Ex-Press V

Blasen aus dem Mediensumpf

 

War wohl nix

Kommt ja in den besten Häusern vor. Gleich zwei Recherchiergrössen bot die NZZ auf, um die Auswirkungen von Corona auf Gratisblätter zu untersuchen. In dieser Bilanz stand der Satz: «Gemäss Informationen der NZZ gibt es Pläne, die Printausgabe von «20 Minuten» im nächsten Jahr einzustellen.» (Artikel hinter Bezahlschranke.)

Das fand Marcel Kohler, der Verlagschef von «20 Minuten», überhaupt nicht komisch. Er bestritt es schon im Artikel selber vehement. Auch gegenüber ZACKBUM.ch legte er nach:

«Das blosse Erwähnen eines Dementi reicht für die Kolportage solcher schwerwiegender Unterstellungen nicht aus.»

Cool nahmen es hingegen die Autoren, auch gegenüber ZACKBUM.ch:

«Unsere Quellen sind verlässlich.» Kohler habe Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt, «das ist seriöser, also differenzierter und transparenter Journalismus.»

Nun ja, irgendwie doch nicht, denn nachdem hinter den Kulissen offenbar weitergestritten wurde, rang sich die NZZ am Wochenende zu einem «Korrigendum» durch:

«Die Formulierung stimmt so nicht. Wir entschuldigen uns für die irreführende Formulierung.»

Höchststrafe für die Autoren, die sich aus den gepflegten Höhen des Feuilletons in die Niederungen der Geschäftswelt verirrten – und darin umkamen, sozusagen.

Allerdings vermissen wir bis heute ein Entschuldigung von Hansi Voigt, der ebenfalls das Ende der Printausgabe von «20 Minuten» ankündigte. Allerdings schon auf 2017; das ist dann wohl verjährt.

Quellen und Quallen

Es gibt drei Wörter, die bis heute bei jedem Journalisten einen pavlovschen Reflex auslösen: exklusiv, Primeur, zitierfähige Schlagzeile. Nur, woher nehmen und nicht stehlen? Recherchieren war gestern, heute ist «wie vertrauenswürdige und voneinander unabhängige Quellen sagen». Oder «wie in die Angelegenheit involvierte Quellen sagen». Oder: «Das bestätigen ranghohe Quellen aus dem Umfeld.» Gerne ergänzt mit der Formulierung: «Wie Recherchen dieser Zeitung ergaben …»

«Dieser Zeitung» muss es heutzutage heissen, weil der gleiche Text ja in vielen Kopfblättern erscheint. Aber abgesehen davon: Zurzeit wird herumgeboten, dass die UBS auf Einkaufstour sei. Zuerst vermutete «Inside Paradeplatz», dass der VR-Präsident der UBS Pläne habe, die geschrumpfte Credit Suisse zu schlucken. Das habe Axel Weber schon mit seinem CS-Kollegen Urs Rohner besprochen.

Da kann die «SonntagsZeitung» natürlich nicht hintenan stehen. Nun will Weber also vielleicht die «Deutsche Bank» kaufen. Oder die Commerzbank. Oder die «britische Lloyds Banking Group» (Artikel hinter Bezahlschranke). Wohl nach der Devise: «Haste mal ’ne Bank für mich?»

Stimmt das, macht das Sinn, gibt es dafür Belege? Nö, eigentlich nicht. Aber es ist exklusiv, ein Primeur, zitierfähig. Kann ich auch:

Migros will Coop kaufen!

Dies bestätigen ranghohe Quallen, äh, Quellen aus dem Umfeld der Betriebstoiletten.

Cohohohorona

Eigentlich wollten wir dieses Ex-Press coronafrei halten. Aber dann blieb uns irgendwie im Hinterkopf haften, wie Daniel Koch den letzten Rest seines Rufs verspielt, indem er das Corona-Bier zu seinem Lieblingsgetränk erklärt. Da gehen wir halt doch mal in die Schlagzeilen. «Marco Rima entschuldigt sich für Falschaussage über Corona-Tote», «Corona ist selbstheilend und hitzebeständig», «Breite Front protestiert gegen Maskenpflicht in Läden», «Der real existierende Corona-Wahnsinn», «Warum die Maske eine halbe Million Menschen in der Schweiz ins Abseits stellt», «Task-Force-Chef will an der aktuellen Strategie gegen Corona festhalten», «Corona-Winter: Lücken im Kampf gegen das Virus», «Marco Rima und Andreas Thiele auf Abwegen?». Nur zwei Fragen dazu: Ich habe je zwei Schlagzeilen aus «Blick», CH Media, Tamedia und NZZ genommen. Lustiges Ratespiel: Welche Schlagzeile ist von wo? Zweite Frage: Ist jemand nun schlauer als zuvor?

Wir bleiben drin

Früher war alles besser. Oder etwa nicht? Zumindest die Slogans, mit denen Zeitungen für sich warben. Als die NZZ von zwei täglichen Ausgaben auf eine umstellte (für jüngere Leser: es gab sogar mal drei), warb sie dafür mit dem Slogan: «NZZ: Jetzt einmalig!». Der «Tages-Anzeiger» verkündete: «Wir bleiben dran.» Das müsste man heute ersetzen durch: «Wir bleiben drin», denn Reportage war gestern.

«Blick war dabei», das strahlte noch Beteiligung, Nähe, Anteilnahme aus. Da kümmerte sich die Boulevard-Zeitung noch um Busen, Haustiere und Tatorte. Dagegen heute: «Nachrichten und Schlagzeilen aus aller Welt und der Schweiz». Gähn. Apropos Nähe, der hier war zwar sicherlich teuer, aber nicht ganz geheuer: «Die Schweizer Illustrierte geht näher.» Daraus entwickelte sich schnell der Branchenscherz: Und warum? Weil sie kurzsichtig ist.

Aber wieder mal die NZZ zeigt, was Neuland betreten bedeutet. Ihre Sonntagsausgabe, vielleicht zur Feier der Zusammenlegung von Wirtschaft und Ausland, war von einem Vierseiter umhüllt. Nein, keine Auto-Werbung, Werbung in eigener Sache. Die Headline ist noch toll: «Wer die Welt zu einfach malt, vertraut den Menschen nicht.» Kann man nichts dagegen haben. Aber das Visual, wie wir Werber sagen? Ein Gesichtsvollschutz in Schwarz mit Plastikvisier. Dahinter kann man ein weibliches Gesicht vermuten, und mitten drin hat es einen gelbgrünen Klecks. Paintball-Spielerin? Oder hat jemand eine Glace von oben fallen lassen? Kollateralschaden bei einer Demonstration? Eine Malerin nach kleiner Fehlmanipulation? Man weiss es nicht. Man weiss auch nicht, was das mit Journalismus zu tun hat.

 

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