Bonne nuit, bajour
Rund 2750 Stutz verrösten. Tag für Tag.
Es gibt Menschen, die zu viel Geld haben. Schön, wenn sie es unter die Leute bringen.
Dazu gehört in Basel eine Pharma-Erbin. Die verpulverte einen zweistelligen Millionenbetrag in das gescheiterte Experiment, eine Zeitung zu machen, die als Existenzberechtigung nur hatte, gegen eine andere Zeitung zu sein.
Nach Skandalen um eine aufgepumpte Auflage, internen Intrigen und null Relevanz verröchelte die «TagesWoche».
Aus Schaden nicht klüger geworden, wurden dann etwas bescheidener drei Jahre lang je eine Million ausgelobt. Für ein neues Experiment.
Eine Million und ein Voigt, ein ungleiches Paar
Wo eine Million ist, ist Hansi Voigt nie weit. Da er gut vorträgt, überzeugte er schon Peter Wanner, viel Geld ins Millionengrab «watson» zu versenken.
Als Wanners nicht länger zuschauen wollten, wie ihr Vermögen verkleinert wird und Voigt einen Geschäftsführer an die Seite stellen wollten, der nicht nur weiss, wie man Geld ausgibt, endete Voigts Karriere dort abrupt.
Also trug er wieder gut vor und ergatterte die drei Millionen aus Basel. Was die arbeitslosen Ex-Mitarbeiter von «TagesWoche» nicht wirklich mit Freude erfüllte, da sie sich auch um diesen Futtertrog beworben hatten.
Das Loch zwischen wollen und können
Aber zwischen gut vortragen und liefern, zwischen Ankündigung und Umsetzung, zwischen wollen und können, da klaffen halt immer Welten bei Voigt. Angekündigt war ein neues Online-Magazin der besonderen Art. Angekündigt war nicht nur das. Das sei ja nur ein erstes Beispiel für einen viel grösseren Plan.
Eine Plattform zum Austausch von Artikeln zwischen verschiedenen lokalen Anzeigern. Oder überhaupt jedem. «We.publish» heisst das Wunderwerk. Aber es besteht bislang nur aus einer Webseite, auf der ein Kreis einsam seine Runden dreht, auch über der Ansage «coming soon».
Grosse Dinge brauchen vielleicht etwas länger; wie steht’s dann mit den kleinen? Das Stichwort für bajour, denn das ist sehr, sehr klein. Auch hier gibt es eine Webseite auf der, nun ja, nicht gerade der Basler Bär tanzt; der Output von immerhin zehn Mitarbeitern hält sich doch in sehr überschaubaren Grenzen.
Am Dienstag zum Beispiel erschütterte bajour die Stadt am Rheinknie mit der News «Pilzli ade». Ein Lädeli stirbt, Kündigung nach 40 Jahren. Schon etwas veraltet sind die weiteren Stücke zum Thema «Ach, diese Studie-Sorgen» und «Soll der Staat die Regel regeln?»
Keine Frühaufsteher mehr
Womit wir schon den Bereich der News der letzten 24 Stunden verlassen hätten. Gibt es denn noch mehr? Aber hallo, jede Menge. Es gibt auch den «Piepston», einen Podcast. Die neuste gesprochene News ist allerdings vom – 31. März. Aber immerhin dieses Jahres. Okay, letztes Jahr gab’s bajour noch gar nicht. Damit ist bajour aber noch nicht ausgeschossen. Es gibt auch noch das «Basel Briefing». Wahnsinn, jeden Werktag stehe die Redaktion um 4.30 Uhr auf, fasse die wichtigsten News und Ereignisse zusammen und schicke das um punkt 7 Uhr per Mail an alle Interessenten.
Menschlich verständlich, dass diese unmenschliche Arbeitszeit ihren Tribut forderte. Soweit erkennbar, gibt es das Briefing inzwischen nur noch einmal. In der Woche. Oder so.
Was gibt es noch? Nun, gut vertreten ist das Thema «Kohle her». Dafür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Man kann Gönner werden, einen Recherchierfonds füllen, Kulturberichterstattung unterstützen. Oder, man kann ganz einfach «Member» werden. 40 Stutz, und man ist dabei. Wobei? Nun, «tägliche Hintergrundinformationen, die Basel wirklich beschäftigen». Vielleicht wäre «tägliche Hintergrundinformation» wirklichkeitsnäher gewesen.
