Wendler verpixelt und verstummt

Auf RTL ist ein bemerkenswertes Stück Mediengeschichte mitzuerleben.

Die Redaktionen, die sich ums Showbusiness kümmern, haben es momentan schwer. Wegen der Corona-Krise gibt’s keine VIP-Anlässe, keine Premieren, keine Preisverleihungen. Für Klatschheftli und analoge TV-Formate wie Exklusiv (RTL) der Horror. Es gibt fast nichts zu berichten. Umso dankbarer wird die sogar strafrechtlich relevante verbale Entgleisung von Sänger Michael Wendler thematisiert. Er verglich Deutschland wegen den harten Coronamassnahmen mit einem «KZ». Später machte er alles nur noch schlimmer, indem er seine «KZ»-Bezeichnung als «Krisen-Zentrum» verstanden haben wollte.

Wendler: Klassische Krisenkommunikation, die alles nur noch schlimmer macht. 

Zumindest in der Schweiz könnte sich Wendler damit strafbar machen, wie ein Anwalt gegenüber «Watson» sagte. Die Holocaust-Verharmlosung des Schlagersängers könnte unter den Straftatbestand der Volksverhetzung fallen, der in § 130 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist. Eine Busse oder gar das Gefängnis wären die Folge. Doch wo kein Kläger, keine Strafe. Und dann müsste Wendler ja noch in die Schweiz einreisen. A propos Schweiz: Hier ist oder war zumindest bis vor Kurzem der Begriff «KZ» Standard in der Soldatensprache der Schweizer Armee. «KZ»=Krankenzimmer. Neuerdings heisst das offiziell «KA» für Krankenabteilung.

Wie Fettflecken

Doch zurück zu Wendler. Die Konsequenzen zog RTL schon vor einer Woche. Der TV-Sender schnitt den Juror Wendler in der aufgezeichneten Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» heraus. Wo möglich wurden die Sequenzen mit seinen Urteilen gelöscht. Speziell: bei Aufnahmen mit der ganzen, vierköpfigen Jury, wurde «Wendler» verpixelt. Oder verschmiert, wie es der «Spiegel» spöttisch nannte. «Wie wenn der Bildschirm Fettflecken hätte».

Das war noch vor der Retouche: Wendler (ganz links) als RTL-Juror.

Wo Wendler doch noch etwas sagte, ersetzten Comic-artige Sprechblasen seine Wortmeldungen. Dazu blendete RTL wie von Zigarettenpackungen bekannt mit weißer Schrift vor schwarzem Bildschirmhintergrund einen redaktionellen Hinweis ein. «Ein Juror hat Verschwörungstheorien verbreitet». Wegen «völlig untragbarer Äusserungen» habe man ihn aus den 2020 aufgezeichneten Folgen herausgeschnitten.

Warum nicht ganz neu inszeniert und abgedreht?

Konsequent wäre aber die Absetzung, respektive Neuverfilmung der ganzen Staffel gewesen. So bleibt ein Nachgeschmack. Denn seinen medialen Auftritt hat Wendler gleichwohl. Vollends absurd wird es, wenn ein Kandidat ein Lied von Wendler vorträgt. RTL dann aber den Ton abstellt, weil ja Wendler nicht mehr genehm ist. Das gerade stärkt die Anhänger von Wendler und vielleicht auch die Anhänger von Wendlers übler Theorie. Es ist die Theorie der Märtyrer, die sich opfern für das Gute, für die Freiheit, für die offene Meinungsbildung. Der Umgang mit solchen Ansichten und den Menschen dahinter ist nicht einfach. Negieren, diskutieren, lächerlich machen?

Bildbearbeitungen sind eine eher simple Sache. Wie Stalin (UdSSR) und Ulbricht (DDR) Fotos retouchieren liessen, ist legendär. So liessen sich Regimekritiker ausradieren. «Welt.ch» hat das kürzlich eindrücklich zusammengetragen.

Dumm nur, das sich der ZACKBUM-Autor nur schon mit diesem Vergleich auf extrem dünnes Eis begibt. Aus dem Zusammenhang gerissen würde das dann etwa so lauten: «Wendler passierte das gleiche wie früher Kommunisten-Kritiker: sie wurden wegretouchiert. Dabei gab ihnen der Lauf der Geschichte recht». Ein Beispiel, wie kompliziert die Welt ist.

 

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