Berset-Bombe: Betretenes Schweigen

Schweizer Politik ist langweilig. Ist sie’s mal nicht, wird drüber geschwiegen.

 

Es war die Ente des Nachrichtenmagazins «Facts». Es berichtete 1999 in Andeutungen darüber, dass sich angeblich ein aus einer Stumpendynastie stammender Bundesrat im Berner Rotlichtmilieu herumtreiben würde.

Selbst wenn man das hätte belegen können: das tut man in der Schweiz nicht. «Facts» krebste zurück, der Chefredaktor entschuldigte sich, die übrigen Medien schäumten über diese Grenzüberschreitung, diesen Tabubruch.

Seither ist das Liebesleben führender Politiker wieder Privatsache. Bis Alain Berset kam. Über ein aussereheliches Techtelmechtel des lebensfrohen Bundesrats wurde mit mehr oder minder langen Fingern berichtet. Und es flugs als seine Privatangelegenheit erklärt, in der nur Schmutzfinken und/oder politische Gegner herumwühlen wollten.

Sogar der Name der Angebeteten machte mehr oder minder verhüllt die Runde, es solle sich um eine Musikerin handeln. Pikant: sie werde von einem der vielen Subventionstöpfe des Schweizer Staates unterstützt. Aber damit entschlief die Story auch selig.

Bis nun die «Weltwoche» eine Bombe platzen liess. Laut Untersuchungsakten habe es tatsächlich eine mit Dokumenten belegte, heisse aussereheliche Liebesaffäre des Magistraten gegeben. Das sei im Jahr 2012 geschehen, im November 2019 habe dann die abgelegte Geliebte von Berset die Übergabe von 100’000 Franken gefordert; zur Begleichung von angeblichen «Schulden» und für die Kosten, die eine Abtreibung verursacht habe.

Ein Skandal? Was für ein Skandal, meinen die Mainstream-Medien.

Damit wurde die pikante Beziehung öffentlich; Berset reichte Strafanzeige ein, die Dame wurde wegen versuchter Erpressung verurteilt. Im Vorfeld hatte der Bundesrat seinen Stabschef damit beauftragt, mit der Erpresserin Kontakt aufzunehmen und sie von ihrem Vorhaben abzubringen, an die Öffentlichkeit zu gehen oder Kontakt mit Bersets Frau aufzunehmen.

Zitate aus brisanten Untersuchungsakten, fröhlich enthüllt

Laut Untersuchungsakten soll die Dame per E-Mail gedroht haben:

«Wenn herauskommt, dass Herr Bundesrat seine Frauengeschichten durch einen vom Staat finanzierten Sekretär abhandeln lässt, könnte sich die Täterrolle wegen Amtsmissbrauchs auf Ihren Chef wenden.»

Da war dann natürlich Feuer im Dach, die Affäre wollte «alles auf den Tisch legen» an die Öffentlichkeit gehen und Strafanzeige wegen Nötigung und Amtsmissbrauch stellen.

Daraufhin wurde die Frau von der Elite-Einsatztruppe «Tigris» der Bundesanwaltschaft verhaftet, ihre Wohnung durchsucht und ihre Computer beschlagnahmt. Am 14. September 2020 wurde sie wegen «versuchter Erpressung» verurteilt. Dann die plötzliche Wende, laut «Weltwoche»:

«Plötzlich nahm sie per vierseitigem zivilrechtlichem Dokument unter Entschuldigung an die Adresse des Ehepaars Berset sämtliche Vorwürfe zurück. Weder habe ihr Alain Berset ein späteres gemeinsames Leben versprochen noch sei sie von ihm schwanger gewesen noch habe er sie zum Abbruch der Schwangerschaft genötigt und dafür 100 000 Franken versprochen.»

Eine Stillschweigensvereinbarung legt den Mantel des Schweigens über die Vorfälle, im Gegenzug soll BR Berset auf alle Forderungen wie Parteienentschädigung verzichtet haben.

Sollten diese Exzerpte von offiziellen Untersuchungsakten zutreffend sein, handelt es sich um einen veritablen Politskandal, käme endlich Farbe in den beamtengrauen Berner Bundesratsalltag. Wäre das Überstülpen eines Treichler-T-Shirts Pipifax dagegen.

So sieht ein Skandal aus – laut Tamedia.

Darüber schüttete Tamedia auf einen Schlag drei Artikel, geschrieben von vier der wenigen überlebenden Redaktoren. Hier wird nun einem Magistraten Amtsmissbrauch und der Einsatz von Herrschaftsmitteln sowie Personal vorgeworfen, um aus einer Liebesaffäre so unbeschädigt wie möglich herauszukommen.

Sollte sich das bewahrheiten, wäre das ein Knaller, der möglicherweise mit einem Rücktritt enden müsste. Also eigentlich DAS Thema des Tages, wenn nicht der Woche.

Vom Treicheln betäubt oder neidisch?

