Meinungsfreiheit: eine Chimäre

Es gibt sie, es gibt sie nicht. Ein Mischwesen halt. Und kostspielig.

Schöner als in der Schweizer Bundesverfassung kann man es nicht sagen:

«Zensur ist verboten.»
Art. 17, Absatz 2, kurz und knackig.

Zensur setzt allerdings voraus, dass es etwas gibt, was zensuriert werden könnte. Keine Zensur ist, um das gleich aus dem Weg zu räumen, was als Verstoss gegen Gesetze geahndet wird. Solange das durch ordentliche Gerichte geschieht.

Wird diese Zensuraufgabe des Staates an private Unternehmen übertragen, haben wir ein gröberes Problem, ein Staatsversagen. Aber keine Freiheit kann grenzenlos sein, auch nicht die Meinungsfreiheit. Sonst artet sie in Willkür und Barbarei aus.

«Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte.»
Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789

Eine Illusion ist allerdings, dass Meinungsfreiheit gratis sei. Eine Meinung darf und kann jeder haben. Aber sie öffentlich äussern, das ist ein ganz anderes Spielfeld. Der Angestellte darf meinen, dass sein Chef ein unfähiger, aufgeblasener Emporkömmling sei, nur dank Vitamin B zu seiner Position gekommen. Er darf das auch öffentlich äussern.

Dann bezahlt er aber wohl den Preis für die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit. Er wird gefeuert. Der Beweis: Meinung ist gratis, Meinung äussern ist kostenpflichtig. Dabei muss die Meinung nicht mal von grossen Multiplikatoren hinausgepustet werden. Diese Ansicht über den Chef, im engsten Kollegenkreis geäussert, kann die gleiche Wirkung haben, wenn ein Kollege eben doch nicht so kollegial ist.

Meinungspluralismus ja, Wirkung nein

Das Internet hat einen Meinungspluralismus ermöglicht, wie er wohl in der Geschichte der Menschheit einmalig ist. Ortsunabhängig hat hier buchstäblich jeder – Internetanschluss und minimale Kenntnisse vorausgesetzt – die Möglichkeit, seine Meinung buchstäblich der ganzen Welt kundzutun. Für verhältnismässig kleines Geld. Nur: wenn kein Schwein schaut, macht das auch nicht wirklich Spass.

«Die Gedankenfreiheit haben wir. Jetzt brauchen wir nur noch die Gedanken.»
Karl Kraus.

Meinungsfreiheit wird nur dann interessant, wenn Meinung tatsächlich Wirkung entfaltet. Echte oder vermutete, das spielt eigentlich keine Rolle. Meinungsfreiheit ist ein Popanz, wenn es keine Plattformen für den Austausch von Meinungen gibt. Diese Plattformen müssen den gesellschaftlichen Realitäten entsprechen. In einem Stadtstaat wie Athen mit relativ wenigen freien Meinungsträgern reichte ein Gebäude neben dem Marktplatz zur freien Meinungsbildung.

Auch Redner Demosthenes (384 bis 322 v.u.Z.) musste üben.

Wie sagte Perikles (490 bis 429 v.u.Z.) so richtig: «Athen ist der einzige Ort, an dem ein unpolitischer Mensch nicht als ein stiller, sondern als ein schlechter Bürger gilt.» Allerdings war damals der Begriff Bürger nur Auserwählten vorbehalten; Frauen und Sklaven zum Beispiel gehörten nicht dazu.

Nicht verbürgt, aber ein grossartiger Satz, der’s auf den Punkt bringt.

Wie sieht das heute in der Schweiz aus, wo es keine Sklaven gibt und auch Frauen seit Kurzem überall politisieren dürfen? Findet hier nun eine Meinungsfreiheit statt, die diesen Namen auch verdient?

Wie steht’s um die Meinungsfreiheit in der Schweiz?

