Der neue Nebelspalter: verhüllt im Nebel

Eigentlich hätte hier die erste Rezension des heute neu im Internet aufgepflanzten Nebelspalter stehen sollen.

Aber wir konnten nicht rechtzeitig eine Bezahlschranke hochziehen, tut uns Leid.

Manchmal muss man etwas sehen, um es zu glauben. Wie angekündigt, steht seit heute Morgen früh der neue Auftritt des «Nebelspalter» im Netz. Eine Fülle von Artikeln, aufgeräumt dargestellt.

Ein Jugendstil-Logo, das sich vom Print-Nebelspalter deutlich abhebt. Eine Fülle von Artikeln, oder sagten wir das schon? Aber unter jedem das:

Ohne Bezahlung sagen wir nix dazu.

Ausser bei einer ellenlangen Erklärung, «wer wir sind». Ausser bei einem ellenlangen Interview von Reto Brennwald mit – Überraschung – Markus Somm, dem Chefredaktor und Mitbesitzer. Um die Modernität zu unterstreichen, sind noch weitere Videocasts ohne Bezahlung anzuschauen.

Was nichts kostet, ist nicht viel wert

Da gilt aber leider: was nichts kostet, ist nicht viel wert. Während sich Somm fast eine Stunde mit Brennwald ausspricht, dauert die Sendung «Friendly Fire» immerhin nur eine halbe. Und die Video-Blogs von Tamara Wernli oder «Gioia spricht Klartext» nur ein paar Minuten. Kommen einem aber auch wie gefühlte Halbstünder vor.

Ich habe beide leider nicht verstanden, und Somms Auftritte sind zu lang für eine Kurzkritik.

Daher kommen wir bereits zur zusammenfassenden Würdigung. Es ist – vom liberalen. neoliberalen oder welchem Standpunkt auch immer – absurd, ein neues Projekt so zu starten, dass der Konsument zuerst Eintritt bezahlen muss, bevor er das Angebot visionieren darf.

Es ist hirnrissig, nur ellenlange Selbstdarstellungen plus die dem Zeitgeist geschuldeten Kurzauftritte von zwei Frauen als Appetithäppchen (vielmehr -happen) zu servieren. Es ist zumindest der Eile geschuldet, dass man sogar wählen kann, ob man «Friendly Fire» als Video oder als Podcast konsumieren will.

Es ist abschreckend, dass selbst der dritte Auftritt von Somm, das Editorial, hinter der Bezahlschranke versteckt ist.

Möglicherweise werde ich mich entscheiden, die 16 Franken (waren es nicht mal 18?) abzudrücken.

Aber ein Witz ist Somm und seiner Mannschaft gelungen.

Sigmund Freud definiert ihn als enttäuschte Erwartungshaltung.

17 Kommentare
  1. Alois Fischer
    Alois Fischer sagte:

    Neugierig und voller (gefühlter) Erwartungen habe ich mich durch vielfache Vorauskritiken sowie die bisher noch nicht erfolgte «wirkliche» Medienkritik auf dieser Plattform, habe ich mich nicht gescheut, in das Erlebnis (zumindest dem meines Vaters, einem langlangjährigen Abonnenten des Ur-Nebis) einzutauchen.
    Natürlich habe ich gewusst, dass es dabei nicht um eine echte Wiederbelebung dieser Relique des kalten Krieges gehen konnte und auch nicht daran gearbeitet würde.
    Nicht einmal die Bezahlschranke und auch nicht die generelle Ermächtigung, sich meiner Kreditkarte zu bemächtigen, um bei Nichtkündigung einfach die Gebühr abbuchen zu können, noch das eher spartanische, coronauntaugliche Angebot an Bezahlmöglichkeiten haben mich davon abgehalten, mir eine eigene Meinung über «Somms neue Plattform» zu bilden.
    Es wird bestimmt einen Monat dauern, um sich durch diese Wundertüte zu hangeln und die Spreu vom Weizen zu trennen. Was mich aber schon heute, also am jungfräulichen Startevent, stutzig gemacht hat, ist die total verunglückte Podcastpremiere von «Friendly Fire». Eine bellend lachende junge Tochter unterhält sich mit ihrem Vater, der den gut gelaunten Charmeur und verständnisprotzenden alten weissen Mann mimt. Natürlich hat man unüberseh- und hörbar vereinbart, dass es ganz anders, als in all den vielgeschmähten Talk-, Plauder-, und Zusammenbruchstalks zu- und hergehen soll. Bloss so konfirmandengeschädigt und honigtriefend Verständnisvoll funktioniert das nicht einmal mehr in der Billigstsoap jedes Staatssenders.
    Bin wirklich gespannt, wie sich der Nebi entwickeln kann und wird. Er gibt sich zumindest unverkennbar als «Qualitätsmedium» und pflegt eine Diskussionskultur die dieser Sorte Forumsmedien perfekt angepasst ist – jedenfalls habe und hätte ich mit meiner Kritik kein Gehör finden können und wurde einmal mehr, samt Diskussionsbeitrag, kurzerhand gelöscht. Natürlich bleibt das Probeabo gültig, weil schon bezahlt.
    Auch wenn der erste Eindruck eher abschreckend war, bleibe ich dran und versuche den wabernden Nebel zu spalten und mir ein klares eigenes Bild zu machen.