Status im Mediensumpf: dröhnendes Schweigen. Null, nix, nada. Gar nicht erst ignorieren, kein Wort drüber. Was macht eigentlich Bundesrat Maurer, was gibt’s zum Abendessen und wird es am Wochenende wohl regnen?

Erst nach längerem Grübeln erschienen am Donnerstagabend die ersten Meldungen in der NZZ, Tamedia oder auf CH Media. Tenor: alles kein Ding, Privatsache, kein Fehlverhalten des Bundesrats erkennbar.

Geradezu abenteuerlich legt sich der «Blick» für den Bundesrat ins Zeug. Der Einsatz der Sondereinheit «Tigris» habe damit zu tun, dass BR Berset damals mit Drohanrufen belästigt worden und es nicht klar gewesen sei, ob die Erpresserin damit etwas zu tun habe.

Der «Blick» wäscht weisser.

Damit wird der Berset-Skandal noch zu einem Medien-Skandal. Bei allem Neid, bei allem Hass, bei aller Aversion gegen die «Weltwoche»: das ist nun ein Primeur erster Güte, der sofort vermeldet werden müsste. Wenn der Journalismus der Mainstream-Konzerne noch Minimalanforderungen an Qualität und Berichterstatterpflicht genügen würde.

Es sei im Übrigen kein Fehlverhalten Bersets erkennbar, weiss das Boulevardblatt: «Die Vorwürfe lassen sich kaum stützen.» Das Verfahren wegen Erpressung sei abgeschlossen, fügt es mit drohendem Unterton hinzu, aber es «könnte wegen des Artikels ein Verfahren geben».

Nur IP vermeldet sofort – und bricht damit alle Visitors-Rekorde mit über 100’000 Lesern.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass es wirklich keinen Grund gibt, die veranstaltenden Verlegerclans für solche Leistungen mit einer weiteren Milliarde Steuergelder zu unterstützen. Das haben sie wirklich nicht verdient.

Psst! Nicht an die grosse Glocke hängen.

14 Kommentare
  1. Sam Thaier
    Sam Thaier sagte:

    Die ganze Sache wohl unreparierbar aus dem Ruder gelaufen bei Alain Berset.

    François Maurice Adrien Marie Mitterrand, der französische Staatspräsident hatte eine langjährige Freundin. Damals war er bereits 46 Jahre alt; seine Freundin (inoffizielle Partnerin) Anne Pingeot war damals gerade 18 Jahre alt. Diese 33-jährige Beziehung hielt inne bis zu seinem Tode. Hatten gar eine gemeinsame Tochter namens Mazarine. Diese zusätzliche Beziehung blieb so weit ich weiss, von der französischen Bevölkerung verborgen. Eine «human story» aus Frankreich als Gegenentwurf.

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  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Ob die Geschichte eine Bombe ist wird sich noch weisen, vieles war ja seit einiger Zeit bekannt; Schäferstündchen 2012, Erpressungsversuch 2019. Die Medien taten gut daran nicht sofort auf den WW-Zug aufzuspringen sondern zusätzlich noch recherchieren und einzuordnen. Weiss man doch dass alles was Links ist und als Links erscheint vom gnadenlosen Hass vom politisch abgehalfterten Christof Mörgeli profitiert. Aber der WW war die Geschichte 4 Seiten wert, – 1/9 seitiges Inserat. Normal Titelstorys 2 Seiten.

    Lukas Hässigs IP, mittlerweile eher online Schweizerzeit-Beilage als Finanzportal, hat einfach der WW abgeschrieben und war Donnerstagmorgen 0800 online. Ohne eigene Recherche, einfach etwas süffisanter. Am Wochenende dürfte Klaus J. Stöhlker, Schreiber der Generation Abendrot mit seinen Modulsätzen auf IP zur «Causa Berset / oder Erpresserin» zu Worte kommen.

    Für einmal muss ich TAmedia journalistische Qualität zugestehen. Den Bericht der WW und eigene Anmerkungen sachlich aufbereitet, ohne Häme oder Anbiederung an Berset. Da war es richtig erst Donnerstag, 16.09.2021, 19:41 zu publizieren.

    Wie die Sache ausgeht und was an Berset hängen bleibt ist offen, Benutzung des Dienstfahrzeuges lapidar, falsche Aussagen «tödlich». Interessant ist doch der Zeitpunkt der Publikation, mitten in der Diskussion über die Pandemie, über Zertifikatspflicht und andere Massnahmen. Da Stimmung machen gegen Berset und Teile des BR ist angebracht, damit kann auch von der Wetterfahnen-Politik der SVP abgelenkt werden.

    Auch nach dem möglichen Rotlicht-BR wurde über Schäferstündchen von «wichtigen» Politiker berichtet. Darbellays teurer One-night-stand wurde mehr oder weniger ausführlich in der Presse «verhandelt».

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    • Simon Ronner
      Simon Ronner sagte:

      «Die Medien taten gut daran nicht sofort auf den WW-Zug aufzuspringen sondern zusätzlich noch recherchieren und einzuordnen.»

      Was für eine abgrundtiefe Heuchelei Sie da offenbaren!