Wenn wir diese Freiheit so definieren, dass sie Zugang zur Öffentlichkeit umfasst für die, die das wollen: schlecht sieht’s aus. Im Tageszeitungsmarkt gibt es ein Duopol von zwei Konzernen, die weitgehend den Markt unter sich aufgeteilt haben und sich nicht konkurrenzieren. Daraus ist eine Meinungsmonokultur entstanden, dominiert von jeweils einer Zeitung, die den Namen einer Stadt trägt.

«Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte.»
Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789

Für die happy few gibt es noch die NZZ, die «Blick»-Familie kann man als Meinungsmacher weitgehend vergessen, zu unbedeutend. Alle Versprechen während dieses Konzentrationsprozesses, sich der staatsbürgerlichen Verantwortung bewusst zu sein und die Monopolblätter daher als pluralistische Forumszeitungen zu installieren, wurden gebrochen. Selbst das Beibehalten von zwei Redaktionen für zwei Traditionsblätter in der Bundesstadt Bern überdauerte lediglich ein paar Jahre, bis auch dieses Versprechen entsorgt wurde.

Wirklich noch ganz weit weg in der Schweiz?

Wer mit Arthur Rutishauser (Tamedia), Patrik Müller (CH Media), Christian DorerBlick») und Eric Gujer (NZZ) gut steht, hat nichts zu befürchten.

«No hay duda de que la prensa libre es la primera enemiga de las dictaduras.»
Es gibt keinen Zweifel, dass die freie Presse der grösste Feind der Diktaturen ist. Fidel Castro, 1959.

Angesichts der sich ins Elend sparenden Privatmedien bekommt die SRG, also der Staatsfunk, eine zunehmend wichtige Bedeutung. Auch hier kann von Meinungspluralismus, der sich aus einer Respektierung von Meinungsfreiheit zwangsläufig ergeben müsste, keine Rede sein.

Wie in einem Reagenzglas färbt die Corona-Berichterstattung die veröffentlichte Meinung in einem bestimmten Ton. Staatshörig, weder die Massnahmen, noch deren Begründung noch Auswirkungen ernsthaft hinterfragend.

Was zur Meinungsbildung beitragen sollte, indem möglichst Meinungsfreiheit zugelassen wird und herrscht, ist zu Verlautbarungsjournalismus degeneriert, bei dem es sogar einen Aufschrei in den Medien gibt, wenn es eine Diskussionssendung von SRF wagt, tatsächlich auch andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen.

Zensur ist verboten, das steht in der Bundesverfassung. Zum Schutz der Meinungsfreiheit ist aber nichts vorgesehen, weil sich der Gesetzgeber die aktuellen Zustände nicht vorstellen konnte. Dass ein Virus der Meinungsfreiheit den Garaus macht, wenn man darunter auch die Möglichkeit einer breiten öffentlichen Debatte über viele verschiedene Meinungen versteht, das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Aber kein lustiger.

«Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen, als wenn man gar keine Meinung hat.»
Georg Christoph Lichtenberg.

Das waren noch Zeiten …

4 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Es gibt sie.
    Aber hier bei uns wie Landesüblich: gekauft.
    Und jetzt würde es spannend: gekauft mit Steuergeldern, also eigentlich von UNS.
    Aber ein paar, von uns Zwangs-bezahlte, Meinungsfreiheit-Beamte in ihren Schreibstuben, alias Verrichtungskistli, entscheiden, wem sie das Wort erteilen und wenn sie niedermachen oder noch effizienter: tot machen durch verschweigen.

    Nächster Schritt: klares Nein zu Medien-Subventionen.
    Auf jeden Fall so wie von den Freiheits-Verkäufern im Parlament aufgegleist: Nein zu noch mehr Filz, Cüpli, Korruption.

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  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Artikel: «Zum Schutz der Meinungsfreiheit ist aber nichts vorgesehen». Leider auch nichts zum Schutz der Entscheidungsfreiheit. Bei den Print- oder Onlinemedien kann ich entscheiden für welchen Schrott ich bezahlen will. Bei den staatlichen Medien Radio und Fernsehen habe ich keine eigene Entscheidung. Ich muss bezahlen, ich werde genötigt die Zwangsgebühren für Radio und Fernsehen jedes Jahr an die SERAFE zu überweisen, an ein Inkassounternehmen das heute noch nicht in der Lage ist einen anständigen Kundenservice zu bieten, obwohl sie schön abkassieren.

