Das Elend der Wirtschaftsberichterstattung

Kurz gefasst hat es einen Namen: Lukas Hässig. Der lässt regelmässig alle anderen im Regen stehen.

Einmal kann ja noch Glück und Zufall sein. Als der Finanzblog «Inside Paradeplatz» enthüllte, dass der abtretende Novartis-Boss Daniel Vasella satte 72 Millionen dafür bekommen sollte, dass er sechs Jahre lang nach seinem Abgang nichts tut, vor allem nichts für die Konkurrenz, gab es viel Gebrüll und rote Köpfe.

Vor allem bei Vasellas Anwalt, der das überhaupt nicht komisch fand. Mit dieser Enthüllung im Jahre 2013 sorgte Hässig auch nebenbei dafür, dass die Abzocker-Initiative angenommen wurde. Er fuhr, wie meistens, einen scharfen Reifen. Denn hätte seine Information nicht gestimmt, gäbe es den Finanzblog nicht mehr.

Als Hässig merkwürdige Kontobewegungen bei Pierin Vincenz enthüllte, reagierte die gesamte Wirtschaftspresse der Schweiz – überhaupt nicht. Vincenz, der Starbanker, der Gutbanker, von allen in den Himmel gelobt, soll etwas mit anrüchigen Geschäften zu tun haben? Unmöglich, gar nicht erst ignorieren.

Erst, als Vincenz mitsamt Kompagnon verhaftet wurde, wachten die Kollegen auf. Und lieferten sich ein Wettrennen mit Hässig, wer schneller die neuste Anfütterung publiziert.

Jagdszenen rund um die Zürcher Bahnhofstrasse

Als Hässig filmreife Verfolgungsszenen rund um die Zürcher Bahnhofstrasse beschrieb, glaubte noch niemand, dass das zum schnellen Fall des damaligen CS-CEO führen würde und sich in der Affäre mal wieder die ganze Führungsmannschaft der Credit Suisse, von VR-Präsident Urs Rohner abwärts, bis auf die Knochen blamierte.

Aktuell arbeitet sich «Inside Paradeplatz» an den «Masken-Kids» ab. Er zerrte ans Licht der Öffentlichkeit, dass sich zwei clevere Jungunternehmer durch den Verkauf von Schutzmasken an überforderte Sesselfurzer in der Schweiz und in Deutschland mehrere goldene Nasen verdient hatten.

CH Media und auch die NZZ, schliesslich Tamedia, gaben den beiden Gelegenheit, sich in den schönsten Farben darzustellen. Hatten halt die richtigen Beziehungen in China, setzten alles auf eine Karte, hätte der Verkauf von rund 300 Millionen Masken nicht geklappt, wären sie Pleite gewesen. Und für all das Risiko, pünktliche Lieferung erstklassiger Ware, seien so 30 Prozent Marge nun wirklich kein Verbrechen.

Eigenrecherche, kritische Analyse? Wozu auch

Beide Medienkonzerne erzählen die Tellerwäscher-Millionär-Story nach, erwähnen zwar, dass es eine Strafuntersuchung wegen möglicherweise gefälschten Zertifikaten gibt, auch eine Anzeige wegen Wucher. Aber darin erschöpft sich schon die Recherchierkraft der Wirtschaftsredaktionen. Die NZZ lässt am Schluss hilflos offen, ob es sich um clevere Geschäftsleute oder Schlimmeres handle.

Statt nachzuerzählen und den beiden unwidersprochen Plattformen für die wunschgemässe Selbstdarstellung zu geben, grub Hässig eine Story aus, die es wieder in sich hat. Unter den aufmerksamen Augen der Medienanwältin Rena Zulauf, die die beiden Kids inzwischen vertritt, schildert Hässig, wie die eine hübsche Menge Gesichtsmasken gekauft und für mindestens den doppelten Preis beispielsweise an die Schweizer Armeeapotheke weiterverkauft hätten.

Das unternehmerische Risiko hielt sich dabei aber in Grenzen; der Verkäufer war eine Firma mit Sitz – in Basel. Natürlich muss man sich zu recht fragen, wieso die Genies bei der Armee nicht in der Lage waren, diesen Lieferanten direkt zu benützen. Aber beim Ausgeben von Steuergeldern läuft der Beamte normalerweise nicht zu sparsamen Höchstleistungen auf.

