Hass und Courage im Netz

Twitter ist die Plattform für die korrekte Lebensart – oder für Schlammschlachten.

Der Vorfall ist zur Genüge beschrieben worden. Totgeschrieben, möchte man formulieren – wenn man nicht Bedenken hätte, dass das gegen einen verwendet werden könnte. Journalistin sagt was von sozialem Todesurteil, eine anonyme Redaktion nimmt’s beim Wort und veröffentlicht eine geschmacklose Karikatur.

Grosse Aufregung, Entschuldigung, Rechtfertigung, Nachtreten, Zurückmopsen, das Übliche auf Twitter, bis sich die nächste Erregungswelle aufbaut, zum Beispiel über das Wort Sternchen.

Aber jede Welle lässt Endmoränen zurück, die nachbearbeitet werden müssen. So ist es der Kämpferin gegen Hate Speech und alles Üble im Netz unterlaufen, diese Karikatur mit einem Like zu versehen. Bevor auch sie sich davon distanzierte. Von der Karikatur.

Nun ist Jolanda Spiess-Hegglin auch Geschäftsführerin von #Netzcourage. Laut Selbstdarstellung «kämpft sie mit ihrem Verein gegen Hass im Internet». Ebenfalls mit «NetzPigCock» oder mit «#Netzambulanz» hat sie sich diesen Zielen verschrieben. Die werden als durchaus förderungswürdig beurteilt – und daher mit Steuergeldern unterstützt.

Unübersehbar: Jolanda Spiess-Hegglin auf der Webseite von #Netzcourage.

Mit knapp 200’000 Franken unterstützt das «Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau» diese Aktivitäten. «Öffentlich finanzierte Doppelmoral», donnerte die NZZ, stellt und beantwortet gleich selbst eine Frage: «Soll der Bund eine Aktivistin gegen Hass im Netz finanzieren, die ihrerseits die Grenzen überschreitet? Eher nicht.»

Die Heerscharen von rechts galoppieren heran

Natürlich galoppierten auch alle Kämpfer für einen gesitteten Umgang in der Auseinandersetzung los, angeführt vom SVP-Amok Andreas Glarner. Der veröffentlicht schon mal auf Facebook die private Telefonnummer und E-Mail-Adresse einer Lehrerin mit dem Hinweis, man solle sie anrufen und ihr mitteilen, was man davon halte, dass sie – in Umsetzung der offiziellen Linie – muslimischen Kindern erlaubte, während des Fests des Fastenbrechens zu Hause zu bleiben.

Natürlich musste nun auch aus dem Departement Berset der Verein «Netzcourage» zu einer Stellungnahme aufgefordert werden, wie er es denn mit diesem Like seiner Geschäftsführerin halte.

Im Sinne von Offenheit und Transparenz hat #Netzcourage Fragen und Antworten ins Netz gestellt. Unter dem Hashtag #Tamediagate. Ob das eine gute Idee war?

Begriffsverluderung sollte auch bekämpft werden.

Eine Tessiner Nationalrätin der Grünen antwortet namens des Vorstands

Geantwortet hat Greta Gysin, Nationalrätin der Grünen. Offenbar um Eindruck zu schinden, verwendete sie ihre parlamentarische Mailadresse und auch den entsprechenden Briefkopf. Wir dokumentieren hier ihre Antwort.

Es ist verblüffend, wie sich Rechtfertigungen aus allen Lagern ähneln, wenn es um den Umgang mit unangenehmen Fragen geht:

«Wir haben etliche Vorwürfe analysiert und empfinden sie als völlig haltlos und nicht berechtigt. Auch im aktuellen Fall … kann nicht von Hassrede seitens unserer Geschäftsführerin gesprochen werden.»

Ob das der Vorstand auch so sehen würde, wenn jemand Spiess-Hegglin als erste Kandidatin im Wettbewerb «Arschloch des Monats» vorschlagen würde? Oder von «Karma» spräche, sollte ihr etwas zustossen?

Nun ja, neben routinierter Verteidigung gehört auch der Gegenangriff zum üblichen Arsenal; da «der Chefredaktor des grössten Medienkonzerns» Spiess-Hegglin «ohne Rückfrage» mit den «Nationalsozialisten» gleichstelle, sei das natürlich ein weiterer Beweis für die Existenzberechtigung von #Netzcourage.

Alles andere mag erlaubt sein, aber zu diesem demagogischen Untergriff muss – auch ohne Rücksprache – etwas gesagt werden. Zunächst ist es bei einem Kommentar nicht nötig, üblich oder Brauch, «Rückfrage» zu nehmen. Bei einem Like auch nicht, obwohl Spiess-Hegglin damit gut beraten wäre. Zweitens hat der Chefredaktor diese Passage umgehend gelöscht, was hier nicht der Erwähnung würdig ist – könnte stören. Drittens hat er die Geschäftsführerin keinesfalls mit Nationalsozialisten gleichgestellt, was jeder nachlesen kann – so er will.

Die Absichten von #Netzcourage sind sicherlich lobenswert – und auch die Unterstützung mit Steuergeldern wert. Ob aber dieses Personal dazu geeignet ist, sie umzusetzen – das muss angesichts dieser uneinsichtigen und verbohrten Reaktion stark bezweifelt werden.

5 Kommentare
  1. Vergissmeinnicht
    Vergissmeinnicht sagte:

    Nachdem ich unter Facebook einen offenen Brief an BR Berset postete, ging unter Twitter postwenden die dokumentierte Hetzjagd gegen mich, so wie unseren Verein http://www.vergiss-meinnicht.org los. Der Vorstand VGMN forderte eine Stellungnahme, die heute an mich erfolgte.

