Ex-Press XX

Blasen aus dem Mediensumpf.

Diesmal Sonderausgabe USA: je ruhiger, desto lärmiger.

Donald Trump hat das Weisse Haus verlassen, ohne einen Atomkrieg anzufangen. Die Medien können’s nicht fassen.

So sieht Unbelehrbarkeit aus. Unhöflich, ohne seinen Nachfolger zu empfangen, hat Familie Trump ihre Siebensachen eingepackt, und tschüss. Freiwillig. Ohne den Dritten Weltkrieg loszutreten. Ohne sich im atombombensicheren Befehlsbunker zu verschanzen. Nicht mal Graffitis haben sie hinterlassen; «Biden, go home!» oder «I am the President».

Das Ende der Demokratie ist auch nicht angebrochen, die Institutionen haben sich als stabil erwiesen. So wie das stabile Genie Trump. Die schändlichen Szenen bei der Erstürmung des Capitols sollten auch verdaut sein.

In dem Moment, wo Joe Biden den Amtseid ablegte, wurde der berühmte Koffer mit den Codes für die Auslösung eines Atomschlags durch den Präsidenten, der mit Trump nach Florida flog, deaktiviert.

Aber die deutschsprachige Journaille bleibt sich treu. Um so leiser und reibungsloser diese Machtübergabe funktioniert, desto lärmiger und aufgeregter muss sie berichten. Denn ein neuerliches Eingeständnis, völlig daneben gelegen zu haben, das wäre zu viel für das sowieso schon angeknackste Selbstbewusstsein.

Der «Spiegel» geht nochmal in die Vollen

Ist deswegen aber nicht minder peinlich. «Diese Witzfigur wird nie gewählt; bis vor seinem Abgang, wenn er überhaupt das Weisse Haus freiwillig verlässt, muss mit allem gerechnet werden.» Zweimal Quatsch, von Anfang bis Ende.

Beim ersten Quatsch half eine gewisse Fassungslosigkeit, dass wenigstens kurzzeitig Ruhe eintrat, und sogar die eine oder andere selbstkritische Bemerkung herausgequetscht wurde. Das ist diesmal nicht der Fall. Im Gegenteil, es wird gekeift, als müsste man Trump noch aus der Präsidentschaft schreiben.

Unser Lieblings-Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» greift nochmal in die Vollen: «Das Weisse Haus wird desinfiziert», titelt der Korrespondent, als wäre Trump eine ansteckende Krankheit. Als weitere wichtige Information, eines Qualitätsmagazins würdig, lässt er uns noch wissen, dass wie üblich auch die Matratzen gewechselt würden. Da aber die Bidens wohl – anders als Ehepaar Trump – in einem Bett nächtigen würden, müsse nur eine ersetzt werden.

Soweit die hämische bis dämliche Abteilung. Aber es muss doch auch noch anders gehen. Dafür stellt sich gerne Torben Lütjen zur Verfügung. Als vertretender Professor für vergleichende Politwissenschaften in Kiel ist er sicher der geeignete Mann für eine Fernanalyse der Zukunft. Insbesondere, weil Kiel einen Ruf wie Donnerhall bei Amerikanisten hat.

Lütjen liefert natürlich, was ihm auch nicht schwerfällt. Schliesslich ist er der Autor des aufrüttelnden Werks «Amerika im kalten Bürgerkrieg». Leider kein Bestseller geworden, Amazon hält noch zwei Exemplare an Lager, aber es gibt genügend Angebote, es gebraucht und günstig zu kaufen. Aber vielleicht gibt sein Gastkommentar im «Spiegel» dem Absatz nochmal Schub. Denn da unkt er schon im Titel: «Amerikas Demokratie kann noch immer scheitern». Au weia, und was ist mit dem Bürgerkrieg? Da fürchtet Lütjen noch Schlimmeres: «Wahrscheinlich war der 6. Januar der Startschuss zu einer Dekade rechtsradikalen Terrors.»

Wahnsinn, diese seherische Kraft. Wir müssen also damit rechnen, dass in den nächsten zehn Jahren immer wieder Abschaum, meistens tätowiert und verfettet, manchmal auch mit merkwürdigem Kopfschmuck, die USA terrorisiert. Insgeheim angeführt oder angefeuert vom Ex-Präsidenten. Vielleicht sollte der vertretende Professor seine Medikamente wieder nehmen.

Tamedia zeigt zurzeit Gelassenheit, «watson» bleibt im Kreischmodus

Gelassener nimmt es zurzeit Tamedia: «Es kann nur besser werden.» Wenn endlich mal auf den Ratschlag von Stephan Israel gehört würde. Über ihrer Erleichterung wegen des Abgangs Trumps sollten die Europäer «als wichtigstes Projekt» unbedingt mit den USA eine «gemeinsame Strategie gegenüber China entwickeln». Da würde dann China erzittern.