Inzwischen haben die Maskenkids grosszügig über eine Million gelieferte Masken, die anscheinend unbrauchbar waren, ersetzt.

Sicherlich billig Second Hand zu erwerben.

Ist die Erzählung vom hohen Risiko und handelsüblicher Marge eine Ente?

Treffen die Angaben von Hässig zu, ist allerdings sowohl die Mär vom hohen Risiko wie auch von einer völlig handelsüblichen Marge entlarvt. Ebenso, aber das ist ja nichts Neues, die Mär, dass es noch hart recherchierende Wirtschaftsjournalisten in den grossen Medienhäusern gäbe. Die NZZ strahlt immerhin noch Kompetenz aus, und ihre Serie, dass die Bespitzelung des ehemaligen CS-Stars Khan kein Einzelfall war, brachte das Fass zum Überlaufen und zwang Tidjane Thiam zum Abgang.

Aber sonst? Tamedia befleissigt sich, vor allem in Gestalt ihres Oberchefredaktors, ungeniert unter Ignorieren der Unschuldsvermutung eine angefütterte Meldung nach der anderen im Zusammenhang mit der Affäre Vincenz rauszuhauen. Und die NZZ brüstet sich, dass sie in Besitz der gesamten Anklageschrift sei, was für die Strafverfolgungsbehörden kein Anlass ist, ebenso wenig wie bei Arthur Rutishauser, gegen diese Delikte vorzugehen.

Im Gegensatz dazu hat Hässig – nach langem Zögern – nun eine Strafuntersuchung am Füdli, weil die Publikation von Kontodaten gleich mehrere Delikte enthielt. Aber all das ändert nichts daran, dass hier ein Ein-Mann-Bulldozer Mal für Mal die Erde über einer Leiche im Keller wegräumt, während die übrige Wirtschaftsjournaille mit offenem Mund rumsteht und Maulaffen feilhält.

15 Kommentare
  1. Rolf Karrer
    Rolf Karrer sagte:

    Der Wirtschaftsteil des Tagesanzeigers bestand heute aus drei Seiten inklusive den Börsenkursen. Schäbig.

    Mit derart wenigen Seiten zur Verfügung, würde ich meinen, dass RELEVANZ umso wichtiger wäre. Offenbar ist diese Debattenkultur vollständig verschwunden. Man liess es gar zu, eine platzverschwendende, nichtssagende Barbie-Geschichte zu veröffentlichen.

    Hier nun eine relevante Geschichte, die der Tagesanzeiger noch bringen müsste – und aber typischerweise verschlafen hat (mein Gratis-Input).

    Vor 11 Jahren haben die Irischen Brüder Patrick und John Collison einen Digital payment-start-up namens STRIPE gegründet. Die Unternehmung mit offices in Dublin und San Francisco, ist nicht börsenquotiert. Haben allerdings namhafte Investoren wie etwa Elon Musk und Peter Thiel. Der Wert dieses start-up beträgt momentan horrende 95 Milliarden US$. Stripe ist somit 12x höher bewertet als die Barbie-Muttercompany Mattel. Es ist der kostbarste start-up in den USA. Auch die Nachrichtenagentur Reuters hat kürzlich wieder über Stripe berichtet.

    Denke oft, dass die Neugierde und Kompetenz von vielen Wirtschafts-Journalisten sehr klein geworden ist. Eine solch phenomenale Leistung von zwei innovativen Brüdern darf man nun wirklich nicht verschlafen.

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    • Gerold Ott
      Gerold Ott sagte:

      Ganz klar. Wären die zwei Brüder weiblich, so wäre es relevant.

      Es gibt ja die Losung vom bewegten Zirkel «Frauen vermehrt sichtbar zu machen».

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Es ist der bedeutsamste start-up in den USA – und der wertvollste dazu. Frau Maren «Barbie» Meyer müsste folgedessen für die morgige Ausgabe eine angemessene Geschichte über diese erfolgreichen Herren bringen.

      Im Netz gibt es etliche Artikel über diese Märchenstory Stripe. Financial Times, Bloomberg, Irish Times etc. Frau Meyer sollte auf storytelling machen, der neuen Form von diebischem Abkupfern von Artikeln fremder Quelle.

      Repacking News ist kostengünstig.

