Die Vogelfreien

Freier Journalist? Und lebt noch?

Die freien Journalisten in der Schweiz nagten schon lange am Hungertuch. Nun ist auch noch das Tuch weg.

«impressum» bietet «Covid-19 Hilfe für Journalist*innen», korrekte Rechtschreibung ist nicht inbegriffen. Die Bundeshilfen für kurzarbeitende Selbständige sind bekanntlich am 16. September ausgelaufen.

Der Gesamtarbeitsvertrag bereits 2004; seither ist es den Gewerkschaften nicht gelungen, die Arbeitgeber zum Abschluss eines neuen zu bewegen. Das ist so peinlich, dass beide Seiten eher ungern darüber sprechen.

Wohlfeile Forderungen und Ratschläge

Stattdessen gibt «impressum» «Empfehlungen» für Mindestlöhne und Mindestentgelte. Auch syndicom beschränkt sich im Wesentlichen aufs Fordern: «Mindestlöhne, besserer Kündigungsschutz», das übliche Programm unter markigen Worten:

«Wir lassen uns nicht auspressen».

Selten so gelacht, sagen die Medienhäuser. Freie Fotografen sollen pro Einzelbild mindestens 204 Franken bekommen. Freie Mitarbeiter mindestens 449 Franken pro Tag im Tessin, 523 in Basel, Bern und Zürich. Plus natürlich Spesen, Infrastrukturkosten, Sozialabgaben.

Selten so gelacht, sagen die freien Journalisten. Wer für eine fünftägige Recherche 2600 Franken in Rechnung stellt, dazu Spesen, Infrastruktur und Sozialabgaben,  bekommt als Antwort bestenfalls ungläubiges Gelächter.

Die Chancen der Freien sind eher gering

Das speist sich aus verschiedenen Quellen. Zunächst einmal: ein Thema von nationaler Bedeutung oder ein internationales Thema kann der Freie haargenau zwei Redaktionen anbieten: der Zentralredaktion von Tamedia und von CH Media. Wenn er tollkühn ist, kann er’s auch noch bei der NZZ oder dem «Blick» probieren. Wenn er keine Stigmata fürchtet, käme vielleicht noch die «Weltwoche» oder die «WoZ» infrage.

Bei all diesen Organen gilt: Durch ständige Konzentration, Zusammenlegung, Entlassungen, plus weniger Platz, um den sich die verbliebenden Redaktoren schon prügeln, sind die Chancen des Freien ziemlich gering.

Nun kann er diese Chancen erhöhen, wenn er sich auf ein gern genommenes Thema spezialisiert hat. Wein, Wissenschaft, Musik, solche Sachen. Aber im Allgemeinen gilt: 500 Franken ist schon ein grosszügiges Honorar, alles, was über 1000 ist, gilt schon als seltene Ausnahme. Und wer letzthin mehr als 2000 Franken für ein Stück verdient hat, muss sich unbedingt bei mir melden.

Realistisches Bruttoeinkommen: 6000 Franken im Monat

Aber selbst wenn der Freie bienenfleissig und ohne Ferien im Schnitt 22 Tage im Monat arbeitet und die ihm auch voll bezahlt werden, käme er auf ein Bruttoeinkommen von 132’000 Franken im Jahr. Das hört sich nur für Angestellte riesig an, da es sämtliche Abzüge für Steuern, Versicherungen, Infrastruktur und so weiter nicht enthält. Aber abgesehen davon ist es natürlich völlig unrealistisch.

Obwohl die meisten Freien entschieden mehr arbeiten, können sie im Allgemeinen höchstens die Hälfte dieser Tage auch in Rechnung stellen. Denn die geleistete Arbeitszeit ist schon längst nicht mehr der Massstab der Bezahlung. Sondern: Wenn du dein Stück loswerden willst, dann vergiss die drei Recherchier- und Schreibtage; es gibt 500, und basta.

Früher gab es noch die Möglichkeit, dann zur Konkurrenz zu rennen. Also was die «Berner Zeitung» nicht wollte, könnte ja den «Bund» interessieren. Da es aber, mit der Ausnahme Zürichs, heutzutage nur jeweils ein Monopolblatt am Platz gibt, fällt das auch weg.

Aufmüpfige Freie sind todesmutig

Geradezu todesmutig sind Freie, die es wagen, gegen willkürliche, ruppige, unfeine Behandlung zu klagen. Der (noch) auf seinem Redaktionsstuhl sitzende Mitarbeiter weiss, dass er am viel längeren Hebel sitzt. Wer sich beschwert, sei das über nicht abgesprochene Kürzungen, Verschiebungen, Verunstaltungen des eingereichten Texts, oder gar über den Zufall, dass das Thema zwar abgelehnt, aber überraschenderweise dann als redaktioneller Beitrag abgehandelt wurde, der kann sich auch gleich einen Post-it-Zettel an die Stirn kleben: Ignoriert mich in Zukunft.

Viele Freie könnten stundenlang davon erzählen, wie sie von desinteressierten Redaktoren nicht mal einer Antwort gewürdigt wurden, ihnen beim Nachfassen beschieden wurde, dass der Redaktor furchtbar beschäftigt sei, noch keine Zeit gehabt habe, aber es sei natürlich freigestellt, das Stück woanders anzubieten.

Vogelfrei in allen Bedeutungen des Wortes

Denn spätestens seit Corona sind freie Journalisten vogelfrei. In jedem Sinne des Wortes. Man kann sie vögeln, sie können geächtet werden, wenn sie unangenehm auffallen, man muss ihnen keine Behausung gewähren, sie sind eigentlich überflüssig.

Uneinsichtig dazu; sollen doch endlich einen anständigen Beruf lernen. Dass auch so gigantisch viel Fachwissen, Kenntnisse, bereichernde Blickwinkel verloren gehen: na und, die Medienhäuser haben es auch nicht leicht, und da die Staatströge nicht unablässig und für alle gefüllt werden, wollen sich natürlich zuerst die Medienhäuser bedienen. Und dabei ungerührt den Freien beim Verhungern zuschauen.

2 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Die grossen Medienhäuser sind an einem GAV nicht interessiert. Redaktionen ausdünnen, Wissen abbauen. Zeitung mit Bildern oder Texten von den freien Sklaven ist billiger und die PayRoll wird auch entlastet. Dafür in der Teppichetage hohe Löhne und Boni, denn Stakeholdern grosszügige Dividenden ausschütten auch wenn das Geld nicht wiirklich vorhanden ist. Wenn alles in die Hosen geht kann man ja immer noch in Bern jammern und Steuergelder einfordern. Die Edelfedern werden zu Kannibalen und verteidigen ihre Stühle mit allen Mitteln und vernageln ihre «freien» KollegenInnen. Es hat zuviele JournalistenInnen und das MAZ produziert am Laufband immer mehr mittelmässige SchreiberInnen mit einer beschränkten Allgemeinbildung die teilweise nicht einmal richtig Deutsch können, leider die Korekturprogramme auch nicht! Die Verluderung der «4. Gewalt» nimmt stetig zu!

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