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Diese Relique (welch tolle Umschreibung) müsste bestimmt nicht so bierernst daherkommen. Mehr Lockerheit und Selbstironie bitte.

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  2. .Victor Brunner
    .Victor Brunner sagte:

    Somm im Mail:

    «Liebe Freundinnen und Freunde des Nebelspalters
    Geschätzte Interessenten»,

    so beginnen Trauerreden. Später im Text macht Somm einmal mehr denn aufmüpfigen Zwerg und gibt der EU richtig Haue und lobt die Schweiz. Er schreibt enthusiastisch über die Ernennung von Matthias Cormann der mit der Stimme der Schweiz zum Generalsekretär der OECD berufen wurde:

    » Das ist epochal. Seit langem hat sich die Schweiz wieder einmal auf ihre eigenen Interessen besinnt und sich mit Grossbritannien, Amerika und Australien gegen die EU verbündet. So macht man Politik im Kleinstaat. Es kann nicht sein, dass wir wie ein Kaninchen vor der EU erstarren, die uns derzeit alles andere als freundschaftlich behandelt».

    Dachte Somm wolle sich vom üblichen unkritischen Journalistenspeech abheben. Nichts dergleichen, er tappt in die Falle. Bezeichnet die Wahl als epochal und gibt sich als männliches Groupie zu erkennen, einfach weil Cormann der in der OECD noch nichts geleistet hat von USA, Australien, Grossbritanien gewählt wurde. Als ob das ein Leistungsausweis wäre! Das ist eben der typische, unkritische Journalismus! Willkommen im Club, Markus Somm.

    Bin trotz dem flachen Einladungsmail neugierg und werde 16 Alpendollar für einen Monat investieren im Wissen dass ich nicht viel erwarten darf!

    Eine Frage stellt sich noch: warum müssen rechte Verleger immer auf bestehende Titel zurückgreifen und schaffen keine Neuen, Köppel / Weltwoche, Somm / Nebelspalter.

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    • Beth Sager
      Beth Sager sagte:

      Der letzte Gedanken eine sehr interessante, berechtigte Frage.

      Legen sich die Herren Köppel und Somm gerne Vorteil suchend ins gemachte Bett?

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      • Marcella Kunz
        Marcella Kunz sagte:

        Also bitte, die Weltwoche lag im Sterbebett vor der Übernahme durch RK. Hätte sie RK nicht übernommen, wäre sie jetzt bei Ringier – sofern es sie überhaupt noch gäbe, in memoriam l’Hebdo.

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  3. Andi
    Andi sagte:

    Ich bin mit Ihnen, Herr Romer, die 16 Franken sollte doch bei Herrn Zeyer drinliegen. Oder will er sich mit der heutigen, kleinen Nebelspalter-Haue einen Gratis-Zugang erzwingen? Gar erreichen, dass für die 16 Franken ein mini mini Crowdfunding aufgezogen wird? Fragen über Fragen.

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  4. Martin Schwizer
    Martin Schwizer sagte:

    Ich habe mir die sechzehn Stutz geleistet. Das Argument: Ich habe nun jahrelang für linksliberallala Stuss hingeblättert, da werd ich doch auf die alten Tage nicht noch knausrig werden. Ich würde sogar fünf weitere fürs Kombiabo mit Zeyers Zackbum auf den Tresen hauen. Na? Immerhin, oder?