Gut, es ist ein wenig unfair, aber der Gerechtigkeit halber erwähnen wir nun auch das Millionengrab «watson». Da darf Philipp Loepfe mal wieder unter Beweis stellen, dass er nichts von Wirtschaft versteht und deshalb gerne übers Ausland schreibt. Aber davon versteht er leider auch nix.

«Donald Trump: Das Ende», so titelt er unheilsschwanger. Dann, dank seines fortgeschrittenen Alters, langweilt er die «watson»-Leser mit einem Ausflug in die Musikgeschichte. «This is the end, my only friend», sang Jim Morrison von den «Doors». 1967, seit 1971 kann man Morrison auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris besuchen.

Das sei nicht nur der passende Soundtrack zu «Apocalypse Now» (Antikriegsfilm, 1979), sondern auch für die Ära Trump. Wieso? Morrison reflektierte in diesem Song über die Trennung von seiner damaligen Freundin. Was soll das mit dem «Irrsins-Trip», dem «Horror-Trip», der «fürchterlichen Bilanz» von Trump zu tun haben? Man weiss es nicht. Genauso wenig, wieso dennoch 74 Millionen Stimmbürger diesen Riesenversager nochmal gewählt haben.

Aber das zu erklären, das sieht Loepfe natürlich nicht als seine Aufgabe an. Ausserdem hat er auch davon keine Ahnung.

Kein Kommentar von «20 Minuten»

Da lobt man sich mal wieder die absolute «jetzt geig ich’s mal wieder allen mit einem gepfefferten Kommentar»-Abstinenz von «20 Minuten». «Joe Biden ist US-Präsident», ist der faktentreue Haupttitel, «Erfolge und Misserfolge in vier Jahren Trump» verspricht wenigstens Ausgewogenheit als Fotogalerie, und «Das wünscht sich die Schweiz von Joe Biden», in Form einer Umfrage. Vermisst man da was? Eigentlich nicht. Eine Einschätzung auf NZZ-Niveau vielleicht, aber das liefert die alte Tante ja selbst.

Auch «nau.ch» verhält sich weitgehend zivilisiert. «Joe Biden als 46. Präsident der USA vereidigt», wird trocken vermeldet. Aber dann gehen «nau.ch» doch die Gäule durch: «Melania Trump ist unbeliebteste First Lady aller Zeiten». Laut einer CNN-Umfrage. Sippenhaft, die Arme. Schon unangenehm nach Demagogie riecht das Foto, das «nau.ch» als Artikelaufmacher benützt:

Sag’s im Titel, sag’s im Lead, sag’s in der Bildunterschrift. Nau.ch hält nicht viel von seinen Lesern.

«blue news», immerhin eines der besucherstärksten Newsportal der Schweiz, lässt es bei einem simplen «News-Ticker» bewenden. «Washington D.C. gleicht einer Militärfestung», tremoliert der zum «Blick-USA-Reporter vor Ort» aufgewertete Nicola Imfeld, der sonst aus dem fernen San Diego nach Washington rüberschaut. Jetzt steht er aber sichtbar fröstelnd (San Diego 22, Washington 4 Grad) vor dem «harten Checkpoint», noch ein paar Kilometer von der Zeremonie entfernt:

Bericht aus der Ferne; im Hintergrund der unüberwindbare «harte Checkpoint.

«Hart» ist er offenbar deswegen, weil hier Endstation für Imfeld ist, nur wenige Journalisten hätten Zugangserlaubnis vom Secret Service bekommen. Deshalb ist er zwar vor Ort, hat aber keine Ahnung, was in Washington abgeht. Im Gegensatz zu vielen Kollegen, die munter diese volle Härte überwunden haben.

Aber: Die gute Nachricht des Tages ist, dass Bürgerkrieg, Terroranschläge, in die Nationalgarde infiltrierte Rechtsradikale im Blutrausch, Schiessereien, Bombenattentate, weitere Schändungen nationaler Heiligtümer – ausgeblieben sind.

Wir freuen uns schon auf die nächsten krachenden Fehlanalysen. Die Journaille nimmt bereits Anlauf. Erste Vizepräsidentin: «historisch». Biden: «Kaum im Amt, schon beschlossen». Völlig aus der Spur ist Alexandra Kedves von Tamedia. Eigentlich Kulturredaktorin (das merkt man an einem falsch verwendeten Brecht-Zitat), schliesst sie sich der schwärmerischen Backfisch-Riege an: «Zum Heulen schön: Was für eine Biden-Show!» – «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden.» – «Das rote Haarband der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman – der jüngsten Dichterin, die je zur Vereidigung eines US-Präsidenten auftrat.» – «Selbst die Farbwahl bei den Damen trommelte sozusagen Bedeutung ins Bild; war eine Verneigung vor dem langen Kampf der Feministinnen.» – «Rau, ehrlich und aus dem Herzen gesprochen wirkte die Rede.»

