Ist «Das Magazin» bescheuert?

Eine Nonsense-Frage wie: «Ist Trump ein Faschist?»

Man darf doch nach vier Jahren den gleichen Fehler nochmal machen, muss sich die Schrumpf-Redaktion des Schrumpf-Magazins gedacht haben. Also verwendet sie rund 25’000 Anschläge auf genau diese Frage. Nein, nicht auf die erste, die ist schon beantwortet.

Dafür bringt es eine sogenannte Reportage von Jan Christoph Wiechmann. Der war bis vor Kurzem Lateinamerika-Korrespondent des «stern» mit Wohnsitz Rio de Janeiro. Seit 2020 wieder US-Korrespondent in New York.

Wer einen Artikel kennt, kennt alle

Dieser kurze biographische Ausflug ist nötig, denn Wiechmann schreibt auch immer wieder über ein Thema, in dem ich mich etwas auskenne: Kuba. Wer den Titel seines letzten Werks kennt, kennt eigentlich den Inhalt aller Artikel: «Kuba kafkaesk». Das ist, so wie seine Reportage über Exilkubaner «Miami nice», schon ab dem Titel rezykliert; Erkenntnisgewinn für den Leser: nahe null. Und wer in einem langen Stück über Kuba nur zwei spanische Begriffe verwendet, offenbar nicht weiss, dass «estornudo» hatschi heisst und die selbständigen Kubaner arbeiten auf cuenta propia, nicht auf «propia cuenta», der lässt die Vermutung aufkommen, dass er mit einem Übersetzer unterwegs war. Wenn überhaupt.

Aber zurück zum Thema. Das Thema ist: Vor vier Jahren war für alle US-Kenner, Fachleute, Spezialisten, Analysten, Korrespondenten und Zukunftsdeuter eines klar: Trump wird nie Präsident. Ausgeschlossen. Unmöglich. Undenkbar. Wir können jetzt schon der ersten Präsidentin gratulieren. Diese krachende Fehlanalyse hielt sich sogar bis in die späte Wahlnacht, als zum Beispiel im Schweizer Farbfernsehen immer noch verzweifelt nach Möglichkeiten gesucht wurde, wieso Trump vielleicht doch nicht gewählt wurde.

Daran schloss sich betretenes Schweigen an, dann markige Worte, dass man vielleicht doch mal den Elfenbeinturm in der eigenen Gesinnungsblase verlassen müsse und den Leuten wieder besser zuhören, auch ausserhalb des intellektuellen Klüngels.

Grotesk gescheiterte Expeditionen in die Wirklichkeit

Das führte dann zu teilweise grotesk gescheiterten Expeditionen in die Wirklichkeit, so wie beim Fälscher Claas Relotius. Oder beim mit Fehlern und Vorurteilen gespickten Reportageversuch zum Start der «Republik». Viel weiter ist man allerdings beim Versuch zu verstehen, wieso die Amis so bescheuert sind, einen so bescheuerten Präsidenten zu wählen, auch nicht gekommen.

Nun steht seine Wiederwahl an, und wie in der unsterblichen Neujahrsklamotte «Dinner for One» heisst’s: gleiches Vorgehen wie jedes Mal. Mit einer kleinen Akzentverschiebung. Man möchte die peinliche Blamage nicht wiederholen, deshalb wird als denkbar angenommen, dass Trump tatsächlich die Wiederwahl schaffen könnte.

Nein, es wird nicht als denkbar angenommen, es wird befürchtet. Und schon wieder fragt man, also genauer fragt sich der Hamburger Journalist Wiechmann in New York, wie schlimm es denn werden könnte. Denn zu seinem Erstaunen ist Trump immer noch im Amt, dabei hatte Wiechmann doch schon 2018 per Ferndiagnose «eines der bekanntesten Psychiater der USA» festgehalten, dass Trump zwar nicht krank sei, «aber er hat psychische Störungen der gefährlichsten und destruktivsten Art».

Fehldiagnosen, Fehldiagnosen, Fehldiagnosen

Ja furchtbar, und was schloss der Psychiater daraus: «Ich glaube nicht, dass er das Ende der ersten Legislaturperiode erreicht.» Wir haben also in Wiechmann einen Reporter, der mit der nötigen Objektivität und ergebnisoffen an die Analyse der nächsten Wahlen herangeht.

