Zensoren und Grossinquisitoren

Sonst mit Hang zur Verstaatlichung, fordern vor allem Linksgrüne die Privatisierung der Zensur.

Der Genderwahn, also die auf einer Verwechslung von Genus mit Geschlecht beruhende Sprachvergewaltigung mit Sternchen, Binnen-I und anderem Schwachsinn, ist zwar ärgerlich, aber in erster Linie lächerlich.

Seit Voltaire den Schlachtruf «écrasez l’infâme» schuf (zermalmt das Niederträchtige), wogt ein ständiger Kampf gegen Intoleranz, Zensur und Fanatismus. Damals vor allem verkörpert von der Kirche, heute von Kreisen, die im Besitz der Wahrheit für das Gute und somit gegen das Böse zu kämpfen meinen.

Mit Forderungen nach Ausgrenzung, statt Debatten über Argumente werden angeblich dahintersteckende Gesinnungen, Haltungen denunziert. Nach der schäbigen Methode, sich jede geistige Anstrengung zu ersparen, indem man behauptet, wer so etwas sage, sei ein Ignorant, ein Hetzer, ein Unmensch, ein Rechtsradikaler, oder einfach ein Idiot.

Zurzeit ausser Betrieb: Scheiterhaufen für Hexenverbrennungen.

Während es früher – unter Ausnützung der von den Aufklärern, darunter Voltaire, erkämpften Meinungsfreiheit – lebhafte Debatten über Inhalte gab, werden heute Gräben ausgehoben und Stacheldrahtverhaue errichtet, in denen solche Diskussionen verröcheln.

Als Mob schützen vor Todesgefahr

Viel besser geeignet als doch eher abstrakte Themen wie Klimawandel, Sklaverei, Rassendiskriminierung ist die Pandemie. Hier geht es endlich mal um nicht kulturimperialistisch angeeignete Probleme, sondern angeblich um Leben oder Tod. Jeder Infizierte, dem man auf der Strasse begegnet, kann zum Mörder werden; dagegen müssen wir uns doch schützen.

Nicht nur mit Mundmasken, natürlich auch mit Maulkörben. Und als Mob. Wer sich fragte, wie eine Menschenmeute zur Bestie werden kann, Menschen durch die Strassen jagt, zur Selbstjustiz greift, nur noch blindem Hass folgt, sollte sich nur einen beliebigen sogenannten Shitstorm auf den sozialen Medien anschauen.

Mutig durch Anonymität wird hier Recht und Ordnung durch Willkür und Selbstjustiz ersetzt. Glücklicherweise meistens nur von Maulhelden, zu feige für jegliche andere Art der Aktion. Aber durch die Notwendigkeit, immer extremer zu werden, um überhaupt noch Aufsehen zu erregen, tobt und keift der Mob immer ungehemmter. Wer sich zum Beispiel die absurden Vorwürfe gegen die aufrechte SP-Genossin anschaut, die völlig zu Recht und wie von Obama abwärts viele Kommentatoren darauf hinwies, dass dunkelhäutige Menschen gut tanzen können, blickt in eine gähnende Leere.

Bewaffnet mit der Wahrheit einer besseren Welt

Gefüllt mit absurden Begriffen wie «struktureller Rassismus», gar «positiver Rassismus», also auch eine lobende Erwähnung von Eigenschaften sei natürlich rassistisch. Und wer entscheidet darüber? Natürlich die Besitzer der absoluten Wahrheit. Früher nahm das die Kirche für sich in Anspruch. Heute kann das jeder Idiot tun, der sich als Kämpfer für eine bessere Welt versteht.

Natürlich gehören solche künstlich befruchtete Dauererregungen schon länger in die Abteilung «Wahnsinn ist ansteckend», wirken nur noch lachhaft, wenn zum Beispiel argumentiert wird: «Auch die Absicht dahinter ist irrelevant, denn die Verletzung bleibt dieselbe. Auch wenn wir jemandem unabsichtlich mit einem Hammer auf den Daumen hauen, tut’s weh.»

Dazu kann man nur absichtlich sagen: Wieso tut es nicht weh, so einen Stuss mit ernstem Gesicht abzusondern? Aber der feministische, klimabewegte, antirassistische, Diversität verteidigende, fordernde und ablehnende Mob im Internet ist letztlich harmlos. Durchgedrehte Genderforscher, von Steuergeldern bezahlt, die rigorose Sprachregelungen an ihren Unis durchsetzen wollen, sind schon eine Runde gefährlicher.

Meinungen? Nein, Menschen, Haltungen, Gesinnungen

Durch die absichtliche Verwechslung von Meinung und Mensch liegt es natürlich nahe, nicht nur die Zensur seiner Meinung zu fordern, sondern gleich des ganzen Menschen. Deshalb wurde weitherum applaudiert, dass ein Lügner, Hetzer und Unmensch wie Donald Trump der Stecker gezogen wird. Fertig Twitter, fertig Facebook, fertig direkter Zugang zu seinen Anhängern.

Das wurde nicht nur von vielen linksgrün-feministisch bewegten Inquisitoren begrüsst. Auch viele Medien konnten der Aktion durchaus etwas abgewinnen. Logisch, weil Trump als Erster in diesem Ausmass ihnen vorgeführt hatte, dass er nicht von Massenmedien als Multiplikatoren oder Lautsprechern abhängig ist, um seine Ansichten unters Volk zu bringen.

