Ach, nun auch Knellwolf
Nix Neues von Berset? Mach eine Analyse in den Qualitätsmedien von Tamedia draus.
Thomas Knellwolf kroch schon in die Hirnwindungen von Jörg Kachelmann. Er verfolgte hautnah den Vergewaltigungsprozess gegen den Unwettermacher und liess seine gesammelten Erkenntnisse im Buch «Die Akte Kachelmann» in die Öffentlichkeit regnen.
Also ist er sozusagen prädestiniert, etwas zum Fall Berset zu schreiben. Er beginnt gleich mit einem Hammer-Titel: «Das Bett ist privat – anderes nicht». Also das Klo, der Frühstückstisch, der Hut, die Augenbrauen?
Das Grundproblem von Knellwolf ist hier: Das Thema ist heikel, man will ja nicht vom Boulevard sein. Dazu kommt erschwerend: Es gibt nichts Neues zu vermelden. Null, nix, nada. Das wäre in früheren Zeiten ein klares Indiz gewesen: wenn’s nichts Neues gibt, dann gibt’s auch keinen neuen Artikel.
Jede Nicht-Recherche wird zu einem Artikel aufgepumpt
Das ist heute anders. Jede Nicht-Recherche, jedes Versagen, jedes zwecklose Telefonat muss zu etwas verwurstet werden. Im Notfall in Form eines Kommentars. Oder, die gehobene Version, einer «Analyse». Das war früher mal eine höhere Kunst, also die Durchdringung eines Themas, das Zerlegen, die Bestimmung von Wechselwirkungen.
Heutzutage ist eine «Analyse» schlichtweg: nix Neues, aber wir müssen doch zum Fall etwas sagen. Da muss allerdings zunächst geklärt werden, ob im Qualitätsjournalismus diese Story eigentlich relevant ist – oder privat. Tamedia hat die Frage mit ihrer Berichterstattung längst beantwortet. Also windet sich Knellwolf: «Eindeutig nein. Und eindeutig ja.» Nach diesem analytischen Widerspruch kann er fortfahren.
Zunächst allerdings mit völligen Belanglosigkeiten. Der Strafbefehl, wer hätte das gedacht, lag einsehbar auf. Dass er teilweise geschwärzt ist, sei korrekt. Also «aus heutiger Sicht», relativiert Knellwolf vorsichtshalber.
Längst beantwortete Fragen, frisch serviert
War Berset erpressbar, schiebt er eine weitere längst beantwortete Frage auf die Rampe. Und beantwortet sie mit einem Nein. Es seien keine «peinlichen Aufnahmen irgendwelcher Art» vorhanden, sage überraschungsfrei Bersets Anwalt, es habe auch keinen Machtmissbrauch – also beispielsweise die Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses – gegeben.
Damit wären wir eigentlich schon fast am Ende dieser Analyse «wie schinde ich aus einem Nichts ein paar nichtssagende Zeilen». Aber es fällt Knellwolf noch rechtzeitig ein, dass er schon noch etwas Kritisches nachlegen sollte.
Es fehlt noch das Kritische
Also eigentlich alles in Ordnung, eigentlich Fall erledigt. Aber: «Fraglich ist trotzdem, ob sich Alain Berset während des Erpressungsversuchs korrekt verhielt.» Potztausend, was hat der Bundesrat denn angestellt? Er habe seinen Anwalt zuerst deeskalierend auf die Frau «einwirken» lassen. Erst, als das nichts fruchtete, habe Berset Strafanzeige eingereicht.
Na und? Ha, beckmessert Knellwolf, da habe der Bundesrat die Sache besser «von Anfang an den Profis von Polizei und Staatsanwaltschaft» überlassen sollen. Warum? Darum. Aber damit ist das Sündenregister noch nicht geschlossen. Zuerst noch nachtreten: «Bersets Zuwarten ist riskant, ja fahrlässig.» War, wenn schon. Aber noch schlimmer: «Richtig wäre es gewesen, nicht nur die Strafverfolger einzuschalten, sondern auch den Gesamtbundesrat zu informieren.»
Sein Sprecher habe das damit begründet, dass es eine «private Angelegenheit» sei. «Das ist ein Irrtum», donnert Knellwolf. Der sich hier mehrfach irrende Knellwolf. Denn offensichtlich hat der Bundesrat sehr schnell die Strafverfolger eingeschaltet. Ohne die gäbe es keinen Strafbefehl.
Irrtum, sagt der irrende Knellwolf
Noch schöner ist der Begriff «Gesamtbundesrat». Zunächst vermutete Tamedia – wie andere Medien auch –, Berset habe den Bundesrat überhaupt nicht informiert. Was natürlich heikel, falsch, fragwürdig, merkwürdig sei. Aber lediglich auf der scharfen Analyse beruhte, dass Berset nicht gesagt habe, er habe den Bundesrat informiert.
Als dann richtiggestellt wurde, dass Berset selbstverständlich den damaligen Bundespräsidenten Maurer und die Justizministerin Keller-Suter informiert habe, zog man sich verschnupft auf den Vorwurf zurück: aber den Gesamtbundesrat nicht.
So kann man fröhlich vom Leder ziehen, wenn man weder als Medium noch als Journalist einen Ruf zu verlieren hat. Das ist allerdings nicht mal aus einer Mücke einen Elefanten machen. Das ist aus nichts ein Nichts machen.
Aber Knellwolf ist nicht alleine
Nur das Boulevard-Medium «Blick» weiss, was man macht, wenn es nichts Neues gibt: nichts. Ansonsten werden aus Verzweiflung erbärmliche juristische Wissenslücken spazieren geführt. Denn wenn es schon nichts Neues gibt, dann darf man doch Bekanntes kritisieren. Durfte die Bundesanwaltschaft überhaupt tätig werden, da es doch ein «privates» Problem war? Ja, sie durfte im Fall eines Bundesrats. Dürfen Teile eines öffentlichen Strafbefehls geschwärzt werden? Ist das nicht eine Sonderbehandlung? Nein, das kann und darf bei jedem geschehen. Ist es nicht verdächtig, dass die verfänglichen Dokumente und Fotos gelöscht wurden? Nein, es geschah offensichtlich mit Einwilligung der Erpresserin.
Die tollste Frage: War Berset, obwohl er sich nicht erpressen liess, erpressbar? Auch hier gilt: keine Ahnung von nichts, aber eine Meinung zu allem.
Der «analytische» Kalauer von Knellwolf zur «Causa Berset» ist doch typisch für den TA, Spalten füllen, rumschwurbeln. Das Bett ist privat, das Schlafzimmer und alle übrigen Räume im Haus oder Wohnung aber Public Domaine. Es ist alles etwas schwierig für den TA mit der Praktikantenchefredaktion. Dann lieber Berichte über Meghans Fehlgeburt im Juli und über den Monolithen (einheitlicher Stein) von Utah. Der Monolith ist aus Metall! Da ist die Zeitung auf Augenhöhe mit BLICK, NAU, WATSON und 20 Minuten. Benchmark für die Werdstrasse.
Gutes gibt es heute zu berichten. Ein Bericht über den Messerangriff in Lugano, «Eine Gefahr für sich und andere». 1 Seite, Bild über 5 Spalten, 16 cm hoch, geschrieben von 5 (FÜNF) Journalisten, eine wahre Meisterleistung! Sogar Arthur Rutishauser (Chefredaktor der Tamedia-Mantelredaktion) war beteiligt, das lässt hoffen. Vielleicht füllen 10 Journalisten einmal eine ganze Seite mit Text.