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  5. Dominic Miller
    Dominic Miller sagte:

    Fast schon kultverdächtig ist die im Artikel geschilderte Tatsache, dass sogar das die Leserschaft begrüssende Editorial hinter der Bezahlschranke ist 🙂

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    • Tello Kramer
      Tello Kramer sagte:

      Restriktiver gehts wohl kaum mehr.

      Sollten vorerst mal auf diesem Portal «Stützlisex» einführen. Alte Rezepte, neu umgesetzt. Einen Monat gucken, kostet einen Stutz.

      Anfangs zählt eine gute (treue) Leserbindung.

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    • Claude Oberson
      Claude Oberson sagte:

      Über Humor kann man sich bekanntlich immer streiten. Selbst das Editorial unter Verschluss zu halten, scheint mir einen (ersten) überraschenden humoristischen Meilenstein zu sein, für diese Neuauflegung. Seldwyla grüsst die Nebelpetarde.

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  6. Rolf Karrer
    Rolf Karrer sagte:

    Mit einem Presseausweis sollte der Herr Zeyer ohnehin einen Gratiszutritt haben für den Nebelspalter. Er bringt diese neulancierte Publikation ja auch ins Gespräch.

    Will der Markus Somm mit einer Verknappung des Angebots die Exklusivität erhöhen? Dies machen gelegentlich auch Luxus-Autohersteller und Rolex .

    Ende der 60er Jahren gab es eine kümmerliche Mineralquelle St. Petersquelle in Vals. Kaum jemand kannte diese Quelle, weil alle nur Eptinger, Henniez und Adelbodner tranken. Kurz darauf kaufte der innovative Donald.M Hess diese abgelegene Quelle. Seine revolutionäre Idee damals: Jeder Haushalt schweizweit bekam gratis eine ganze Harasse Valserwasser als Degustationsprodukt. Das Valserwasser schlug ein. Im Jahre 2002 verkaufte Hess seine Quelle für ein hohen Gewinn an Coca Cola. Mit dem Geld kaufte er sich im Napa Valley (California) ein riesiges Weingut.

    Diese Geschichte müsste Somm zum Anlass nehmen, ähnlich vorzugehen. Kulanz am Anfang; die Bezahlschranke kann warten. Sollte sich später mit dem Nebelspalter einen wahren Bombenerfolg einstellen, so könnte er ebenfalls ein Weingut kaufen – oder sich die NZZ an den Nagel reissen……..

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    • Beth Sager
      Beth Sager sagte:

      Ein kleines «Bhaltis» immer sympathisch bei Abschluss eines Jahres-Abo. Kann beispielsweise eine Flasche «Nebelspalter-Wein» sein, aus Markus Somm’s Kanton Aargau.

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    • Peter Seiler
      Peter Seiler sagte:

      Zuerst die potentiellen Abonnenten anfixen………..und dann Kohle machen.

      Hat nicht nur so auf dem Platzspitz funktioniert.

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  7. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Bin ich der Einzige, der weder Videos noch Podcasts anschaut bzw. -hört? Das tu ich mir nicht mal bei Roger K. auf WW Daily an. Geld gibts von mir nur für Text. Video und Podcast stehen für den Niedergang des Journalismus.

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    • Alois Fischer
      Alois Fischer sagte:

      Sie sind sicher nicht der Einzige. Aber sicher derjenige, der ganz genau zu wissen glaubt, wer für den Niedergang des Journalismus steht – oder gar sitzt.
      Der Journalismus interessiert mich eigentlich nur dann, wenn er seiner Aufgabe nicht nachkommt oder nachkommen kann, darf oder muss.
      Und sonst bin ich an Informationen und deren Austausch über alle Sinne interessiert.
      Welcher Berufsbezeichnung dafür verantwortlich ist, spielt dabei (für mich) keine Rolle.

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  8. Thomas Romer
    Thomas Romer sagte:

    Aber bitte Herr Zeyer, nicht «schmörtzelen». CHF 16 für einen Monat sind ja gerade mal drei Kaffee im Restaurant, die einem jetzt ja ohnehin nicht gegönnt werden. Da liegt doch der neue Nebi für einen Schnuppermonat noch drin. Ist ja jederzeit wieder kündbar.
    Ich hätte auch wenigstens ein paar offene Artikel erwartet, habe dann für die Drei-Kaffee-Alternative doch abgedrückt.

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