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      • Beth Sager
        Beth Sager sagte:

        «Storytelling» ist die noble Umschreibung vom Begehen eines Diebstahls. Quellenangaben gibt es kaum mehr dafür, weil alle Sätze subtil vom Originaltext umgebaut und blumig ergänzt werden. Kaum mehr etwas ist nachweisbar. So kann man Geld sparen………in unseren Medienfabriken.

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    • Simon Ronner
      Simon Ronner sagte:

      Herr Karrer, Ihr «Gratis-Input» an den Tagi in Ehren. Aber die Gebrüder Collison sind zwei weisse, heterosexuelle Männer.

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      • Ruthli vom Rütli
        Ruthli vom Rütli sagte:

        Noch schlimmer, Investor Thiel ist Trump-Unterstützer. Zwar homosexuell, aber in diesem Fall zählt das nicht, of course.

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    • Steff Bohn
      Steff Bohn sagte:

      Heutiger Artikel auf der TA-Wirtschaftsseite unter dem Titel «Wegwerfmasken werden zum Umweltproblem» auch höchst grenzwertig. 21-31 Zeilen hätten genügt, weil keine wirkliche Neuigkeit. Die Angelika Gruber (eine der 78 Bewegten) schreibt ab, aus unbekannter Quelle.

      Debattenkultur wo? Hat der Blattmacher Angst vor der Frau «storytelling» Gruber?

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      • Rolf Karrer
        Rolf Karrer sagte:

        Dachte heute ähnlich wie sie, dass diese Geschichte Wegwerfmasken und Umweltkatastrophe ein Füller ist. 19 – 21 Zeilen wären genügend dafür.

        Wie ich schon oben stehend dargelegt habe, ist RELEVANZ nicht mehr vorhanden beim TA; insbesondere nicht im mageren Wirtschaftsteil.

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    • .Victor Brunner
      .Victor Brunner sagte:

      Das ist eben Transformation. Abbau bei regionaler, nationaler und globaler Politik. Globale Politik wird zugekauft aus München, TA-LeserInnen nur noch Second-Hand-Konsumenten von Wittwers Gnaden. Wirtschaftskompetenz kannibalisiert und nur noch mariginale Berichterstattung. 2 Seiten heute, nur noch peinlich. Wenn dann Bashing, Beispiel Artikel der ehemaligen Textverwursterin bei Reuters Angelika Gruber, Jammerpamphlet unterschrieben, über Peter Spuhler und seinen Mandaten. Etwas rumtelefonieren Negativstimmen sammeln aber mit Spuhler direkt reden, kein Füdli! Mangelnde Kompetenz würde sichtbar. Wissenschaft, zu kompliziert, zu aufwändig.

      Dafür immer mehr Belehrungs- und Mahnfingerartikel vorwiegend von den Frauen, die immer mehr an keifende, frustrierte Weiber erinnern die alles tun um auf sich aufmerksam zu machen und anderen den Tarif durchgeben. Gnade den LeserInnen wenn 40% Frauenanteil Realität wird. Wie Frauen schreiben, Kolumne, Buchwerbung, von Frau Bleisch lesen. In der ersten Zeile bemüht sie schon mal Sokrates um das Buch von Mithu Sanyal zu bewerben, dann muss noch US-Kulturwissenschaftlerin Rachel Dolezal und Theodor W. Adorno herhalten. Natürlich mit 2 grossen und einem kleinen Bild!

      Es gibt genügend Frauen die hervorragend schreiben können und in allen Bereichen kompetent sind, nicht aber bei TA Media. Dafür sind dort Frauen die schon mal interne psychologische Betreuung erwarten!

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  2. Jan Keller
    Jan Keller sagte:

    Die Qualität der grossen Schweizer Zeitungsverlage ist rapide gesunken – nur die Abopreise blieben rekordverdächtig hoch.

    Der TA ist mittlerweile so klar links positioniert, dass er oft gar keinen politischen Diskurs mehr zulässt. Kommentare die nicht der eigenen Linie entsprechen werden zensuriert. Die Auslandberichterstattung ist entweder einer lokalen Zeitung abgeschrieben oder der Autor tut unverblümt seine linke politische Haltung kund. Hatte dies Hautnah erlebt beim Brexit – der glühende Corbyn Verehrer TA «Reporter» Nonnenmacher hatte mehr als Pressestelle vom damaligen Parteichef fungiert anstatt die Argumente beider Seiten auszuleuchten. Dasselbe in den USA – man braucht nur die NY Times zu lesen um dann etwas später einen abgekupferten Artikel im TA serviert zu bekommen.