Das nennt man journalistische Objektivität, sich mit keiner Sache gemein machen. Hedwig Courths-Mahler hätte es nicht besser gekonnt. Nur war die keine Journalistin.

8 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Auch Alexandra Kedves vom Gesellschaftsgrüppli des «Tages-Anzeiger» hat sich die Inaugurations-Feier am Fernsehen angschaut und einen wunderschönen, emphatischen und detailreichen Artikel geschrieben, ««Wir müssen diesen barbarischen Krieg beenden», Pluralis majestatis. Sie fühlt sich als Nichtamerikanerin amerikanisch wie auch die Sonne die hervor kam..

    Sie ist angetan von der Rede Jo Bidens. Sie lobt die Kleidung der Frauen, sie freut sich über den Auftritt der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman, einer 21jährigen Dichterin. Sie schreibt über die besondere Tiefe der Feier von «Lady Gagas Singen der Nationalhymne und Jennifer Lopez’ «This Land Is Your Land» und «America, the Beautiful» über die Reden bis hin zu den Gebeten. Wahrscheinlich ist der Kleenex Verbrauch von Frau Kedves durch die Decke!

    Dann macht Frau Kedves noch den Trump der auch nicht alle mochte. Kein Hinweis dass da noch der Country-Sänger Garth Brooks auftrat und «Amacing Grace» sang. Nun gibt es 2 mögliche Erklärungen. Frau Kedves musste mal und sie hat keine Replay-Taste an ihrem Gerät oder sie hat eine Abscheu gegen Männer und besonders gegen amerikanisch Künstler die das ländliche, nicht urbane Amerika repräsentieren. Peinlicher kann Kedves die eigenen Vorurteile nicht dokumentieren!

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    • Rolf Karrer
      Rolf Karrer sagte:

      Country-Singer Garth Brooks sang sein «Amazing Graze» am Schluss der Inauguration. Vielleicht hatte das TA-Ressort «Leben» bereits Redaktionsschluss?

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  2. Ray Sinniger
    Ray Sinniger sagte:

    So reibungslos ist der gestrige Tag auch nicht verlaufen, Herr Zeyer. Erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten hat sich ein Präsident der Amtsübergabe an seinen Nachfolger verweigert.

    Ein miserabler Stil, der kaum zu toppen ist.

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    • Ruthli vom Rütli
      Ruthli vom Rütli sagte:

      Im Gegenteil: Diese Heuchelei um die lebenslangen Polit-Low-Performer Biden&Harris ist nur noch abstossend und ähnelt dem Hype um unsere Corona-«Helden».

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      • Laura Pitini
        Laura Pitini sagte:

        Ruthli hat wohl hellseherische Fähigkeiten. In vier Jahren wissen wir bestimmt mehr. Von Heuchelei kann aber bestimmt keine Rede sein, sondern schon einmal commitment von der ersten Stunde an. Auch die Pressesprecherin Jen Psaki ist positiv aufgefallen. Keine Exzentrik und Theatralik, sondern seriös vorgetragene Tagesinformationen. Erstaunlich, dass alle Medien die wohltuenden Qualitäten dieser Pressesprecherin heute übersehen haben.

        Der Abgang von Donald Trump war unrühmlich und charakterlos. Er war der sechste Präsident überhaupt, welcher nicht an der Amtsübergabe teilnahm; und der erste seit 100 Jahren, der dies tat.

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  3. Eveline Maier
    Eveline Maier sagte:

    Highlight für mich war die neue Pressesprecherin Jen Psaki bei ihrem ersten Treffen mit der Presse. Nach vier Jahren wieder einmal ein sachlicher, frischer und überlegter Ton. „Alternative facts“ (Kellyanne Conway, Counselor of President Trump) wird es bei ihr bestimmt nicht geben……..

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    • Gerold Ott
      Gerold Ott sagte:

      Gut beobachtet Frau Maier und voll einverstanden.

      Diese Jennifer Rene Psaki, griechisch-polnischer Abstammung, brachte schon einmal eine erste positive Kehrtwendung in diese neue Administration. Man kannte sie bereits von den Zeiten von Präsident Barack Obama, wo sie zwei Jahre Kommunikationsdirektorin war.

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