    Was für Zwangsgebühren von Wappler TV geliefert wird konnte man gestern in «10 vor 10» und «Club» sehen. In «10 vor 10» einige Berichte zu Tagesaktualitäten, dann mehr als 7 Minuten «Offensiv digital», unkritischer Bericht über die Twitch Streamerin Stefanie Holenweg, Gamerin, laut SRF prägt sie die Gesellschaft obwohl sie nur die wenigsten kennen. Holenweg hübsch aufgebretzelt mit grosser Brille (würde ich auch bei einem Mann schreiben) sitzt an ihren Bildschirmen und kommuniziert mit ihren Followern. Bei ihr darf über alles geredet werden, über sie nur beschränkt, etwas Kontrolle muss ja sein. Sie steht an ihren Bildschirmen, geht an Events, Bussi-Bussi, Selfies von Fans, dann noch etwas Small Talk mit Followern, dann Schluss. Holenweg: «Twitch ist das bessere Fernsehen», hat sie möglicherweise recht wenn der Massstab SRF ist. Die Bericht hatte nicht einmal «G&G» Niveau..

    Dann «Club» mit Mario Grossniklaus, Baba Lüthi war glücklicherweise in den Ferien, eine weitere Ausgabe des Grauens. Thema «Hass im Netz». Gäste, 2 JungpolitikerInnen die immer krätig austeilen, Camille Lothe JSVP, aufgefallen weil sie ihr gewähltes Amt in einer Schulpflege verplemert hat. Ronja Jansen, JSP, der alle die auf ehrliche Art ein Vermögen machen Schlachtgänse sind. Adrienne Fichter, aus der Wellnessoase «Republik». Karen Fleischmann, Model und Infuencerin und natürlich eine unvermeidliche Soziologin, typische Wegelagererwissenschaft, Lea Fiechter. Als männliches Feigenblatt zu den 5 Frauen, der mit Steuergeldern überhäufte Griesgram Lukas Bärfuss. Nicht anwesend in der Inzuchtsendung die bösen Hasser die sich im Netz rumtun, über sie wird geredet, nicht mit ihnen. Eben auch eine Form von Hass und Ausgrenzung. Anstelle Auseinandersetzung, Diskussion und Aufklärung, der übliche einhelllige Mainstream.

    Es gibt in der Schweiz nur noch beschränkt eine Medienlandschaft, das meiste ist Medienbrache die eine Gemeinsamkeit haben, den SteuerzahlerInnen für immer schlechtere Leistung möglichst viel aus der Tasche ziehen. Individuelle Meinungen und Entscheidungen sind da nicht mehr relevant! Das Damoklesschwert der «4. Gewalt».

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  3. Didier Venzago
    Didier Venzago sagte:

    Die sogenannte Meinungsfreiheit der Schweiz besteht aus ein paar wenigen privaten aber staatlich subventionierten nationalen Medien die zusammen mit dem staatlichen Fernsehen und Radio alle mehr oder weniger auf der selben Tastatur spielen und jeden medial ignorieren oder gnadenlos verfolgen der sich mit einer anderen Meinung hervortut (Freiheitstreichler, Coronaskeptiker, Schutz des Lebens etc. ) Dazu als Feigenblatt noch ein paar regionale Medien am Subventionstopf die völlig bedeutungslos sind. Also kein wirklich grosser Unterschied mehr zu Ländern wie Russland, China und so weiter.

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  4. Beat Reichen
    Beat Reichen sagte:

    Perfekte Analyse des Zustandes bei den Medien, die sich damit weiter marginalisieren. Dazu kommen noch die Zensur-Boards der Social Media, den Pissoirwänden der heutigen Gesellschaft.

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