekten, aber Kevin ist nicht zufrieden: «Diese Vorschriften sind aber jahrhundertealt.»
Spätestens nach der zweiten Fragen muss man tatsächlich sagen, dass ein solcher Pipifax von religiösen Uraltsitten in einem Porträt einer Kandidatin für ein politisches Amt nichts zu suchen hat.
Da ist ungefähr so sinn- und geschmackvoll, wenn man einen CVP-, Pardon, «Mitte»-Kandidaten fragen würde, was er eigentlich vom biblischen Verbot der Onanie hält. Kann man machen, muss man nicht machen, sollte man bei einer Frage bewenden lassen.
Übertrainierter Jungspund
Das kommt halt davon, wenn sich ein Jungredaktor ein paar Dinge über die jüdische Religion zusammengoogelt und sich dann für einen gnadenlosen Hirsch hält, wenn er auf einer solchen Frage rumreitet.
Loser hat sein Stück Schmierenjournalismus (leider) unbeschadet überlebt und salbadert weiterhin von Journalisten, die doch eigentlich «Helden» seien. Ob Brühlmann diesen zweiten Flop in seiner noch jungen Karriere überlebt? Auf Bührle kindisch rumtrampeln, das war ja erlaubt. Aber die jüdische Religion dermassen anrempeln? Seine Chefs zu einem solchen Kotau zwingen?
Oder ist Brühlmann Fan hiervon?
Der eigentliche Skandal wird nur angedeutet
Auch zum Eingeständnis, dass mal wieder alle Kontrollmechanismen versagten? Denn eigentlich liegt hier der wahre Skandal verborgen. Dass ein Jungspund über die Stränge schlägt, ist doch verständlich. Dass aber in einem angeblichen Qualitätsorgan der Ressortleiter, der Tagesverantwortliche, der Blattmacher, der Produzent und schlussendlich die Doppelspitze in der Chefredaktion des Tagi, die nun wahrlich nicht viel zu tun hat, ausser gelegentlich einen dünnen Kommentar zu schreiben, das durchwinken, das ist peinlich.
Das sollte dem abgehalfterten Duo Amstutz/Stäuble mindestens eine Abmahnung eintragen. Mit dem Hinweis: nochmal so einer, und Ihr sucht Euch einen Job, dem ihr auch gewachsen seid.
Man darf ja träumen …
«In diesem Fall haben wir unsere Qualitätsstandards nicht eingehalten, und die Kontrollinstanzen, die diese sicherstellen, haben nicht funktioniert. …». «Kontrollinstanzen?». Es dürfte eher so sein dass die politische Ausrichtung, das Lebensmodell von Frau Frenkel nicht den Vorstellungen von Kevin Brühlmann, 31, und der linken Redaktion der Zeitung genügen und die «Kontrollinstanzen» einseitig sensibilisiert sind. Der Verdacht besteht dass der Artikel Versuch war Frau Frenkel kurz vor den Wahlen zu diskreditieren.
Der TA sollte interne «Medienförderung» betreiben und Verantwortliche die einen solchen Artikel durchlassen wegen Unfähigkeit, fehlendem Respekt, zu Frauen, zu Religionen, zu Lebensmodellen umgehend feuern. Ob die 78 +/- Nesthäckchen einen Empörungsbrief an die Teppichetage schreiben? Ob eine externe Stelle untersuchen soll warum die «Kontrollinstanzen» versagt haben?
Einmal mehr bekommt der Spruch «Du bist was Du liest» eine grenzwärtige Bedeutung!
Der Artikel ist noch auf TAonline zu lesen, die antisemitischen Passagen wurden gelöscht. Dumm das es zuerst Empörung der Leute mit Respekt und Verstand braucht bis der Dr. und die ChefredaktorInnen aufwachen!
Sandro Benini hat im TA kürzlich das Buch von Ronan Steinke: Antisemitismus in der Sprache vorgestellt. Solte zur Pflichtlektüre an der Werdstrasse erklärt werden!
Kontrollmechanismen beim TA? Nein, die wurden längst wegrationalisiert. Kann man täglich nachlesen. Frau übrigens auch.
«Qualitätsorgan»? So kommt’s raus, wenn die gesamte Mannschaft nur mit Leuten mit derselben Denke besetzt wird. Da gehen bei keinem der Durchlauferhitzer die Alarmglocken an.