      «Für einmal muss ich TAmedia journalistische Qualität zugestehen.»

      In Ihrem blinden Hass gegen SVP und «Weltwoche» gestehen Sie sogar dem Deppen-Tagi Qualität zu. Lachhaft? Nein. Tragisch.

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      • Alois Fischer
        Alois Fischer sagte:

        Dabke Herr Ronner, dass Sie meinen (Wunsch-)Kommentar vorausgeahnt und auch geschrieben haben.
        Wenn sich Herr Brunner hier schon etwas zu oft als versierter Hasser entpuppte und jeden Anstand weggeschmissen hat, ist dies der klägliche Höhepunkt einer Realsatire.
        Ich mag solche»Plagöri» nicht – ohne sie deswegen zu hassen – aber so primitiv und sinnlos den Besserwisser zu markieren, ist noch einige Schublade tiefer als das unsägliche Verhalten eine Macho-Bundesrates.

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  3. Robert Holzer
    Robert Holzer sagte:

    Gerade weil die Verlegerclans nicht über das Thema schreiben ist die Milliarde redlich verdient.
    Kein Yachtbesitzer, Kunstliebhaber verscherzt es sich mit seinen Finanzgebern. Die sitzen in Bern und am längeren Hebel.
    Warten wir’s ab, bis die erste Story mit der Überschrift, «Bundesrat Berset, jetzt rede ich» oder so ähnlich erscheint. Immer im Blickwinkel der Schreibenden (Journalisten sind was anderes) die Staatsknete aus Bern. Und gerne auch Menschen mit Glocken am Hals.

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  4. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Ist halt unangenehm für die Hofberichterstatter der selbsternannten «4. Gewalt», eine Negativ-Story über Berset aufzunehmen. In vielen wohlwollenden Interviews durfte er der staundenden Leserschaft weismachen, dass er seine 30 Fahrminuten entfernt wohnende Familie seit Wochen nicht mehr sehen konnte. Viele pendeln zwar deutlich länger, doch der 7/24 Einsatz wegen der Corona-Krise fordert natürlich übermenschlichen Einsatz.
    Nun, SVP-Bashing wegen eines Trychler-T-Shirts ist einfacher, das kann jeder Kindersoldat mit dem Spielzeuggwehli. Heute gibt’s noch eine Arena zu diesem Thema. Diese Art «Qualitätsjournalismus» kann man getrost in die Tonne treten, wie unsere deutschen Freunde so treffend sagen.

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  5. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Bei der Bundesrätin Elisabeth Kopp führte ein warnendes Telefonat an ihren Ehemann und fragwürdigen Geschäftsmann zum Rücktritt der Magistratin. Die Medien schrien „Skandal Skandal“. Heute lässt der verheiratete Alain Berset, der Liebling des Blick und weiterer Mainstream-Medien, eine Kampfeinheit der Polizei bei seiner ehemaligen Geliebten und ihrem vierjährigen Kind einbrechen. Die Frau wird mit hohen finanziellen Konsequenzen zum Schweigen genötigt. Bundesrat Berset ist eine Schande für die Schweiz und müsste zurücktreten! Doch dieser Schneit fehlt dem vor Eitelkeit strotzenden Selbstdarsteller.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Wusste gar nicht dass Berset den Einsatz persönlich kommandierte! Möglicherweise hat ja nicht die Frau Berset erpresst, sondern Berset sich selber!

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      • Alois Fischer
        Alois Fischer sagte:

        arrogant Sie kommentieren.
        Mit der Bemerkung, dass sich Berset womöglich selber erpresst hat, könnten Sie allerdings (unabsichtlich, unbewusst und für Sie auch: leider) eine Wahrheit freigelegt haben, die das Verhalten dieses Mannes besser erklärbar macht. Vom angeblichen Opfer zum Täter – oder zur Ursache des Problems. Da ging der Schuss wohl eher ins eigene Bein (oder ein anderes Glied).

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      • Alois Fischer
        Alois Fischer sagte:

        Anscheinend hat die Übertragung nicht geklappt.
        Hier noch einmal meine Antwort auf den Kommentar von Herr V. Brunner:
        Das mit der Kommandoaktion hat so auch niemand behauptet. Es zeigt aber einmal mehr wie schnippisch oder, wie arrogant Sie kommentieren.
        Mit der Bemerkung, dass sich Berset womöglich selber erpresst hat, könnten Sie allerdings (unabsichtlich, unbewusst und für Sie auch: leider) eine Wahrheit freigelegt haben, die das Verhalten dieses Mannes besser erklärbar macht. Vom angeblichen Opfer zum Täter – oder zur Ursache des Problems. Da ging der Schuss wohl eher ins eigene Bein (oder ein anderes Glied).

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        • René Zeyer
          René Zeyer sagte:

          Red. Damit ist diese interne Debatte beendet. Kommentare sollten sich nach Möglichkeit nicht auf sich selbst, sondern auf den Inhalt des kommentierten Artikels beziehen. Besten Dank.

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