World gone wrong, sang Bob Dylan hellsichtig
1993 war’s, heute hat’s die USA getroffen. Was machen die ausgezehrten Medien in der Schweiz, wenn es hier und dort brennt? In Schockstarre verfallen.
Was für ein Tag. Zuerst verkündet der Bundesrat, Überraschung, neue und verschärfte Corona-Massnahmen. Dazu holt er sich die Lizenz, wieder mit Notrecht zu regieren und Föderalismus auf die Seite zu schieben.
Dass die üblichen Verdächtigen, Restaurants, Fitnessclubs, Kultureinrichtungen, allesamt als Hotspots der Pandemie bekannt, als Brutstätten des Killervirus, noch (mindestens) einen weiteren Monat geschlossen bleiben, wen überrascht’s. Das macht für viele Wirte die Entscheidung einfacher, gar nicht mehr an eine Wiedereröffnung zu denken.
Was soll die Journaille nun dazu noch sagen? Genau, nichts. Sie beschränkt sich flächendeckend auf eine Nacherzählung im News-Ticker. Am einfachsten gleich von der SDA übernommen. Damit zeigen unsere Qualitätsmedien mal wieder, dass sie wirklich ihre stolzen Preise wert sind.
Dann auch noch Unerhörtes aus Wahnsington
Aber da sie beispielsweise bei CH Media sowieso nur noch über zwei Auslandredaktoren verfügen, müssen die wenigen Kräfte natürlich auf das andere Ereignis geworfen werden.
In Science Fiction Filmen oder in Thrillern wurde das Weisse Haus und das Capitol schon von Aliens zerstört. Oder erobert. Oder Terroristen übernahmen das Kommando. Oder von Tom Clancy wurde hellseherisch schon vor 9/11 ein Flugzeug ins Capitol gelenkt, als dort gerade beide Kammern, Präsident und Kabinett versammelt sind. Alle tot, Geheimagent Jack Ryan muss nun auch noch Präsident werden.
All diesen Krachern ist eines gemeinsam: das Happy-end. Was aber heute real ums und im Capitol passierte, das ist wahrhaftig ungeheuerlich. Ein abgewählter Präsident, der seine Niederlage ums Verrecken nicht eingestehen will, hetzt seine Anhänger auf, die daraufhin das Capitol stürmen.
Was die schlauen Gründerväter der USA nicht ahnen konnten
Beschämendere Bilder hat man von der US-Demokratie noch nie gesehen:
Wenn der Mob ungehindert ins Parlament eindringt.
Ein gelborange glühender Präsident provoziert einen Anschlag auf den einzigen Ort der Welt, wo seit 1776 ohne Unterbruch demokratische Entscheidungen umgesetzt wurden. Noch nie wurde der formale Akt der offiziellen Zählung der Wahlmännerstimmen durch Lumpenpack unterbrochen. Und was schreiben die Schweizer Medien, nach einer ersten Schockstarre:
«Trump-Anhänger stürmen Capitol», echot SRF längst bekannte Bilder aus Washington. In dieser Tonlage äussern sich die meisten Medien, abends sowieso nur mehr schwach besetzt. Nur «watson» schäumt wie ein Latte Macchiato auf: «Trump-Mob stürmt Kapitol: Die USA am Abgrund.» Kommt halt davon, wenn Phillip Loepfe, der in erster Linie nichts von Ökonomie versteht, diese Kernkompetenz auch noch aufs Ausland ausweitet.
Hinterherjapsen, in Endlosschlaufen gezeigte Bilder wiederholen
«Diese Bilder schockieren die Welt», das ist auch ein sackstarker Titel bei CH Media. Haben alle, die sich für die Ereignisse in Washington interessieren, schon mehrfach in Endlosschlaufen und erst noch als Videos gesehen. Aber macht ja nix, wenn einem sonst nichts einfällt …
Wieder einmal versagen die grossen Medienhäuser bei dem, was sie verzweifelt als Begründung anführen, wieso man für ihre Produkte Geld ausgeben soll: Analyse, Einordnung, Gewichtung. «So kam es zum Sturm auf den US-Kongress», japst Tamedia den Ereignissen hinterher.
All das wird – nicht nur bei «watson», dort aber besonders bescheuert – mit Meinung eingesalbt. Es wird geschimpft, sich entrüstet, auf Trump rumgetrampelt, diesen multiplen Versager. Als müsste ein einziger Leser in der Schweiz davon überzeugt werden, dass das heute ein Tag der Schande in Washington war.
Während sich die Redaktionen in die Nachtschleife legen, Kollegen aus Hongkong oder Australien die Überwachung der Ereignisse übernehmen, sind alle anderen so erschöpft, dass sie wieder einmal nicht die naheliegenden Fragen stellen.
Naheliegende Fragen, nicht gestellt, nicht beantwortet
Zum Beispiel: Wenn Trump das beabsichtigt hat, was will er damit erreichen? Wie ist es möglich, dass angesichts von angekündigtem Radau die Ordnungskräfte nicht in der Lage waren, dem Pöbel den Zugang zum Capitol zu verwehren? Die oben gezeigten und viele weitere Bilder, so vom White-Trash-Mitglied, das sich im Büro der gerade wiedergewählten Vorsitzenden des Repräsentantenhauses hinlümmelt, natürlich mit den Schuhen auf den Tisch: die werden sich ins Bewusstsein der US-Bürger einbrennen. Das hätten sie nie für möglich gehalten.
Nancy Pelosi ist immerhin nach Präsident und Vizepräsident die dritthöchste Repräsentantin des politischen Systems der USA. Was man sonst nur im Ostblock oder in Drittweltstaaten zu sehen bekommt: Demonstranten stürmen Regierungsgebäude und machen es sich dort gemütlich.
Wer schon jetzt alle Superlative verballert hat, macht einen schweren Fehler
Noch ein letzter Tipp für alle, die schon heute alle Superlative verballert haben: Das ist ein schwerer Fehler, denn mindestens zwei Wochen bis zur Vereidigung stehen uns noch bevor. Und welcher kurzatmige Politanalyst geht denn davon aus, dass Trump es nun dabei bewenden lässt? Der Mann ist offensichtlich wahnhaft. Nach dem heutigen Skandal muss man leider damit rechnen: Dieser Präsident ist zu allem fähig. Und dass er den grössten und zudem funktionierenden roten Knopf auf der Welt hat, das stellte er schon mal klar.
Wieder mal eine Lektion aus dem Mainstream: Anzweiflungen der Wahlresultate in Weissrussland und der Ukraine werden bejubelt, die Besetzung des Legislative Council in Hongkong gefeiert. Geht’s um Trump, produziert der Journalistendarsteller – oder ist’s KI? – immer denselben Output. «Cui bono» wird nicht abgeklärt, das übersteigt das Denkvermögen des Schreiberlings.
Punktlandung. Danke.