Welche Ansichten das sind, wie man die qualifizieren muss, darüber herrscht ausserhalb der «Weltwoche» allgemeine Einigkeit. Aber eben nicht darüber, was man davon halten soll, dass ein autistischer Milliardär, ein etwas abgedrehter Erfinder eines Kurnachrichtendiensts, die Entwickler einer monopolistischen Suchmaschine, darüber entscheiden dürfen, was auf ihren Plattformen geht und was nicht.

Über viele Jahre hinweg entledigten sich die Besitzer sozialer Plattformen jeder Verantwortung, was auf ihnen getrieben wird, mit dem Argument, dass sie ja nur die Infrastruktur für privaten Meinungsaustausch zur Verfügung stellten; ausserdem sei es schlicht unmöglich, Milliarden von Posts ständig darauf zu kontrollieren, ob sie auch gesetzeskonform seien.

Milliardengewinne mit Trotteln, die alles für gratis halten

Zudem wiesen sie als völlig abwegig zurück, dass ihre Plattformen für politische Agitation, ja sogar Manipulation missbraucht werden könnten. So scheffelten sie in Ruhe mit geringem Aufwand Milliarden, während sich die Nutzer darüber freuten, dass ihnen hier angeblich völlig umsonst und aus Menschenfreundlichkeit gratis Tools zur Verfügung gestellt wurden, mit denen sie ihrer Einsamkeit oder Bedeutungslosigkeit entfliehen konnten.

Erst Bewegungen wie der arabische Frühling oder nachgewiesene Wahlbeeinflussungen durch ausländische Hackerarmeen oder üble Manipulatoren wie Cambridge Analytica sorgten für einen Meinungsumschwung.

Eine weitere Verteidigungslinie war, dass Äusserungen von Politikern einen Sonderstatus besässen, weil man ja politisch neutral bleiben wolle und deshalb nicht einfach zensurierend eingreifen könne. Aber am Beispiel Trump wurde dann auch das über Bord geworfen.

Bankrotterklärung des Rechtsstaats

Reine Heuchelei, nachdem man sich auch an ihm mit seinen Millionen Anhängern durch Werbung und Datenverkauf dumm und krumm verdient hatte. Aber als nur noch zwei Wochen seiner Amtszeit übrig waren, wurde der Abschaum, der das Kapitol stürmte, zum Vorwand genommen, mit staatstragender Miene seine Accounts zu sperren.

In Wirklichkeit ist das eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats. Schon wieder, nachdem wir das finstere Regime der Kirche überwunden haben, wird das unverzichtbare Prinzip, dass nur ein Rechtsstaat nach Gesetzen und mit der Möglichkeit zur Gegenwehr der freien Meinungsäusserung Grenzen setzen darf, neuerlich durchlöchert.

Man kann nur froh sein, dass all diese kleinen Möchtegern-Inquisitoren, diese Westentaschen-Torquemadas, diese Sprachdenunzianten, diese Gesinnungspolizisten, die mit Willkür und Geschrei richten wollen, im Gegensatz zur richtigen Inquisition nur über begrenzte Mittel verfügen.

Die aber auch nicht zu unterschätzen sind. Welch unheilvolle Entwicklung sich hier abspielt, kann man einfach selbst herausfinden. Man vergleiche nur mal, was vor 20 Jahren noch im öffentlichen Diskurs möglich war, und was heute. Das ist keine Verbesserung, keine Reinigung, keine Ent-irgendwas. Das ist einwandfrei ein Highway to Hell.

Klare Sache für Moral-Ayatolle.

2 Kommentare
  1. Franco Zeller
    Franco Zeller sagte:

    Eher ein Highway to Heaven für Regierungen, Medien, Grosskapital und dienliche «Experten» und «Berater».

    Übrigens, die Bildlegende ist falsch, wie der Artikel selber aufzeigt: die Verbrennungen sind voll im Gange, durch das heilige Feuer des politisch Korrekten, das Existenzen durch Entlassungen und Ausgrenzung vernichtet. Und neuerdings sogar die Mathematik in Oregon auf den Scheiterhaufen der Geschichte verbannt.

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  2. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    Aus Ihrem heutigen Beitrag «Neues aus dem Nebel»:

    «Also mangelnde Liberalität wird sicher nicht das Problem des neuen «Nebelspalter» sein.»

    Offenbar eine Selbstverständlichkeit für Sie, dass das Hochhalten der Fahne der Liberalität etwas Positives darstellt. Das tut es auch für mich. Für einen Victor Brunner oder Lorenz Steinmann aber vielleicht ganz und gar nicht.

    Wie hier dargestellt gilt Liberalität, freie Rede und Gegenrede, für die Debattenverweigerer als unerträgliches Grundübel. Doch diese Leute verraten mit ihrer Borniertheit und ihrem gehässigen Furor, Andersdenkende zu diffamieren und zum Schweigen bringen zu wollen, bloss ihre Unzulänglichkeit. Denn wer solide Argumente für seine Sache hat, muss den Wettstreit der Ideen nicht scheuen. Dabei stets die Option gewahrend, die andere Seite könnte noch bessere Argumente für ihre Sache, ihre Sicht vorweisen. Liegt ja schliesslich in der Natur der Sache.

    Eine liberale Haltung ist also nichts für zeigefingerfuchtelnde Moralisten, infantile Träumer, Feiglinge, Denkverweigerer, und Leute mit Höchstwerten auf der Verträglichkeitsskala.

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