Das merkt man schon am Lead: «Ist Trump ein Faschist? Nein, sagt die ehemalige US-Aussenministerin Madeleine Albright.» Das ist schon von einer bodenlosen Demagogie. Deren warnendes Buch von 2018, mit dem Wort «Faschist» nicht inflationär umzugehen und es nicht auf missliebige Politiker zu verwenden, indirekt auf Trump zu münzen, da wäre selbst Trump beeindruckt.

Aber vielleicht stammt der Lead nicht von Wiechmann. Aber der erste Satz: «Kyle Murphy hat sich den impulsiven alten Mann mit dem gefärbten Haar oft genug aus der Nähe angeschaut.» Nach seinem Abgang sorgte Murphy für Schlagzeilen, indem er behauptete, Trump bewundere Putin und den kleinen Dicken in Nordkorea; also zwei gefährliche Autokraten.

Der Beginn einer langen Geisterbahnfahrt

Das ist dann nur die Einleitung für eine wahre Geisterbahnfahrt. Zufälligerweise «alle interviewten Politologen, Juristen und Philosophen» (wir verzichten auf das Idioten-Binnen-I) sind besorgt, beunruhigt. Raunen, warnen, autokratische Tendenzen, faschistische Methoden, Rassismus sowieso. Der Leser kann sich den Spass machen, mal kurz alle negativen Charakteristika zu notieren, die ihm zu einem Politiker einfallen. Er wird alle, und noch mehr, in diesem Artikel wiederfinden.

Die Sabotage der Briefwahl, die Verhinderung der Stimmabgabe, die frühzeitige Erklärung Trumps, dass er die Wahlen gewonnen habe, nichts fehlt. Natürlich auch der nicht: «Milizionäre wie Phil Robinson, 43, drei Kinder, langer Bart, ausgerüstet mit einem Sturmgewehr AR-15, mit Handschellen, einer Pistole und Metallplatten.»

Wo gibt es Hoffnung? In Afrika

Gibt es denn noch Hoffnung in der Verzweiflung? Wenig; der ehemalige Mitarbeiter Murphy, der seine Adresse nicht nennen will, haucht ins Telefon: «Burkina Faso, wo das Volk erfolgreich gegen den früheren autoritären Herrscher protestierte, und Gambia.»

Echt jetzt, die USA sollten von Burkina Faso und Gambia lernen? Wie würde das wohl der berühmte US-Psychiater per Ferndiagnose nennen? Galoppierender Realitätsverlust? Schlimmeres?

Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Wie kann einer Faschist sein, der nicht mal weiss, was Faschismus ist? Um zur besseren Frage zu gelangen: Wieso schaufelt sich der Journalismus mit solch stumpfsinnigen Bedienungen von Vorurteilen sein eigenes Grab immer tiefer?

Weiss man, wieso Trump gewählt wird?

Weiss man nach einem solchen Schwachsinn einen Deut besser, wieso vielleicht die US-Stimmbürger Trump nochmals wählen werden? Nein, der Reporter war in einem fiktionalen Trip ins Abseits, ins Nonsense-Land, wo nur sehr, sehr wenig mit der Realität zu tun hat.

Wenn er das immer wieder mit Kuba macht, wo er die ewig gleichen Klischees nochmals durch den Wortwolf dreht, die Insel wird’s überleben. Aber warum müssen Journalisten das Publikum wieder mit einem Horrokabinett schrecken, mit einem Gang durch die alte Jahrmarktsattraktion, wo Zerrspiegel die Besucher erschauern lassen?

Gefilterte Weltsicht wie in Parteizeitungen

Es gibt den schönen Straftatbestand «Schreckung der Bevölkerung». Den erfüllt Wiechmann in seiner Expedition ins Nowhereland vollständig. Das Absurde daran ist: Seine gefilterte Weltsicht unterscheidet sich eigentlich in nichts von der der Parteizeitung «Granma» auf Kuba. Nur sind verschiedene Filter vor die Realität gestellt.

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