Keinmaleins in «20 Minuten»
Normalbegabte Journalisten sollten von der Wahrscheinlichkeitsrechung die Finger lassen. Das gilt auch für «20 Minuten»
Eigentlich wollte «20 Minuten» Anfang August ja nur aufklären: «So gross ist die Ansteckungsgefahr im Flugzeug wirklich». Im Text verwandelte die Autorin aus Zahlen aber eine Horrorgeschichte: «Transportiert ein Flugzeug durchschnittlich 200 Passagiere, sitzt sicher in jeder dritten Maschine eine kranke Person». Kreisch!
Wie kommt die Zeitung zu dieser Aussage? Ziemlich einfach, verdächtig zu einfach: Es seien zurzeit 1942 Menschen in der Schweiz mit dem Virus angesteckt, schreibt die Autorin. Da die Dunkelziffer aber zehnmal höher sei, betrage die Zahl 19’420 Corona-Fälle. «Daraus ergibt sich, dass einer von rund 450 Schweizern Covid-19 hat.» Und wer dreimal in einem Flugzeug sitzt, begegnet also insgesamt 600 Personen. Ergo: Einer davon muss sicher Corona haben!
Nochmals: kreisch! Die Journalistin hat zum Glück zwei Fehler gemacht: in der Mathematik und in der Logik. Christoph Luchsinger, Dozent am Institut für Mathematik an der Uni Zürich, drückt es so aus: «Wenn die Reisenden unabhängig voneinander Einzelreisende sind, und Corona-Infizierte gleich wahrscheinlich reisen wie Gesunde (was unwahrscheinlich ist) gilt: die Anzahl Infizierte pro Flugzeug ist sogenannt binomialverteilt (Bin(200, 1/450)).
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Damit gibt es im Durchschnitt 4/9=0.4444 Infizierte pro Flugzeug. Und die Wahrscheinlichkeit, dass es in gegebenem Flugzeug keine infizierte Person hat, ist approximativ 0.64, also 64 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in drei aufeinanderfolgenden Flügen niemandem mit Corona begegnet ist, beträgt also 0.64*0.64*0.64=0.26, also 26 % und das ist grösser 0.
Im Klartext: Wer dreimal fliegt, sitzt nicht zu 100 Prozent in einem Flugzeug mit einem anderen Corona-Infizierten, sondern zu 74 % (100 %-26 %).
Gaudenz Looser, Chefredaktor «20 Minuten», nimmt seine Mitarbeiterin in Schutz: «Unsere Redaktorin hat die Formel von Dieter Scholz, Professor für Flugzeugbau in Deutschland, auf die Schweiz angewendet.» Das stimmt – fast. Die falsche Wahrscheinlichkeitsrechnung stammt von der Journalistin.
Wir und die Autorin lernen daraus: Man muss keine Angst vor Zahlen haben, nur etwas Kontrolle. Und wenn man unsicher ist, am besten nachfragen
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