Sündenpfuhl RTS

Übergriffe, Untergriffe, Überlastung: keine Zustände beim welschen TV.

Als ob das Schlamassel in den USA nicht schon belastend genug wäre. Zufällig kurz nach seinem Abgang wird die TV-Ikone Darius Rochebin, der Über-Anchorman von RTS, als übergriffig und zudem latent homosexuell geoutet.

In einem Alleingang der Zeitung «Le Temps», die kurz vor einem Besitzer- (und Chefredaktor-) Wechsel steht. Monatelange Recherche mehrerer Redaktoren, dreissig Leute befragt, das alles reicht für eine «Untersuchung von öffentlicher Nützlichkeit».

Interessante Formulierung, denn damit soll begründet werden, wieso es erlaubt sein soll, in der Intimsphäre von Rochebin herumzustochern. Und – eigentlich nichts zu Tage zu fördern. Ein Kussversuch (nicht vollendet!) bei einer Firmenfeier. Einem männlichen Mitarbeiter die Hand unters Hemd geschoben. Bei einer Silvesterfeier eine weibliche Hand an sein Geschlechtsteil (in der Hose) geführt. Im Internet unter Pseudonym junge Männer angemacht.

Gerüchte, anonyme Denunziationen

Nur: Es gibt keine Strafanzeige, keine aktenkundige interne Beschwerde, obwohl auch bei RTS diverse Möglichkeiten angeboten werden, sich gegen Übergriffe zu wehren. Ach, und die schrecklichen Ereignisse sollen zwischen 2009 bis 2017 stattgefunden haben. Trotz vieler Möglichkeiten, auch anonym firmenintern Beschwerde zu erheben, wollen die Quellen von «Le Temps» natürlich anonym bleiben, «aus Furcht vor Nachteilen im Beruf», stimmt dem das Blatt verständnisvoll zu.

Peter Rothenbühler erinnert in der «Weltwoche» an einen ähnlichen Bericht im «Tages-Anzeiger» aus dem Jahr 2017, in dem ein Kadermitarbeiter des Konkurrenten Ringier als «Chef der Zudringlichkeiten» in die Pfanne gehauen wurde. Ausschliesslich aufgrund anonymer Aussagen. Auch hier hatte sich bei Ringier niemand zuvor bei den vorhandenen Stellen gemeldet. «Reine Fertigmacherei einer Persönlichkeit der Konkurrenz», urteilt der sonst sanfte Rothenbühler so hart wie richtig.

Klage ist bereits eingereicht

Was soll nun dieser aktuelle Verleumdungsartikel in «Le Temps», der Rochebin in seiner neuen und erfolgreichen Karriere in Paris richtig schaden kann? Man weiss es nicht. Aber man weiss, dass der TV-Moderator inzwischen Klage gegen «Le Temps» eingereicht hat, und in Frankreich sind die Persönlichkeitsschutzgesetze einiges schärfer als in der Schweiz, auch die ausgefällten Strafen. Kann also durchaus sein, dass «Le Temps» mit einer schweren Hypothek in die Zukunft startet.

Aber die Abgründe sind noch viel tiefer. Was im Artikel von «Le Temps» nur ansatzweise geschildert wurde, zwei Kadermänner von RTS sollen sich auch des Mobbings, Übergriffen und übler Druckausübung schuldig gemacht haben. Aber, so weiss das Newsnet von Tamedia, «Die Mauer des Schweigens bricht». Der Trompeter von Jericho, Philippe Reichen, der sich schon mit Artikeln und einem Buch an Pierre Maudet abgearbeitet hatte, enthüllt weitere Skandale.

Ein weiterer, nicht taufrischer Skandal

Allerdings sind auch die nicht wirklich taufrisch. Er beklagt das Ende einer TV-Talkshow, die nach 12 Ausgaben Ende 2015 mangels Zuschauerinteresse abgesetzt wurde. Das habe bei den beteiligten Journalisten «tiefe Wunden» hinterlassen, diagnostiziert Reichen feinfühlig. Eine Kollegin habe gar ein Burn-out erlitten und musste schon nach einer Woche aussteigen. Tragischerweise habe sie sich von der anschliessenden Depression nie mehr erholt und verübte zwei Jahre später Selbstmord.

Ein «nicht direkt involvierter, aber mit den Details vertrauter», natürlich anonymer RTS-Mitarbeiter beklagt sich, dass man damals diese tragische Geschichte gar nicht richtig hätte verarbeiten können. Die RTS-Führung habe zudem jede Verantwortung von sich gewiesen und «uns zum Schweigen gebracht». Offenbar wirkte das bis heute nach.

TV-Machen muss die Hölle sein

Dann beschreibt Reichen ein wahres Inferno, das sich um diese Talkshow herum abgespielt habe. Es habe Abgänge gegeben, der Druck auf das übrig gebliebene Team sei immer grösser geworden. Dann soll sich eine wahre Apokalypse abgespielt haben:

«Die Verbliebenen arbeiteten bis zur Erschöpfung, schliefen kaum noch und hielten sich teils nur dank der Hilfe von Psychopharmaka auf den Beinen. Konflikte brachen auf. Man deckte sich gegenseitig mit Vorwürfen ein. Am Ende implodierte die Equipe. Nach 12 Wochen brach die Moderatorin wegen Erschöpfung zusammen. Sie war nicht mehr arbeitsfähig.»

An dieser Katastrophe seien die damaligen Programmverantwortlichen mitschuldig gewesen, wird anonym behauptet. «Schlecht geplante Sendung, knappe Personalressourcen, unerfahrene Mitarbeiter unter Druck gesetzt, Talente verheizt». Und da soll noch einer sagen, im Staatsfernsehen werde eine ruhige Kugel geschoben. Da geht es ja schlimmer zu als auf einer Redaktion fünf Minuten vor dem Andruck, wenn gerade die Titelstory gestorben ist.

All die Beladenen, Verheizten, Bedrückten, Pillenabhängigen

Natürlich, kennt man ja, weisen alle Führungskräfte die Vorwürfe entschieden zurück. Dann zitiert Reichen noch den Aufruf des aktuellen RTS-Direktors, die Probleme doch bitteschön intern zu regeln, um die «nötige Gelassenheit wiederherzustellen». Das bietet ihm Gelegenheit zum abschliessenden Faustschlag: «Doch solche Parolen kommen für viele RTS-Leute zu spät.»

Für all die Beladenen, Verheizten, unter Druck Gesetzten, von Psychopharmaka Abhängigen. Unglaublich, dass einige bis heute durchgehalten haben. Und selbst das Sexmonster Rochebin überlebten.

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