Hilfe, mein Papagei onaniert
Heute zum Thema: Prioritäten setzen, aber richtig.
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Bilder sagen doch mehr als tausend Worte. Also mal wieder die beliebte Fotoromanza.
Denn die Tageszeitungen müssen täglich das Wunder vollbringen, die ganze Welt auf immer weniger Seiten abzubilden. Das geht nur unter Anspannung der letzten verbliebenen Kräfte – und mit rigidem Setzen von Prioritäten, dem Trennen von Wichtigem und Unwichtigem, dem umsichtigen Zuweisen von Platz und Bedeutung.
Erstes Beispiel, geradezu exemplarisch, aus dem «Tages-Anzeiger». Also aus dem Zürich-Teil, wo zwei Co-Chefredaktoren zusammen mit Tagesverantwortlichem, Blattmacher und vielen Bedenkenträgern zeigen können, was Qualitätsjournalismus ist:
Ein alter Wirt in neuem Lokal, so etwa 10’000 Demonstranten im Umzug.
Wer war schon nicht mal im legendären Lokal «Turm» von Tony Navarro mitten in der Zürcher Altstadt. Vorbei. Nun hat Navarro in Schlieren ein neues Lokal eröffnet. Das ist schön für ihn und seine Gäste. Aber dafür eine Dreiviertelseite mit üppigem Bildanteil, neben einem Inserat reingerutscht ein Bericht über eine ziemlich grosse Corona-Demo in Zürich, ohne Bild? Dafür mit Erwähnung einer klitzekleinen Gegendemo und der Tatsache, dass die Grossdemo bewilligt war und keinerlei Sachschaden anrichtete.
Ach, und dann seien auch noch Reden geschwungen worden, vor dem buntgemischten Publikum.
Prioritätenranking: ungenügend, setzen, üben.
Aus dem gleichen Haus, noch prioritärer.
Ein Fragetitel ist immer gut. Da kann sich der Leser die Antwort selber ausdenken. Weil Behörden langsam sind? Weil sie nicht schneller können? Oder wollen? Oder dürfen? Oder weil sie in Bern zu Hause sind? Nun, zumindest beim seitenfüllenden Bild wird eine klare Ansage gemacht. Wobei, auch hier will man sich nicht festlegen: «soll sein», das heisst: kann sein, muss nicht sein. Wobei: who the heck is Joy?
Prioritätenranking: unterirdisch, schämen, aufgeben.
Früher war Seite eins ein Ehrenplatz. Heute Abklingbecken für billige Scherze.
Nochmal das Hoforgan der Qualitätsberichterstattung. Damit eine Stimmung kippen kann, muss sie vorher anders gewesen sein. Nur fragt man sich hier: wie denn anders? Aber gut, noch prominenter prangt eine Karikatur auf Seite eins. ein bescheuerter Freiheitstrychler belastet das Gesundheitssystem. Sicher krank geworden, weil er nicht geimpft ist, der Depp. Und dann will er auch noch, Scherz lass nach, Blutkonserven von Ungeimpften. Haben wir gelacht.
Prioritätenranking: scherzschmerz, schamfrei, hoffnungslos.
Wir sind immer unsicher: Regen- oder Abflussrohr im Titel?
Es geht doch nichts über ein Filmtitelzitat. «The Good, the Bad and the Ugly». Immerhin ist hier der Hässliche ein «Rebell». Gleichzeitig soll das der Auftakt einer Serie sein, «Mein Corona-Herbst». Immerhin in der zweiten Hälfte November hat der «Blick» gemerkt, dass es herbstet. Bravo. Dann noch, was man halt so nennt, ein «Aufreger». Sondersteuer für Ungeimpfte, warum nicht. Haben sowieso immer weniger Gelegenheit, ihr Geld auszugeben. Ach, in der Schweiz und in der Welt ist noch so dies und das Geschehen? Na und?
Prioritätenranking: weder gut, noch schlau. Dafür monothematisch, viel Luft nach oben im Rohr.
Geht doch, meint die NZZ.
Die Zeiten, als man noch hitzig diskutierte, ob es auf der Front der NZZ überhaupt ein Foto geben dürfe, gar in Farbe, sind längst vorbei. Die alte Tante pflegt eine gewählte Bildsprache, um ein Thema zu illustrieren. Hier die Debatte, ob sich Europa umzäunen soll oder nicht. Darunter zwar das ewige Thema dieser Tage, aber immerhin mit einer Info und keiner hingeprügelten Schlagzeile. Kann man so machen.
Prioritätenranking: gepflegt, durchdacht, fällt angenehm auf (was kein Kunststück ist).
TA Print heute. Kultur 2 Seiten, davon 60% mit Bildern. Vorteil, Bildern machen keine Fehler. Matthias Lerf, 62, schreibt über den neuesten Lover von Kim Kardashian. KK, geboren 21. Oktober 1980, ist nach Lerf 44. Genau recherchieren, sorgfältig arbeiten, rechnen kann Lerf nicht, trotzdem steht am Ende des Artikels:
Matthias Lerf hat eine langjährige Erfahrung als Kulturredaktor in Bern und Zürich. 2008 gewann er den Prix Pathé für eine herausragende Filmkritik.
Soviel zu den Ansprüchen der Tages-Anzeiger Macher!
Interessante (und erstaunliche) Rochade: Peter Wälty, einer der prägenden Sachverständigen im Schweizer Online-Journalismus ist kürzlich zum Head Digital der „Weltwoche“ ernannt worden. Er war lange Zeit bei Tamedia tätig. Später als Consulting Manager bei Ringier Axel Springer. Er zeichnet auch für den digitalen Neuauftritt der „Weltwoche“ ab Dezember.
Erstaunlich, keine Medien inklusive persoenlich.com haben diese bedeutsame Anstellung aufgenommen.
https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2021-40/diese-woche/intern-die-weltwoche-ausgabe-40-2021.html
Auch bei der Nebelspalter AG hatte der Aargauer Peter Wälty ein Mandat inne. Ob seine ausstehende Geldforderung zwischenzeitlich geregelt werden konnte, bleibt unklar.
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/medien-markus-somm-der-chefredaktor-des-nebelspalters-sieht-sich-mit-einer-hohen-geldforderung-konfrontiert-ld.2160910
Kurt Pelda geht vom Tagesanzeiger zur Weltwoche. Ein weiterer herber Verlust für den TA, der auf Formsuche ist.
Die Weltwoche scheint ein ansprechend hohes Budget zu haben, der keine Wünsche offen lässt.
Köppel ist Verleger und Chefredaktor, er führt und lässt sich nicht von «missbrauchten Frauengrüppli» diktieren! Leadership!
Die 40%-Frauenquote wird so bestimmt erreicht werden, wenn gute Journalisten ständig vergrault werden in diesem Wahnsinn.
Diese Vergällungstaktik wird der Tamedia einen Riesenschaden bereiten. Interessante Entwicklung: Die Weltwoche wird nun unverhofft salonfähig.
Hat vielleicht der mittlerweilen 91 Jahre alte Mäzen Tito Tettamanti nochmals das Portemonnaie geöffnet?
Bei einer verkauften Printausgabe von rund 40000 Exemplaren ist dies eine aussergewöhnliche Entwicklung der Weltwoche.