Der «Blick» erfindet «undercover» neu

Man denkt an Günter Wallraff. An Scoops der Mediengeschichte. «Undercover»: Das klingt gefährlich und leidenschaftlich. Nur leider nicht im «Blick».

Von Stefan Millius

«Blick TV Undercover» heisst eine kleine Serie von Videobeiträgen, bei denen die «Szene» der Coronamassnahmenkritiker unter die Lupe genommen wird.

Das macht neugierig. Hat sich da ein unerschrockener Reporter auf der Ringier-Lohnliste unter Einsatz des eigenen Lebens und mit falscher Identität in eine gewaltbereite Gruppe reingeschmuggelt? Und liefert nun die mit versteckter Kamera gefilmten Ergebnisse, Sprengstoff im Hinterzimmer einer muffigen Landbar inklusive.

Undercover mit offener Kamera

 Schön wär’s. Drei der vier Teile der kleinen Serie von Reporterin Rebecca Spring sind banale Interviewsituationen oder aber verfilmte Erklärstücke mit Archivaufnahmen. Spring spaziert bei Demonstrationen mit, Spring spricht mit Massnahmengegnern. Alles sehr klassisch: Wir setzen uns irgendwohin und plaudern. Professionell gefilmt von einer Kamera, die vieles ist, aber sicher nicht «undercover».

Wenigstens m Auftaktvideo sollte der grossspurige Begriff wohl seine Berechtigung erhalten. Wir sehen dort im Umfeld von Coronakundgebungen Leute, die heimlich von unten gefilmt werden – wir sehen also vor allem viele Taillen und Hüften –, während sie zum Teil banale, zum Teil eher abenteuerliche Thesen rund um Corona preisgeben. Ausserdem hat sich die Reporterin, die sicher bald im «Schweizer Journalist» in der Rubrik «30 unter 30» als Talent abgefeiert wird, brav in relevante Telegram-Gruppen eingetragen und liest mit, was da so geht.

Wenn das «undercover» ist, dann ist das Tagesmenü im «Ochsen» in Schlieren  für 17.90 Franken inklusive Salat und Softgetränk ein Stern der internationalen Spitzenküche.

Verdeckt ist gar nichts

In erster Linie möchten die Leser bei einer so richtig schön verdeckten Recherche Dinge erfahren, die sie sonst nie zu sehen bekommen würden. Weil sie einfach selbst nicht rankommen.  An einer Coronakundgebung teilnehmen kann jeder, mit den Leuten dort reden auch, und dass dabei die Videofunktion des Smartphone mitläuft: auch nicht unbedingt grosses Kino. Gruppen in Telegram mögen ein bisschen verschlüsselter sein als beim Giganten der Messenger, aber mitlesen in ihnen kann so gut wie jeder, der Lust hat.

Kurz und gut: «Blick TV» hat den Begriff «undercover» nicht verstanden. Oder aber hat ihn sehr wohl verstanden und dann entschieden, ihn dennoch einzusetzen, weil er einfach verdammt gut klingt.

Was kommt als Nächstes? «Blick TV» geht mit einem 15-köpfigen Kamerateam undercover ans WEF und interviewt Joe Biden? «Blick TV» schmuggelt sich undercover als Kunde getarnt in das Einkaufszentrum Glatt und filmt heimlich, wie eine Rolltreppe ausgefallen ist? «Blick TV» rapportiert undercover von der nächsten Medienkonferenz des Bundesamts für Gesundheit?

Günter Wallraff hat sich wenigstens einen Schnauz wachsen lassen, als er einen auf Ali machte und «Ganz unten» schrieb. Möglicherweise wäre das ein Anfang für Blick-Reporterin Rebecca Spring.

2 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Die BLICK Welt ist einfach. Peppiger Titel genügt schon um auf eine «reisserische» Story aufmerksam zu machen. Wenn dann eine Praktikantenarbeit zum Vorschein kommt, kein Problem. Besser als Undercover wäre Underlevel gewesen, obwohl das Niveau der Dufourstrasse noch unter dem Seespiegel liegt!

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