Wie viele «Member» bei 170’000 Baslern?
Oder man muss annehmen, dass die Schliessung des «Pilzli», Studentensorgen und das Thema Menstruation die Basler wirklich bewegt. Aber für diese 40 Franken gibt’s noch viel, viel mehr. «Das Basel Briefing jeden Morgen um 7»; vorausgesetzt, der Morgen ist ein Freitag. Oder so. «Ermässigung bei Partner*innen von bajour (in Planung)». Geplant sei ebenfalls noch «ein zukünftiges wöchentliches Mail mit exklusiven Veranstaltungstipps». Sicher als Ergänzung zum täglichen Basel Briefing.
Kann es einen wundern, dass von den rund 170’000 Einwohnern Basels bislang schlappe 1591 laut Zählwerk der Webseite den kühnen Entschluss gefasst haben, «Member» zu werden? Von Groucho Marx gibt es den wunderbaren Spruch, dass er bei einem Club, der einen wie ihn aufnehmen würde, niemals Member würde.
Bei bajour hingegen müssen sich die Member fragen, wovon sie eigentlich Mitglied sind. Die richtige Antwort: Von einem Verein, der sich zum Ziel gesetzt hat, jedes Jahr eine Million zu verrösten. Plus bislang 63’640 Franken Mitgliederbeiträge. Falls die Zahl stimmt.
Follower nicht kriegen, sondern kaufen
In erkennbarer Verzweiflung wollte bajour die 4000 Facebook-Follower des eingestellten Regionaljournals Basel von SRF kaufen. Einen Stutz war bajour das pro Nase wert; das sei jetzt mal eine ganz originelle Marketing-Methode, lobte sich die Webseite selbst. Lieber das Geld für SRF als für den US-Riesen, lockte sie.
Aber leider hatten die Internet-Cracks bei bajour übersehen, dass da ein paar blöde Datenschutzregeln entgegenstehen, die eigentlich jeder kennt. Ausser, er arbeitet für bajour.
Voigt generiert schon die nächste Million
Noch zweieinhalb Jahre ist die Kohle garantiert, aber was dann? Wenn es heisst «bonne nuit, bajour»? Nun, wenn eine Million nicht gerade abholbereit im Raum steht, dann erfindet sie sich Voigt halt. Also «gutachtet» er, basierend auf seiner anerkannten Fähigkeit, online Geld zu verrösten, Pardon, zu verdienen, dass der «Blick» alleine online über eine Million mit seinen Berichten über die Zuger Affäre verdient habe.
Und die müsse natürlich als Gewinnherausgabe den Opfern der Affäre, nein, einem Opfer abgetreten werden. Wobei dann für den Gutachter sicherlich auch etwas abfallen würde, denn Voigt kann endlich auch mal sagen: Wer hat’s erfunden? Ich.
Blöd nur, dass das zwar jeder sagen kann, aber nicht jeder bezieht sich damit auf Erfolge.
«Pilzli ade»
War das Beste was ich in den letzten Tagen gelesen habe.
«Zackbum» hat durchaus Unterhaltungswert,den aufgeblasenen Journalisten,mag ich es von ganzen Herzen gönnen,wenn ihnen ans Bein geseicht wird.
Aber irgendwann wird’s langweilig!
Dieser Hansi Voigt scheint ein Phenomen zu sein. Mit seiner lockeren, jovialen Art fällt es ihm leicht, überall gutes Geld reichlich abzuholen. Bei seinen Destinationen Cash, 20 Minuten und Watson war er überall auf der Redaktion die gute Laune-Muntermacher-Hostess.
Leider fehlt es ihm an der Ausdauer, die ihn auszeichnen würden. Buchhaltung interessiert ihn leider kaum, zumal es ja nicht sein persönliches Geld ist. Ist das Werk vollbracht, zieht er rasch weiter. Langeweile überkommt ihn eben leicht.
Die pensionierte Mäzenin Frau Beatrice Oeri wäre gut beraten einen unerschrockenen Wadenbeisser anzustellen. Mit Argusaugen müsste er darüber wachen, dass ihre monetäre Grosszügigkeit nicht derart mit Füssen getreten wird.