    Qualitätsmässig ist die NZZ etwas besser aber mittlerweile meilenweit entfernt von der Breite die sie vor 20-30 Jahre hatte. Damals war das Aulandkorrespondentennetz erstklassig und die Lektüre ein wirklicher Genuss – mittlerweile bekommt man zum selben Preis nur noch einen Bruchteil serviert. Anstatt für die horrenden Abogebühren wieder mehr Qualität zu liefern versucht die NZZ dauernd irgendwelche neuen Nischenprodukte zu lancieren im Glauben, Leute seien bereit, noch mehr Geld für News auszugeben. Bei der NZZ hapert es oft auch an der Technik – die Qualität der App zum Beispiel ist katastrophal schlecht – selbst banalste Dinge wie die Schriftgrösse kann man nicht verändern. Hatte dies dem Verlag schon vor etwa 4 Jahren (!) berichtet mit der Antwort man werde sich dem schnell annehmen. Bis heute hat sich nichts getan.

    Die Regionalzeitungen sind praktisch alle mittlerweile Teil eines Grossverlag mit einem Mal minder mal mehr ausgebauten Regionalteil – eine NZZ oder TA light mit etwas regionalem.

    Bei allen Verlagen muss man das Produkt mit den Kosten aufwägen. Alle Schweizer Zeitungen sind im Vergleich mit dem Ausland sehr teuer. Teilweise ist dies erklärbar mit der Kleinräumigkeit des Marktes und daraus resultierenden höheren Fixkosten. Was mich jedoch erstaunt ist dass die Verlage nicht versuchen mehr Abos zu billigeren Preisen zu verkaufen. Die NZZ verlangt für ein Digitalabo Fr 228 pro Jahr, der TA Fr 209 – viele renommierte angelsächsische Zeitungen bekommt man für den halben Preis oder weniger (The Times £60/Jahr (etwa Fr 80), die NYT für Fr 30 (als Spezialabo)). Diese grossen Preisunterschiede nur mit höheren Schweizer Kosten zu rechtfertigen ist etwas dürftig – die Qualität des Produktes muss am Ende eben auch stimmen

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  3. Dominic Miller
    Dominic Miller sagte:

    Hat Lukas Hässig nicht ebenfalls u.a. als erster über die Insider-Devisengeschäfte von Philipp Hildebrand berichtet?

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  4. Sam Thaier
    Sam Thaier sagte:

    Das einstige flagship für Neugierde, schafft sich wohl selber ab. Den Tagesanzeiger überfliegt man bloss noch missmutig und mit Misstrauen dazu. Die Relevanz und die kohärente Berichterstattung hat seit dieser staatsstreichartigen Einführung dieser Annabellisierung™ enorm gelitten.

    Bolero-Blattmacher ohne Rucksack weisen den Weg. Die fähigen, unterforderten männliche Journalisten beim TA sollten den Fehdehandschuh hinwerfen, und sich interessanteren (und dankbareren) Aufgaben zuwenden.

    Gerade im Ressort «Wirtschaft» spürt man diese Beliebigkeit. Der weichgespülte Barbie-Journalismus ist der Indikator für diesen selbstgewählten Zerfall, wo niemand mehr Einspruch erhebt.

    Lukas Hässig ist der Beweis für hungrigen Wirtschafts-Journalismus. Mittlerweilen wohl auch Beichtvater für viele geplagte Angestellte in unserer Schweiz Inc. Seine Geschichten werden nicht so schnell ausgehen………….

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    • Eveline Maier
      Eveline Maier sagte:

      Der lieblose, amputierte Wirtschafts-Journalismus beim TA könnte man noch mehr straffen. Eine ganze Seite Börsenkurse müsste doch reichen.

      Allen anderen Interessierten, sollte stattdessen ein Abo der «Finanz und Wirtschaft» schmackhaft gemacht werden. Kommt ja aus dem gleichen Verlag.

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      • Tom Kehrer
        Tom Kehrer sagte:

        Frau Maier, wollen sie aus dem Tagesanzeiger eine Quartierzeitung machen? Der Wirtschaftsteil müsste gar ausgebaut werden mit fähigen Journalisten.

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        • Alois Fischer
          Alois Fischer sagte:

          Sie meinen wohl den «Beizenteil», das ist in einer Quartierzeitung bald das einzige, das wieder interessieren mag.

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