    _______________________________________________

    Sehr geehrte Frau Hartmann

    Herr Bundesrat Alain Berset hat das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG beauftragt, Ihre Anfrage zu beantworten.

    Sie äussern sich in Ihrem offenen Brief an Herrn Berset kritisch über die vom «Steuerzahler» zu «begleichenden» Ausgaben. Wir gehen davon aus, dass Sie hierbei die finanzielle Unterstützung meinen, die das EBG dem Verein #NetzCourage für die Durchführung eines Projekts zur Bekämpfung von Cyber Gewalt gewährt.

    Gerne können wir Ihnen hierzu und zum «Like» von Frau Jolanda Spiess-Hegglin eines umstrittenen Tweets des Megafons, Zeitschrift der Berner Reitschule, folgende Informationen geben:
    Das EBG kann seit 1.1.2021 Finanzhilfen vergeben für Projekte gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sowie zur Unterstützung der Koordination und Vernetzung von Organisationen, die sich in der Schweiz gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt einsetzen. Die Grundlage dazu bildet eine Verordnung, die sich auf Art. 386 des Strafgesetzbuches stützt. Weitere Informationen zu diesen Finanzhilfen finden Sie auf unserer Webseite unter Finanzhilfen Gewaltprävention: https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/dienstleistungen/finanzhilfengewalt.html.

    Eine Übersicht zu den bislang mitfinanzierten Projekten finden Sie hier: https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/dienstleistungen/finanzhilfengewalt/unterstutzte-projekte-gewalt1.html. Daraus ist ersichtlich, dass das EBG dem Verein NetzCourage eine Finanzhilfe von CHF 192’000 für die Zeitspanne 01.03.2021 – 28.02.2023 für das Projekt « #NetzAmbulanz – Gender-based Cyber Violence (GBCV) Kompetenzzentrum » zugesprochen hat (Gesuch 21-003).

    Am 7. Juli 2021 hat das EBG das Präsidium des Vereins #NetzCourage zu einer Stellungnahme aufgefordert zu den Vorkommnissen in Zusammenhang mit einem «Like» eines hoch umstrittenen Tweets des Megafon, der Zeitschrift der Berner Reitschule, durch Frau Spiess-Hegglin, die Geschäftsführerin von #NetzCourage. Das Präsidium des Vereins hat dem EBG diese Stellungnahme am 8. Juli 2021 zugestellt. Sie ist auch auf der Website des Vereins zu finden (siehe https://www.netzcourage.ch/die-stellungnahme-des-netzcourage-praesidiums-gegenueber-dem-eidgenoessischen-buero-fuer-gleichstellung-ebg-vom-8-juli-2021/ ).

    Das EBG wird die Stellungnahme sowie weitere Schritte in Zusammenhang mit der Finanzierung des Projekts #NetzAmbulanz des Vereins #NetzCourage gemäss den subventionsrechtlichen Vorgaben (Subventionsgesetz, SR 616.1) prüfen. Allgemein kann festgehalten werden, dass mit dem Erhalt von Finanzhilfen verschiedene Verpflichtungen einhergehen (vgl. Merkblatt https://www.ebg.admin.ch/dam/ebg/de/dokumente/finanzhilfen/finanzhilfengewaltpraevention/merktblatt_hg.pdf.download.pdf/Merkblatt_D.pdf).

    Das Nichteinhalten von Auflagen und Anforderungen des EBG kann eine Kürzung, Streichung oder Rückforderung der Finanzhilfe zur Folge haben.

    Abschliessend gilt es zu unterstreichen, dass das EBG jegliche Hassrede und die Unterstützung ebensolcher verurteilt. An eine Organisation, die sich gegen Hassrede einsetzt, sind diesbezüglich besonders hohe Anforderungen zu stellen. Das EBG hat diese Anforderungen gegenüber dem Verein #NetzCourage klar kommuniziert.

    Mit freundlichen Grüssen
    _______________________________________

    Eidgenössisches Departement des Innern EDI
    Eidgenössisches Büro für die
    Gleichstellung von Frau und Mann EBG

    Antworten
  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Das System JSH:
    Mittelpunkt sein wollen, wenn es zu brenzlig und unkontrollierbar wird abtauchen, andere müssen die Kohle aus dem Feuer holen. War nach der Landammannfeier so. Zuerst die «geschundene» Frau markieren, mit vollem Programm, Spital und Presse, dann abtauchen, Anwältin, Buch über die Ereignisse verhindern.

    Nun grenzwärtiges von den ReitschuldeppenInnen übernehmen, weiterverbreiten, nach Kritik löschen. Die grüne und unbedarfte NR Greta Gysin übernimmt die Schadensbegrenzung für JSH und erklärt den Hatepost auf «amtlichen» Papier für Privat. Korrekt wäre doch in diesem Fall Briefpapier von Netzcourage. Passt alles zusammen zum System JSH: schummeln, verewedeln, täuschen, anmassen.

    Antworten
  3. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Gemäss der Stellungnahme des Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) vom 14. Juli „Wird das EBG die Finanzierung von Netzcourage überprüfen. Das Nichteinhalten von Auflagen und Anforderungen des EBG kann eine Kürzung, Streichung oder sogar Rückforderung der Finanzhilfen zur Folge haben. An eine Organisation, die sich gegen Hassreden einsetzt, sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Das EBG hat diese Anforderungen gegenüber Netzcourage klar kommuniziert“. Dass ein solcher Verweis überhaupt notwendig wird, sagt eigentlich in aller Deutlichkeit wie jetzt zu verfahren ist.

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